Bleib dir selbst treu: Ville Valo im Interview

Der ehemalige HIM-Frontmann Ville Valo bleibt sich auf „Neon Noir“, seinem ersten Soloalbum, absolut treu. Eine Eigenschaft, die gesellschaftlich ungemein positiv konnotiert ist.

Der inzwischen zum Elder Statesman des poppigen Goth-Rock gereifte Finne bietet den Zuhörern jedenfalls ein selbstreferentielles Werk an, welches mit vielen neuen Lieblingsstücken wie „Salute The Sanguine“, „The Foreverlost“ oder „Saturnine Saturnalia“ zu überzeugen weiß. Ohne seinem Schatten enkommen zu wollen, wurde das Konzept verfeinert und präsentiert sich so geschlossen wie nie zuvor. Selbst das alte Logo wurde recycelt und findet wieder, in leicht abgeänderter Form, Verwendung. Damit repräsentiert VV, gewollt oder ungewollt, absolut den Zeitgeist.

Eine totale Neuausrichtung sollte man vom 46-Jährigen nicht erwarten, aber doch viele Nuancen, die man in dieser überdeutlich anzumerkenden Homogenität so noch nicht gehört hat. Ein Interview mit VV über die eigene Identität als Musiker, den Einfluss von Playlisten und Netflix.

© Jonas Brandt

subtext.at: Ville, welcher Faktor war für dich am überraschendsten bei der Entstehung von „Neon Noir“?
Ville Valo: Dass ich es überhaupt fertiggestellt habe. Zuerst hielt ich es für eine übertrieben idiotische und lächerliche Idee, geradezu pompös und episch, ein Soloalbum kreieren und aufzunehmen zu wollen. Da ich jedoch keine Deadline hatte, fügte sich nach und nach alles zusammen. Ich habe relativ klein angefangen und einen Song nach dem anderen abgearbeitet. (überlegt kurz) Eigentlich fühlte sich der ganze Prozess für mich seltsam an. Für mich ist es weiterhin ziemlich surreal, dass ich die Platte zustande gebracht habe.

subtext.at: Keine Deadlines zu haben, ist das etwas, was du befürwortest?
Ville Valo: Eigentlich nicht. Ich liebe Deadlines. Ich kreiere wie ich sie nenne „Ghost Deadlines“ nur für mich. Damit ich sozusagen einen persönlichen Rahmen habe. Ich denke nicht, dass es verkehrt ist, in allen Bereichen des Lebens solch eine Struktur zu schaffen. Was das Kreative anbelangt, ist es unerlässlich, weil man sich sonst ewig verzettelt und endlos herumdoktert.

subtext.at: Ich war total verblüfft, wie homogen „Neon Noir“ geworden ist.
Ville Valo: Cool.

subtext.at: Das habe ich überhaupt nicht erwartet. Es hat von Anfang bis Ende einen bestimmten Flow und wirkt sprichwörtlich wie aus einem Guss. Heutzutage kann man das nicht mehr über viele Alben sagen.
Ville Valo: Ich denke sogar, dass es homogener ist als jedes einzelne HIM-Album. Es hat wahrscheinlich damit zu tun, dass ich mich um jeweils einen Song gekümmert habe und nicht um viele gleichzeitig. War einer fertig, ging es zum nächsten. Ich war stets im Stande, zu reflektieren und diese Einsicht mit ins nächste Lied zu nehmen. Nach einem eher rockigen Stück wollte ich dann ein eher stimmungsvolles kreieren und umgekehrt, was vielleicht den Flow des Albums erklärt . Wie eine Achterbahnfahrt. Das könnte vielleicht eine Erklärung dafür sein, wobei ich mir da auch nicht ganz sicher bin.

subtext.at: Was macht überhaupt ein homogenes Album für dich aus? Und ist es heute überhaupt noch wichtig oder relevant?
Ville Valo: (überlegt) Die Frage ist eher, ob ein Album generell noch als wichtig angesehen wird oder nicht. Ich habe das Gefühl, dass wir zurück in die Zeit der 40er und 50er zurückgehen, als es einzig um eine Single ging und anschließend auf einem Album mehrere zusammengefasst wurden. Wenn man das so betrachtet, dann ja, ist ein Album nach wie vor wichtig und relevant. Ein Album als Kunstform zu betrachten, halte ich nach wie vor für wichtig. Das erklärt auch den Boom rund um Vinyl und Sondereditionen, die aufgelegt werden. Es ist eine Welt für sich.

Es geht nicht nur um einen Song, um ein Album, sondern auch um das ganze drumherum. Die Verpackung, das Visuelle. Als ich angefangen habe, mich in den 80ern für Musik zu interessieren, gab es große Bands wie zum Beispiel Iron Maiden. Die hatten diese Artworks, dann eine fiktive Figur wie Eddie, da konnte man wirklich in eine andere Welt eintauchen. Oder Zitate von H.P. Lovecraft auf dem „Life After Death“-Cover, was mich dann dazu gebracht hat, mich mit ihm zu beschäftigen und seine Werke zu lesen. Ich sage nicht, dass Iron Maiden in ihrer Kunst besonders intelligent gehandelt haben, aber sie haben etwas angeboten. Mehr als einem schnöde Popmusik bereit ist zu geben. Wir reden hier von dem Vergnügen in genau diesem Moment. Die Welt des Rock hat da definitiv mehr zu bieten.

subtext.at: Denkst du im kreativen Prozess darüber nach, dass sich die Hörgewohnheiten nun mal verändert haben?
Ville Valo: Nun ja, ich war schon immer ein Freund von Mixtapes. Jetzt sind es eben Playlisten, die darüber bestimmen, was angesagt ist und was nicht. Die funktionieren heute wie früher die A&R-Leute der Plattenfirmen, die darüber entscheiden, was populär ist. (überlegt kurz) Es ist unglaublich toll, wenn eine unbekannte Band aus dem Nirgendwo ihre Musik auf einer Plattform wie CD Baby der Welt zugänglich machen kann. Man braucht dennoch einen Filter, weil die Menge einen erschlägt, die heutzutage erhältlich ist. Es ist wie mit Netflix. Am Anfang fand ich das Konzept spannend und toll, mittlerweile ist es oft so, dass ich gar nicht mehr weiß und mich nicht entscheiden kann, was ich eigentlich anschauen soll. Ich bin dadurch so irritiert, dass ich letztlich einfach gar nichts anschaue (lacht).

subtext.at: Willst du den Leuten als Musiker und Künstler noch etwas beweisen oder ist das für dich inzwischen abgehakt?
Ville Valo: Ich glaube, es geht darum, den Leuten zu zeigen, dass man es noch kann. Es wie ein Spiegel, den man dem Publikum entgegenhält. Man möchte, dass einen die Leute so sehen wie man sich selbst im Spiegel sieht. Natürlich muss man auch realistisch sein. Wahrscheinlich werde ich nicht der nächste Michael Jackson werden, was ich auch gar nicht möchte (lächelt). Es tobt noch immer das Kind in mir, welches auf dem Mond spielen will. Das halte ich für sehr wichtig.


© Juha Mustonen

subtext.at: Stell dir vor, du reist in die Vergangenheit und spielst deinem jüngeren Ich „Neon Noir“ vor. Wie würde der junge Ville das Album wohl aufnehmen?
Ville Valo: Ich denke, er wäre zufrieden (lächelt).

subtext.at: Vor zehn Jahren hast du in unserem letzten Gespräch gemeint, dass HIM deine absolute Priorität genießt. Lagst du damals falsch? Die Band hat sich ja 2017 überraschend aufgelöst.
Ville Valo: Ich denke nicht, nein. Das war mein damaliger Standpunkt und zu dem stehe ich nach wie vor. (überlegt) Es ist wichtig, keinen Plan B zu haben. Du steckst all deine Energie in eine Sache und konzentrierst dich nur darauf. Natürlich ändern sich Dinge manchmal, wenn man so lange als Gruppe aktiv war wie wir. Ich hatte damals jedenfalls nicht vor, zweigleisig zu fahren. (überlegt) Andere Leute werden sesshaft, gründen eine Familie. Ich habe mich anders entschieden, ich habe nur die Musik. Ich kann den Leuten etwas geben, was mich persönlich erfüllt. Jetzt, mit etwas Abstand, kann ich nur sagen, dass meine Solokarriere meine volle Aufmerksamkeit genießt.


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