DAVOR/DANACH – eine ungewöhnliche musikalische Liebesgeschichte

Das Theater Spielraum in Wien ist Schauplatz des Zwei-Personen Musicals „DAVOR/DANACH“, das unter die Haut geht. Denise Jastraunig und Florian-Sebastian Fitz begeistern in dem ungewöhnlichen Erzählstrang, der Gegenwart und Vergangenheit geschickt miteinander verwebt. Der unverstärkte Gesang und die Begleitung durch ein Musiktrio erzeugen dabei eine intime Atmosphäre.

DAVOR/DANACH – Das Kammermusical aus der Feder von Stuart Matthew Price entstand auf Anfrage einer Theatergruppe aus Japan. Die Ergänzung des Originalkonzepts durch Buch und weitere Songtexte erfolgte durch Timothy Knapman. Bis es schließlich im Jahr 2020 als Streaming-Version veröffentlicht und die szenische Liveaufführung in den Niederlanden stattgefunden hat, wurde das Musical in den unterschiedlichsten Workshop-Versionen erprobt. Am 10. April 2024 feierte das Musical auch seine deutschsprachige Premiere im Theater SPIELRAUM in Wien, wobei Robert G. Neumayr die Übersetzung ins Deutsche sowie die Inszenierung übernommen hat. Für das Theater SPIELRAUM, ehemaliges Erika-Kino, ist dies die erste Musicalaufführung.

Die Handlung

Das Liebespaar Ami und Ben trifft sich nach Jahren – im DANACH – wieder. Während Ami sich noch an all die gemeinsamen Momente erinnern kann, hat Ben sein Gedächtnis bei einem Autounfall verloren. Ami entscheidet sich dazu, Ben nichts von deren gemeinsamer Vergangenheit – dem DAVOR – zu erzählen und inszeniert ein neues Kennenlernen, damit sie beide noch einmal von ganz vorne anfangen können. Diese zweite Chance für die Liebe, die sie bekommen, will sie nicht ungenutzt verstreichen lassen.

denn diesmal wird es anders. diesmal funktionierts. Diesmal sehn wir den Weg, gemeinsam unser Bild zu malen von einer perfekten Welt.

Ami

DAVOR/DANACH – Was vorher war

Erst im Laufe des Stückes werden in Rückblicken nach und nach Details über die Geschichte der Beiden bekannt. Es stellt sich heraus, dass damals in deren Beziehung nicht alles so gut gelaufen ist, wie man es möglicherweise nach Amis Enthusiasmus über deren Wiederbegegnung zu Beginn des Stückes vermuten könnte. Die beiden waren unglücklich mit deren Lebenssituation und haben sich immer weiter voneinander entfernt. Als Ben damals nach einem Streit schließlich einfach verschwunden ist und nicht auf Amis Anrufe reagiert, versucht die verlassene Ami, sich mit der Trennung zu arrangieren und ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen.

Erspar mir einen deiner weiteren Neuanfänge bitte. Das Leben ist nicht eines deiner Bilder, Ben. Du kannst sie nicht einfach zerreissen und von vorne anfangen.

Ami

Um mit diesem Teil ihres Lebens abzuschließen, geht sie – im DANACH – noch ein letztes Mal an jenen Ort, welcher der Lieblingsort der beiden war. Auf den Hügel mit Weitblick und Baum. Doch dort steht plötzlich Ben vor ihr. Ohne Erinnerungen an sie, ihre gemeinsame Beziehung und sein gesamtes Leben vor dem Autounfall. Lediglich mit dem Gefühl, dass dieser Ort etwas Besonderes für ihn bedeutet.

Es wird dynamisch und raffiniert zwischen den Zeitebenen gewechselt, teils sogar während der Songs. Dadurch erfahren die Zuschauer:innen häufig unerwartet neue Details, die auch teils sehr überraschend sind. Zudem verdeutlichen sie Amis innere Zerrissenheit, wann sie Ben die Wahrheit über ihre tatsächliche Geschichte erzählen soll. Sie versucht, Ben bei der Gestaltung seiner beruflichen Zukunft zu helfen und entscheidet sich schließlich auch dazu, seinem Gedächtnis mit einem Bild, das er damals gezeichnet hat, auf die Sprünge zu helfen. Als er dieses schließlich ansieht, kommen all seine Erinnerungen zurück, er sieht ein, dass sie einander damals nicht gutgetan haben und verlässt Ami. Vorerst jedenfalls. Das Stück endet mit einem weiteren Aufeinandertreffen bei deren gemeinsamem Lieblingsplatz und einem Happy End für deren Beziehung.

Unvergleichliche Atmosphäre

Jeder, der schon einmal eine Musicalproduktion gesehen hat, kennt sie vermutlich. Die imposanten Klänge eines Orchesters, die überwältigende Stimmgewalt eines Ensembles und die opulenten Bühnenbilder. Doch es geht auch anders. Ohne großes Orchester. Ohne riesiges Ensemble. Ohne aufwendiges Bühnenbild. Ohne Verstärkung. Ganz pur. Dies zeigt das Kammermusical DAVOR/DANACH ganz eindrucksvoll.

Die erste Reihe des Publikums sitzt auf einer Ebene mit der Bühne, Denise Jastraunig als Ami und Florian-Sebastian Fitz als Ben sind häufig nur einen Meter entfernt. Ein Musical zum Angreifen. Hin und wieder hat man als Zuschauer:in fast das Gefühl, Teil des Stücks zu sein. Diese intime Atmosphäre mit nur 30 Menschen im Publikum lässt bei den gut eingesetzten humorvollen Momenten des Stückes selbst jedes noch so leise Lachen durch den Theaterraum klingen.

Musik und Schauspiel

Getragen wird das Musical von einem Musiktrio bestehend aus Klavier, Cello und Gitarre unter der musikalischen Leitung von Bernhard Jaretz, der auch am Klavier sitzt. Das Cello spielt an diesem Abend Margarethe Vogler und die Gitarre Niko Georgiades. Die Musiker sitzen dabei seitlich auf der Bühne, unter dem Baum, der von unzähligen Schwarz-Weiß-Zeichnungen bedeckt ist. In ihrem weißen Outfit mit schwarzen Linien als Detail erwecken sie fast den Eindruck, Teil eines Kunstwerks zu sein.

Die Wahl der Kleidung von Ami und Ben ermöglicht schnelle Wechsel zwischen dem DAVOR und dem DANACH. In der Erzählung der Zeit vor dem Unfall tragen die beiden schwarz-weiße Kleidung. Im DANACH setzt Anna Pollack auf Farbe. Amis floraler Wickelrock und Bens bunte Strickweste verdeutlichen die Sprünge zwischen den Zeitebenen.

Denise Jastraunig und Florian-Sebastian Fitz beeindrucken mit authentischem und ausdrucksstarkem Schauspiel und ihren wundervollen Stimmen. Beide sind aufgrund des dichten Aufbaus des Stückes beinahe über die gesamte Dauer von zwei Stunden auf der Bühne zu sehen. Die Geschichte sowie die transportierten Emotionen erreichen das Publikum dabei bis zur letzten Sekunde.

Braucht es ein Happy End?

Die letzte Sekunde. Das Ende des Musicals DAVOR/DANACH. Es kommt etwas überraschend. Ordnet sich Ami im DAVOR noch ihrem Vater unter und lernt zunächst mit dem fehlenden Verantwortungsbewusstsein und der unverlässlichen Art von Ben zu leben, so scheint sie im DANACH eine selbstständige Frau, die mitten im Leben steht. Dennoch ist sie bereit, über all diese Dinge hinwegzusehen und ihrer Liebe noch eine Chance zu geben. Als Ben sich wieder an alles erinnern kann, erkennt er, welch Fehler er damals begangen hat, befindet sich nicht gut genug für Ami und verlässt diese. Mit seinem Abgang von der Bühne hat man sich im Publikum fast schon mit diesem Ausgang der Geschichte abgefunden. Ben kommt allerdings nochmal zurück und das Kammermusical endet mit einem „Happy End“. In all diesen Momenten wird die innere Zerrissenheit von Ami und Ben durch eindrucksvolles Schauspiel fast greifbar.

Fazit

Magisch. Besonders. Intim. Ein Musicalabend der besonderen Art, der definitiv in Erinnerung bleiben wird. Einzig das Ende lässt einen etwas nachdenklich zurück. Die Versöhnung und deren gemeinsamer Neuanfang werfen angesichts vergangener Ereignisse einige Fragen auf. Doch ohne die Nutzung dieser ungewöhnlichen zweiten Chance blieben die Antworten auf diese Fragen wohl für immer im Ungewissen.

Vielleicht ist was danach kommt ja besser als davor.

Ami

Bestenfalls macht man sich selbst ein Bild davon, wie man zu dieser zweiten Chance in der erzählten musikalischen Liebesgeschichte für Ami und Ben steht. DAVOR/DANACH ist auf jeden Fall ein Musical, das einen wundervollen Abend garantiert und vor allem die Künstler:innen, verdienen sich jeden Abend eine ausverkaufte Vorstellung . In diesem Sinne: DAVOR/DANACH ist noch bis 4. Mai 2024 (25.-27. April & 1.-4. Mai) jeweils um 19:30 Uhr im Theater Spielraum zu sehen. Karten können auf der Website des Theater Spielraums reserviert oder bei Culturall gekauft werden.