Bild aus dem Stück von Gisèle Vienne
© Jean Louis Fernandez

Boy erased: L’ÉTANG / DER TEICH bei den Wiener Festwochen

Gisèle Vienne erweckt im Jugendstiltheater am Steinhof den Theatertext des Schweizers Robert Walser ironischerweise zum Leben, um den Tod zu thematisieren. In Zeitlupe täuscht die tragische Hauptfigur Fritz seinen Suizid vor, um die Reaktion der Eltern und der Geschwister zu sehen. Eine Produktion bei den Wiener Festwochen, die dazu in der Lage ist, die Zuschauer mit in die Tiefe zu ziehen.

© Jean Louis Fernandez

Es braut sich etwas zusammen. Die Darbietung beginnt mit einer Allegorie. Bekleideten Schaufensterpuppen, die wie leblos deprimierende Teenager in einem Jugendzimmer anmuten, befinden sich in einem offenen, weißen Bühnenbild. Nach und nach entfernt ein Arbeiter sie emotionslos von der Bühne. Die Erwachsenen bestimmen ohne jeden Zweifel über den Nachwuchs und sie halten die Fäden fest in der Hand. Erst danach beginnt auf Französisch die eigentliche Vorstellung dieses Machtspiels.

© Jean Louis Fernandez

Adèle Haenel spielt den Jugendlichen Fritz sowie dessen Geschwister und Freunde, wohingegen Henrietta Wallberg die Rolle der Erwachsenen einnimmt. Die Zeichen stehen auf Konfrontationskurs. Die Familienverhältnisse scheinen zerrüttet. Fritz dürstet es nach Liebe und Zuneigung. Es sind seine subtil verlangsamten Gesten, sein angedeuteter Drogenkonsum und seine Schreie (am offensichtlichsten), die hier außerordentlich berühren und auch verstören, aber nicht auf Gegenliebe stoßen. Haenel ändert die Tonalität, ist aufbrausend, dann wieder beeindruckend lethargisch im Dialog mit sich selbst, je nachdem, wie es die jeweilige Figur verlangt. Der Charakter der Mutter, von Wallberg selbstbewusst verkörpert, bleibt von alledem unberührt. Ihre Kaltherzigkeit, die neben Vater Adolf am meisten Unbehagen auslöst, kommt nicht von ungefähr. Wer ist der Täter, wer das eigentliche Opfer? Eine Frage, die am Ende von „L’Étang / Der Teich“ schließlich beantwortet werden kann.

1902 verfasste Walser das Stück, welches nun bei den Festwochen Ende Mai zum 80 minütigen Familiendrama in dargestellter „Slow Motion“ adaptiert wird. Eine Vorstellung von zwei Frauen um den Adultismus, so ergreifend wie irritierend, wie nur die Wirklichkeit sein kann.

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