Grossstadtgeflüster im Posthof Linz
Foto: Christoph Leeb

Grosssadt­geflüster: Konfetti, Diadem und Yeah

„Trips & Ticks“ heißt das Album der Berliner Electropunk-Pioniere von Grossstadtgeflüster. Donnerstagabend im Posthof wurde deutlich, dass das Trio auch 2022 nichts an Energielevel verloren hat.

„Trips & Ticks“ – das aktuelle Album von Grossstadtgeflüster, das mittlerweile auch schon drei Jahre auf dem Musikbuckel hat. Die dazugehörige Tour gibts halt erst jetzt – aus Gründen. Gründe, die jeder kennt, aber ohne die ein Grossstadtgeflüster-Konzert halt einfach nicht funktioniert: Schweiß, Moshpits und Konfetti. Umso schöner, dass der Saal an diesem Abend im Posthof bummvoll war. Aber der Reihe nach.

Das Publikum war zwar anfangs leider nicht ganz ready, aber mit der Zeit wurde es kuschelig voll im großen Saal des Posthof Linz. Nicht nur Endorphine heizen diese Bude ein: Kerosin95 ist einfach keine Vorband. Eine halbe Stunde Spielzeit ist definitiv zu kurz. Die neuen Tracks ballern, die älteren Hits verlieren nicht an Aktualitätsbezug. Trans und Queer zu sein in der Musikbranche ist laut Kem „sau nervig“. Was bleibt da Anderes übrig, als diese Wut in Worte umzuwandeln, die dafür wenigstens die Miete zahlen? Mit der neuen EP „Trans Agenda Dynastie“ geht es nicht nur auf Tour, sondern auch mehr in Richtung Klubmusik, jedoch weiterhin kritisch, mit starken Lyrics und unglaublich viel Energie.

Nach einer relativ knappen Umbaupause ging es dann auch mit dem Mainact weiter. Grossstadtgeflüster – die gibt es mittlerweile auch schon (offiziell) seit sechzehn Jahren. Man könnte sie also als Pioniere (wohlgemeint) oder „Alte Hasen“ (ebenfalls wohlgemeint) des Electropunks bezeichnen. Neben orthopädischen Verschleißerscheinungen hat ein wohlbekanntes Virus dafür gesorgt, dass erst 2022 wieder mit dem aktuellen Album getourt wird. Macht ja nix – den 1000 Leuten an diesem Donnerstagabend im Posthof hat es gefallen.

Denn Tracks wie „Boykott“ sind auch und gerade 2022 aktueller denn je, und das Herz am richtigen Fleck hatten Großstadtgeflüster ja eh quasi immer schon. Eine Ode an die Couch, „Kartoffelsuppe“, den „Rollator mit dem Besten“, ein „Diadem“ und Burger um vier Uhr morgens sind musikalische Ausflüge in eine Welt, die „in Ordnung“ ist. Wobei „Ordnung“ im Rahmen eines Grossstadtgeflüster-Konzertes eher eine Richtlinie als eine Tatsache ist – Bengalen, Moshpits und Konfettikanonen in Großaufgebot gehören da nämlich irgendwie dazu und es ist schön, dass es schien, als wären sie niemals weggewesen. Gepaart mit einer wie immer nicht auf die Schnauze gefallene Jen am Mikro, sogar annehmbaren Fatoni-Imitationen dazwischen und einem „Ich muss gar nix“-Abriss am Schluss ein Konzert, das wenige Wünsche offen ließ. Wobei, einen schon: so lange darf es nicht mehr bis zum nächsten Gastspiel dauern!

Fotos: Christoph Leeb & Lisa Trost
Text: Christoph Leeb (Grossstadtgeflüster), Lisa Trost (Kerosin95)

Musik-Nerd mit Faible für Post-Ehalles. Vinyl-Sammler. Konzertfotograf mit Leidenschaft, gerne auch analog. Biertrinker. Eishockeyfan. "Systemerhaltende" Krankenschwester - wohl auch deshalb manchmal (zu) zynisch.