Kind im Wasser
Foto: Kiana Bosman / unsplash

Daniel Glattauer: Die spürst du nicht

Ist das rassistisch? Diese Frage stellt man sich oft. Sind die eigenen Sorgen und Ängste rassistisch. Sind Aussagen von anderen rassistisch oder sind die Bücher rassistisch? Gerade mittelständische linke liberale Menschen in Österreich hinterfragen sich diesbezüglich oft zu wenig oder manchmal zu viel. Es entsteht eine große Unsicherheit.

Zu Beginn muss an dieser Stelle ein SPOILER ALERT gegeben werden. Denn über das Buch „Die spürst du nicht“ von Daniel Glattauer zu sprechen erfordert eine relativ genaue Beschreibung der Handlung.

Mit schönen Worten und sehr genauer Beobachtung wird der erste Tag im Urlaub in der Toskana zweier Familien beschrieben. Charaktere und Hintergründe geben greifbare Einblicke in die Psyche der Menschen. Nur eine Person sticht dabei heraus. Die vierzehnjährige Aayana, die Schulfreundin der gleichaltrigen Tochter. Sie ist ein schüchternes Flüchtlingskind aus Somalia und mit Müh und Not auf diese Reise mitgenommen worden. Man ist eigentlich gerade noch beschäftigt sich ein Bild der Elternteile zu machen, da passiert das große Unglück. Aayana ertrinkt unbemerkt im Pool der Villa.

Medienschuld

Der ganze Roman wird von nun an begleitet von Zeitungsartikeln und den Kommentaren der Leserinnen und Leser. Die Anonymität des Internets spuckt die brutale Wahrheit der Menschen aus. Doch das Erschreckende ist, wenn man selbst unter Artikeln zum Thema Flüchtlinge die Kommentare liest, wird man genau diesen Spiegel der Gesellschaft finden.

Zwei der Familienmitglieder werden besonders genau in ihrem Umgang mit den Konsequenzen des Unfalls beschrieben. Die Tochter, die sich in die digitale Welt komplett zurückzieht und am Ende am Abgrund steht. Dazu die Mutter, eine grüne Umwelt-Politikerin, die sich in Vermeidung zurückzieht. Fast unerwartet kommt dann die Klage auf Schmerzensgeld, von den Eltern des verstorbenen Mädchens. Diese Klage deckt am Schluss eine furchtbare und desillusionierende Fluchtgeschichte auf und jagt nicht nur im Buch allen einen eiskalten Schauer über den Rücken.

Daniel Glattauer, ein sehr bekannter österreichischer Autor, den viele wahrscheinlich noch von „Gut gegen Nordwind“ kennen, rüttelt an der Blase der toleranten „Gutmenschen“. Doch will man ein System, bei dem man an der Spitze steht, tatsächlich umwerfen? Wir leben auf dem Rücken von anderen und natürlich wollen wir das nicht, aber wir wollen auch niemals das Leid teilen müssen.
Es ist ein schwerer Roman, ein schweres Thema. Doch durch einen lockeren Schreibstil und erfrischende Arten des Szenenaufbaus ist das Buch auch für eher sensiblere Gemüter verdaubar. Die Persönlichkeit der Menschen ist sehr intelligent aufgebaut. Gerade der Vater, der seine Allgemeinbildung als Teil seines Charakters sieht oder der überzeugte Staranwalt sind so aus dem echten Leben gegriffen, dass man glaubt, sie zu kennen. Gerade diese Echtheit der Personen lässt das Schicksal der Flucht noch tiefer unter die Haut gehen.

FAZIT

Man bewegt sich gewollt oder ungewollt immer in Blasen. Sich mit anderen Einstellungen und Ansichten zu beschäftigen, ist anstrengend. Aber genau daraus entsteht ein Überlegenheitsgefühl. Wir sind besser als die Rechten, wir sind gebildeter als die Amerikaner. Wir sind intellektueller als die Ausländer. Aber niemand meint es böse und niemand spricht es aus. Dieses Buch spricht es aus und reißt diese scheinheilige „eh-nicht-rassistische“ Blase auf.


Cover Die spürst du nicht  von Daniel Glattauer

Die Spürst du nicht

von Daniel Glattauer

Zsolnay Verlag
304 Seiten, Deutsch, Gebundene Ausgabe

€ 25,70
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Für den Kopf im Labor, für die Seele am Schreiben. Wenn ich über ein gutes Buch rede, einfach unterbrechen. Das könnte sonst lang dauern.