SUBVERSIVE LUST: JOY bei den Wiener Festwochen
Michiel Vandevelde im Klischeegestrüpp: Der Choreograf lässt für die Wiener Festwochen mitten zur Vienna Pride die amerikanische Künstlerin Carolee Schneemann neu aufleben. Wie passt ihr ikonisches, lasziv inszeniertes Stück „Meat Joy“, welches zur damaligen Zeit für Furore sorgte, in die heutige Zeit? „Joy 2022“, so die Hommage, liefert in neun Akten von unterschiedlicher Durchschlagskraft die Antworten.
In den 60ern benutzte Schneemann ihren Körper, um mit Gegenständen wie Plastikfolien oder Fleisch, für eine weibliche Form der Lust in der Kunst zu kämpfen und sorgte damit für einen gesellschaftspolitischen Diskurs. Vandevelde nutzt ihr Schaffen als Inspiration, um Sujets wie Diversität sowie Sex und Identität zeitgenössisch darzustellen. Zu Beginn lässt es sich der Belgier nicht nehmen, selbst auf die Aufführung im Wiener Volkstheater einzustimmen. Er stellt sich und seine Performer vor, bevor jeder von ihnen selbst kurz zu Wort kommt. Die Anliegen rund um Sexpositivity, Stereotype, Queerness und das Patriarchat, welches gefickt wird (wie Darstellerin Maia Ceres betont), teilt man offen mit dem Publikum. Es folgt großzügiger Applaus. Mit dem anschließend Gezeigten eine tatsächliche Debatte anzustoßen, schafft „Joy 2022“ bedauerlicherweise nicht.
„Joy 2022“ will so divers wie möglich sein und zelebriert zum Beispiel die Clubkultur, den Fetisch als Mainstreamphänomen sowie die Leidenschaft zweier Liebenden, einer Rollstuhlfahrerin und einem weiblich gelesenen Mann, so selbstverständlich, wie es auch außerhalb des prunkvollen Theaters sein sollte. Während einige der Akte um das Begehren sich oft im Klischeegestrüpp verheddern (der Schlussteil um bunte Farben und orgiastischer Energie), können manche wie das gestöhnte „Sonata Erotica“-Solo von Jelena Kuljić mit Charme, Humor und ganz viel Selbstironie punkten.
So pulsiert die Inszenierung bei all der inhaltlichen Inklusivität, die begrüßenswert ist, zwischen herkömmlichen Höhe- und Tiefpunkten. Eine Szenerie abseits des Konventionellen, zeigt der älteste Darsteller in der Gruppe. Mit Hörnern ausgestattet und einem Buttplug im Po, propagiert er Selbstbefreiung und Selbstliebe. Ein ambivalenter Blick auf Trieb und Neugier. Auch wenn die Vorstellung vom selbst mitspielenden Vandevelde vor allem sichtbar zeigen möchte, dass wir komplexe sexuelle Wesen sind, kratzt das Ergebnis hier und da nur an der reizvollen Oberfläche, statt in die Tiefe zu gehen. Eine gesellschaftliche Evolution mit queeren Themen anzustacheln, ohne sie in eine neue Norm-Schablone pressen zu wollen, ist eben auch mehr als 50 Jahre später in 80 Minuten kein leichtes Vorhaben.