Filmstill aus "How to save a dead Friend"
Foto: Crossing Europe, Marusya Syroechkovskaya

How to save a dead Friend

„Ich dachte immer, es kann niemanden geben, dem es schlechter geht als mir. Aber du gibst mir Hoffnung.“ Marusya Syroechkovskaya begann im Alter von 16 ihren Alltag mit der Kamera zu dokumentieren, nachdem sie beschloss, dass dies ihr Todesjahr wird. Unerwartet trifft sie Kimi, und ihr Leben ändert sich schlagartig.

„How to save a dead Friend“ gehört der Kategorie European Panorama Documentary an und wird im Rahmen des Crossing Europe 2023 zum ersten Mal in Österreich ausgestrahlt. Die Dokumentation besteht aus privaten Videoaufnahmen, die in einem Zeitraum von mehr als einem Jahrzehnt das Leben der Regisseurin Marusya Syroechkovskaya beziehungsweise ihr Umfeld widerspiegeln. Im Jahr 2005, als sie 16 Jahre alt war, beschloss sie mit den dokumentarischen Aufnahmen zu beginnen – vorerst für ein Jahr lang. Marusya gehört zu der jungen Generation, die erwachsen wurde, während Russland’s nationalistische Träume Fuß fassen. Dies brachte Aufstände, Gewalt und große Angst mit sich, die unter einer jungen, vergessenen Generation zu einer Welle an Suiziden führte.

Ein Jahrzehnt

Die erste Szene beginnt mit dem Ende der Erzählung. Marusya, weinend, in den Armen ihrer Mutter. Es stellt sich heraus, dass wir hier Aufnahmen der Beerdigung von ihrem geliebten Kimi sehen. Im November 2016 beendete er sein Leben, obwohl doch er der Grund war, warum Marusya’s noch nicht enden sollte. Marusya war Teil davon, was sie selbst als „bad trip“ des 21. russischen Jahrhunderts beschreibt. Die Sicht auf ihr Heimatland ist von Beginn an klar: „Jeder weiß, dass Russland für die Depressiven ist.“

Marusya scheint eine glückliche Kindheit gehabt zu haben, träumte davon eines Tages ihren eigenen Film zu drehen. Nach und nach erfahren wir, dass sie als Teenager in Schwierigkeiten geriet, einen Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik hatte, sich selbst verletzte und sich mit Selbstmord beschäftigte. Im Alter von 16 Jahren entschied sie, sich selber und ihrem Leben noch ein Jahr zu geben, bevor auch sie ihres beenden will. Schicksalhaft lernt sie wenig später den rebellischen Kimi kennen, einen intelligenten, ironisch-humorvollen Anhänger von Nirvana und Joy Division. Eine kitschige Diashow der Romanze, des von Stunde eins unzertrennlichen Paares zeigt deutlich, wie verbunden die beiden waren. Sie heiraten schnell, bekommen zuerst Katzensohn „Ian“ (benannt nach Joy Division’s Ian Curtis), gefolgt von einer zweiten Katzentochter.

Von Beginn an ist ihre Beziehung aber auch von dunklen Wolken beschattet. Depressionen sind eine Konstante im Leben des Paares, welche sich auch durch ihren Freundeskreis zieht. An einer Stelle zählt sie eine Liste von Freunden auf, die auf verschiedenste Weisen Suizid begingen. Nicht nur der Tod, auch die Drogen bestimmten ihr Leben. Kimi wurde schließlich Heroinabhängig, wie auch sein um 18 Jahre älterer Bruder Andryusha. Kimi und Andryusha kamen aus ärmeren Verhältnissen. Der Vater verstarb sehr früh, damit konnte schwer umgegangen werden. Auswege waren seit seinem jüngsten Leben Alkohol und Substanzen, um den Schmerz, und später auch die wiederkehrenden Depressionen zu ertränken.

Filmstill aus "How to save a dead Friend"
Foto: Crossing Europe

Eine Situation in der Doku schildert den Zeitpunkt, ab welchem Marusya klar wird, dass Kimi die Drogen wichtiger waren als sie selbst. Sie beschreibt, dass diese Erkenntnis die schlimmsten Schmerzen in ihrem Leben waren. Sie könnte sich selber nicht mehr Leid zuführen. Die Ehe schlittert steil bergab, und obwohl Marusya Kimi nach wie vor liebte, kam es zur Scheidung. Kimi’s körperlicher und geistiger Zustand wurde zunehmend schlimmer. Gegen seinen Willen bringt ihn seine Mutter in eine Entzugsklinik. Innerhalb von zwei Jahren war Kimi fünf mal auf Entzug, kippte aber immer wieder zurück in den Drogenkonsum.

Auch nach der Scheidung weicht Marusya Kimi nicht von der Seite. Eine tiefe, zärtliche Verbindung bleibt bis zu Kimi’s Tod bestehen. Vor allem in der Entzugsklinik steht sie ihm bei, nachdem sie weiß, wie schlimm es ist, dort gefangen zu sein. Sie beschreibt, es wolle einem niemand helfen. Man wird ruhig gestellt, bekommt Medikamente über Medikamente, wird aber nicht geheilt. Schnell erkennt Kimi diese Tatsache, und möchte sich genau dies zum Vorteil machen. „Warum soll nicht der Staat für alles bezahlen?“ Geschickt wickelt er seine psychologische Betreuung um den Finger, um so an Mengen von Medikamenten zu kommen. Marusya vertreibt ihre Unzufriedenheit durch Kunst, Musik, Film und Fotografie. Sie scheint auch an politischen Protesten beteiligt zu sein, wie manche Aufnahmen von Demonstrationen zeigen. Nicht immer wird genau erklärt, worum es dabei geht. Syroechkovskaya markiert das Verstreichen der Zeit unter anderem durch russische Fernsehsendungen zum Jahreswechsel.

Das Ende

Viele Jahre vergingen, viele Tage in Entzugskliniken, und immer wieder ein Rückfall. Während es mit Marusya bergauf zu gehen schien, erlitt Kimi immer wieder Rückschläge. Vielleicht wollte er nie wegkommen von den Substanzen, die ihn zugleich am Leben hielten, letztendlich aber umbrachten. Wir erfahren nicht genau wie (was sehr gut ist), dafür genau wann, und sind somit wieder zurück an der ersten Szene – seinem Begräbnis. Im November 2016 endete das junge Leben von Kimi Morev. Er hinterließ seinen Bruder, seine Mutter, und Marusya, seine große Liebe. In der letzten Szene hören wir die Worte, die ihr Kimi zum Abschied hinterließ.

Fazit

Durch die gesamte Doku zieht sich das dauerhafte Band der Zärtlichkeit und des Vertrauens zwischen dem jungen Paar, dabei mag man ab und zu übersehen, wie schief deren Leben läuft. Marusya Syroechkovskaya spricht selber die Erzählungen ein, die zwischen den Videoaufnahmen die innige Geschichte der beiden erzählt. Zusätzlich sehen wir immer wieder Aufnahmen, die Sinnbilder darstellen sollen und die Umgebung, Luftaufnahmen, sowie Plattenbauten ihrer Heimat zeigen. Visuell rau im klassischen Videotagebuch-Stil, hat der Film auch Momente beeindruckender Schönheit. Nicht zuletzt, wenn Marusya das Bild von Kimi auf einem Tablet digital bearbeitet.

Marusya Syroechkovskaya startete ein Projekt, welches sie selber in einem Jahr mit ihr zusammen sterben sah. Kimi Morev kam unerwartet in ihr Leben, begleitete es aber lange genug, um sie zu retten. Kimi konnte nicht gerettet werden, konnte es auch selbst nicht tun. Diese Dokumentation zeigt das Leben und Ableben von jungen Menschen in Russland zu Beginn der Nullerjahre, und soll aufmerksam machen auf psychische Gesundheit bzw. Krankheit. Marusya teilt ihre persönliche Geschichte, intimste Einblicke in ihr Privatleben und gleichzeitig die missliche Situation, in der sie sich neben so vielen Gleichaltrigen befunden hat. Es fällt mir extrem schwer, Worte zu finden, die diesen emotionalen Film beschreiben. In jedem Fall möchte ich ihn weiterempfehlen, Triggerwarnung nicht ausgeschlossen.


Fotostill aus "How to save a dead Friend"

How to save a dead Friend


Regie: Marusya Syroechkovskaya
Schweden, Norwegen, Frankreich, Deutschland 2022
color, 104 Minuten, russisch, OmeU
mit Marusya Syroechkovskaya, Kimi Morev

www.howtosaveadeadfriend.com


Crossing Europe 2023

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filmfestival linz
26 april – 01 mai 2023
www.crossingeurope.at

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