Foto: Elsa Okazaki

Das Tier im Dschungel

Das Tier im Dschungel von Patric Chiha platziert Henry James Geschichte (1903) in einen Club in Paris. Eine Reise durch die Clubkultur von 1979-2001 anhand schillernder Farben und nicht so schillernden Zuständen. Die Geschichte eines Mannes, John, der sein Leben wegwirft, weil er es damit verbringt darauf zu warten. Jeden Samstagabend an seiner Seite May, die Frau die ihn lieben wollte.

Sommer 1969, auf Super 8 Film festgehalten, John und May treffen sich mit 15 Jahren auf einer Feier. May tanzt und feiert, John sitzt auf der Tribüne und sieht zu. May setzt sich zu ihm, er verrät ihr ein Geheimnis. Das Geheimnis: er glaubt er ist für was Größeres bestimmt. Irgendwann in seinem Leben wird ihm was passieren, er weiß nicht wann oder was, aber ist überzeugt, wenn er nur darauf wartet, dann wird es kommen.

Das Leben lang aufs Leben warten

Die Zeit des Wartens verbringt er damit eigentlich nichts zu tun. Er hat keine Freunde, keine Interessen, geht nirgends hin, das was er hat ist eine Arbeit. Zehn Jahre später sehen sich die Beiden wieder in einem Club ohne Namen in Paris. John tanzt nicht, er ist stolz darauf, nicht zu tanzen. Er will nur am Balkon sitzen, sich aus dem Geschehen heraus nehmen. Die Türsteherin des Clubs leitet durch den Film. 

Henry JAmes im Club

Frei nach dem Text von Henry James „The Beast in the Jungle (1903)“, einer Geschichte eines Mannes, John, der sein Leben wegwirft, weil er es damit verbringt darauf zu warten. Das Thema ist allgegenwärtig und beschäftigt viele auf die ein oder andere Art. Es ist schmerzhaft, John dabei zuzusehen, wie er sein Leben wegwirft, sein Warten wird zur Frustration des Publikums. Mit seinem passiven Verhalten zieht er vor allem aber alle Leute um sich herum runter, vor allem May, diejenige, die trotz seiner Einstellung, oder vielleicht gerade deshalb fasziniert von ihm ist. Er hat keinen Dunst von Mays Leben oder von dem was sie will. Er hat kein Leben. Sie schon. Das zeigt der Film sehr eindeutig. Welche der gezeigten Figuren sympathisch sind, sind jene die fühlen, tun und einfach leben und vor allem lieben.

Diese Geschichte in den Club und nach Paris zu setzen macht Sinn, da der Club ein Ort des Ausgelassenen ist. Club, hedonistischer Gipfel aber auch Ausstiegsort, ein Ort, aus dem man dem Leben entfliehen kann, aber dennoch mitten drinnen ist. John sieht nur zu. Die Türsteherin findet dennoch Gefallen an ihm, und lässt ihn immer wieder rein. Zu Beginn nachvollziehbar, da er verlorener als die meisten wirkt. Wie sie ihn ihrer Narration sagt, weil er ein Geheimnis in sich trägt, welches niemand verstehen könnte. Im Laufe der Zeit ist es immer fragwürdiger warum er überhaupt noch rein darf, er trinkt nur Wasser, starrt die Leute an, verdirbt teilweise ihren Spaß, fühlt sich zu gut fürs Tanzen, will den Club aber auch nicht verlassen, wenn die Partygesellschaft sich auf ein Abenteuer der Nacht einlassen will. Mays Freundin Alice sagt sehr treffend: wer glaubt der eigentlich, wer er ist?

Tanzen, Feiern, Unsicherheiten

Die Clubszenen von 1979 bis in die frühen 80er sind schillernd, einladend, queer, lebensbejahend. Je länger John und May dort beisammen sind, desto ausladender wird auch der Club. Je weiter sie sich voneinander entfernen, beziehungsweise jedes Mal, wenn May genug von dem hat und wieder in ihr eigenes Leben tritt, dann wird der Club auch leerer, bis er in Verbindung mit der Aids-Krise vollkommen wortwörtlich ausgestorben ist. Jedes Mal, wenn John alleine im Club ist, ist das an ein trauriges historisches Ereignis geknüpft. Wenn ein positives historische Ereignis passiert, freuen sich alle und wollen sich in die Nacht stürzen, raus aus dem Club, leben, feiern, lieben. Doch John nicht.

John verkörpert ein fragiles unsicheres Ego aus purer Angst, was ihm in Endeffekt zu einem selbstgefälligen, egoistischen Einzelgänger macht. May, denkt, er ist der einsamste Mensch der Welt, will ihn lieben, geht mit ihm auf seine Reise. Damit zieht er, aber auch sie aus dem Leben. Die anderen Charaktere der Freund*innengruppe sind, auch wenn man fast nichts über sie erfährt, schillernde Persönlichkeiten. In extravaganten Kleidern und der Freude, die sie umgibt, sind sie gutmütig und fürsorglich. Je länger May Zeit mit John verbringt und sich dem Warten hingibt, desto egoistischer wird auch sie. Insofern, da sie ihre Freund*innen vernachlässigt. In dem sich selbst nicht zu verwirklichen und zu warten, und sich herauszunehmen, nimmt man sich auch aus den Leben der Liebenden heraus. So verletzt sie nicht nur sich selbst, sondern vor allem die Menschen die sie umgeben..

Fazit

Das Tier im Dschungel, eine Geschichte über das Warten. Muss man leben, um zu lieben, oder lieben, um zu Leben. Dies wirft Patric Chiha in den Raum, bevor der Film beginnt. Mit Liebe hat dieses Elend jedoch wenig zu tun, John liebt und lebt nicht, es ist frustrierend, anstrengend und desillusionierend. John ruiniert die ausgelassene Feierstimmung. Eine versuchte Homage an die Clubkultur, unterstrichen durch die Narration der Türsteherin. Der Club und sein Erbe und Johns selbstauferlegtes Schicksal clashen aufeinander, das eine spannend und auslassend, das andere anstrengend. Ein Metaphern geladener Film mit verschiedensten Elementen und Themen spielend und einem Protagonisten, der nervt. Passend zum Ort des Films, spielt der Filmmusiker Dino Spiluttini am Samstag im p.p.c. auf der Diagonale Party. „Man muss tanzen, das kann uns niemand nehmen“.


Das Tier im Dschungel

Spielfilm
AT/FR/BE 2023, digital, 103 min
Regie: Patric Chiha
Mit: Anaïs Demoustier, Tom Mercier, Béatrice Dalle, Martin Vischer, Sophie Demeyer


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