Judith Holofernes: vom Chaos, Optimismus und von der Liebe
Mit der Biografie „Die Träume anderer Leute“ hat sich die Künstlerin Judith Holofernes erneut mit ihren Texten einen Platz in unseren Herzen erschlichen.
Judith Holofernes – Musikerin, Geschichtenerzählerin, Podcasterin, Mittelsfrau, Mutter und Heldin. Diejenigen unter euch, die mit dem Namen nur sehr wenig anfangen können: Judith Holofernes war die Sängerin der rund um die 2000er sehr erfolgreichen Band „Wir sind Helden“. Songs wie „Nur ein Wort“, „Guten Tag“ oder „Denkmal“ sind bestimmt auch bei dir auf und ab gelaufen. Aber es geht in dem Buch weniger um die Helden, sondern vor allem um die Zeit nach 2012, nach der Auflösung der Band.
Natürlich findet man zwischen den niedergeschriebenen Teenagerträumen und aktuellen (Alltags-)Problemen auch die ein oder andere Helden-Anekdote. Erinnerungen von Erlebnissen, die von uns als Publikum am anderen Ende des Saals oder Festivals anders, schöner wahrgenommen wurden als von der Person auf der Bühne. Ganz ehrlich und unverblümt erzählt Judith Holofernes von ihrem ungewöhnlichen Leben.
Am Mount Everest sterben die meisten Leute beim Abstieg.
Die „glanzvollen“ Heldenjahre sind vorbei, mit Müh und Not wurden die letzten Konzerte gespielt bis endlich der wohlverdiente Ruhestand anstand. Ein Ruhestand, der sich für Judith Holofernes jedoch nicht so anfühlte. Die letzten Jahre auf Tour mit Kindern und Co haben ihre Tribute gefordert. Eingeigelt in ihrer Hasenwohnung startet sie den fünfjährigen Regenerationsprozess, welcher im Buch im Detail beschrieben wird. Es wird vom „Abstieg“ gesprochen, ein Abstieg in ein normales Leben bzw. ein Abstieg von der erfolgreichen Popkünstlerin hin zur Nischen-Indiemusikerin und Autorin.
Zwischen Zyankaliträumen, Bodyshaming, Kindererziehung, dem Druck von Label und gesundheitlichen Problemen passiert Kunst. Kunst in einer Vielfalt, welche kaum zu greifen ist. Dies wird im Schatten des Erfolges der Helden aber anders gesehen bzw. kaum gewertet. Die Autorin stellt sich im Buch folgende Fragen: Darf ich es mir erlauben, mit weniger Erfolg glücklich zu sein? Ist es überhaupt möglich, würdevoll Abstand vom Erfolg zu nehmen?
Weniger Erfolg zu haben, als man einmal hatte, ist ein Tabu, besetzt mit schamvollen Bildern von Suff, Dschungelcamps und Auftritten in Möbelhäusern.
Judith Holofernes
Fazit
Das Lesen der Biografie brach mir teilweise das Herz. Nachzulesen, mit welchem Leid sich die Schöpferin der für mich so prägenden Lieder quälen musste, war für mich überraschend. Auf der Bühne, ob als Heldin oder als Judith Holofernes, war dies für mich nie erkennbar. Ich nahm sie als Powerfrau und Vorbild wahr. Den Struggle mit Gesundheit, Kindern und eigenen Erwartungen bekam ich so nicht wirklich mit bzw. hab ich zugegebener Maßen auch nicht danach gesucht oder mich damit beschäftigen wollen.
Die Autorin verblüfft einen durch ihre Offenheit über Themen, welche oft in selbst geschriebenen Biografien nicht zu finden sind. Sie erzählt uns von ihrer Trauer, ihrem Schmerz, ihrer Verletzlichkeit und ihren Rückschlägen als wären wir Freund*innen welche sich eben zum Tee oder Kaffee getroffen haben. Mit dieser Ehrlichkeit in den Seiten fühlt man sich unheimlich verbunden mit der Autorin. Gleichzeitig schleicht sich auch das schlechte Gewissen ein, denn wie kann man sich als Fan bezeichnen und gleichzeitig von all den Problemen nichts wissen? Man hofft auf ein Happy End, was zwischendurch teilweise in weite Ferne rutscht.
Ein Buch zum Weinen und Lachen. Textstellen, welche mit so viel Gefühl geschrieben worden sind und unheimlich schön sind. Zwischen den Kapiteln findet man immer wieder passende Zitate von den viel geliebten Songs aus der Feder von Judith Holofernes.
Die Reise der Judith Holofernes nachzulesen und sie bei ihrem Wachsen zu begleiten war für mich ein wunderschönes Erlebnis, was ich nur weiterempfehlen kann.
Die Träume anderer Leute
von Judith Holofernes
Kiepenheuer & Witsch
407 Seiten, Deutsch, Gebundene Ausgabe
€ 24,70
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