Anna Thorén (Heidi Hansen) und Denis Riffel (Evan Hansen) gegen Ende des Musicals Dear Evan Hansen
Foto: Konstantin Zander

Dear Evan Hansen in Gmunden – „Du wirst gehört“

Die deutsche Erstaufführung des international gefeierten Musical-Dramas „Dear Evan Hansen“ begeistert das Publikum beim Musicalfrühling Gmunden. Behandelt werden gesellschaftliche Themen wie Angststörungen, Depression, Trauer, Suizid und die Macht des Internets – mit Mündung in einer positiven Message.

Das moderne Erfolgsmusical stammt aus der Feder von Benj Pasek und Justin Paul, dem erfolgreichen Duo, das auch hinter Hits wie „The Greatest Showman“ und „La La Land“ steht. Das Libretto von Steven Levenson ergänzt die eingängige Musik perfekt, und so erfolgte im Jahr 2017 die Auszeichnung von Dear Evan Hansen durch sechs Tony Awards. Darunter auch mit jenem für „Bestes Musical“. 2018 erhielt die Albumaufnahme einen Grammy. Nach den erfolgreichen Spielzeiten am Broadway und dem West End ist die international gefeierte Produktion nun erstmals im deutschsprachigen Raum zu sehen – und das in Gmunden.

Die Handlung

Im Mittelpunkt der Handlung steht Evan Hansen, ein unter Angststörungen leidender und in der Schule als Außenseiter behandelter Jugendlicher. Er bekommt im Rahmen seiner Therapiestunden die Aufgabe, Briefe an sich selbst zu verfassen. Diese sollen ihm helfen, seine sozialen Ängste einzudämmen und sich die schönen Aspekte seines Lebens vor Augen zu führen.

Lieber Evan Hansen, das wird heute ein großartiger Tag und ich sage dir auch warum …

Savio Byrczak (Jared Kleinman), Denis Riffel (Evan Hansen) und Jelle Wijgergangs (Connor Murphy)
Foto: Konstantin Zander

Einer dieser Briefe gelangt allerdings in falsche Hände – in die seines Mitschülers Connor Murphy. Als dieser kurze Zeit später Selbstmord begeht und dessen Eltern Evans Brief bei ihrem Sohn finden, schließen sie daraus, dass Evan und Connor beste Freunde gewesen seien. Evan verpasst den Moment, das Missverständnis aufzuklären. In der Euphorie, endlich dazuzugehören, verstrickt er sich immer mehr in sein Konstrukt aus Lügen. Diesem kann er erst entkommen, indem er sich selbst erkennt und sich selbst so annimmt, wie er ist.

Die Kernbotschaft des Musicals: Jeder Mensch wird gesehen und gehört. Ganz gleich in welcher Situation sich jemand befindet, ob Außenseiter:in oder nicht, ob soziale Ängste oder nicht. Niemand ist auf sich allein gestellt.

Schau dich um, du bist es wert – Du wirst gehört

Das Ensemble

Denis Riffel (Evan Hansen) mit eindrucksstarkem
Foto: Rudi Gigler

Ein fabelhaftes Ensemble trägt das emotionale Musical und haucht der Geschichte mit seiner unvergleichlichen Ausdruckskraft Leben ein. Diese acht Darsteller:innen vereinen nicht nur ihre hervorragenden gesanglichen Fähigkeiten, sondern auch ihre Kunst, die Emotionen glaubhaft zum Publikum zu transportieren. Denis Riffel verkörpert die Figur Evan Hansen authentisch – mit einer Hingabe, welche die Zuschauer:innen berührt. Sein facettenreiches Minenspiel fesselt, wenn er zwischen Verlegenheit und Verzweiflung schwankt. Sein gesamtes Auftreten ist von einer Intensität geprägt, die es dem Publikum unmöglich macht, nicht mit Evan mitzufühlen. Als er schließlich mit solch Eindringlichkeit die Frage stellt, ob er mit all seinen Fehlern je geliebt werden könne, so sehnt man als Zuschauer:in das Ende der Szene beinahe sehnsüchtig herbei.

Anna Thorén (Heidi Hansen) und Denis Riffel (Evan Hansen) in deren letzter gemeinsamen Szene
Foto: Konstantin Zander

Anna Thorén glänzt mit der Darstellung Heidi Hansens Zerrissenheit zwischen den Herausforderungen des Lebens und der Suche nach Verbundenheit sowie den Sorgen um ihren Sohn Evan. Thorén verleiht der Figur eine beeindruckende Vielschichtigkeit, indem sie deren innere Konflikte und deren zutiefst berührende Bindung zu ihrem Sohn Evan auf der Bühne zum Leben erweckt. Besonders eindrucksstark ist die letzte gemeinsame Szene zwischen Mutter und Sohn, in welcher sie Evan versichert, genug zu sein.

Intensives Zusammenspiel und emotionale Tiefe

Yngve Gasoy Romdal (Larry Murphy), Annemieke van Dam (Cynthia Murpy) und Michaela Thurner (Zoe Murphy) beim Lesen der vermeintlich von Connor an Evan geschriebenen Briefe
Foto: Rudi Gigler

Annemieke van Dams Darstellung der Cynthia Murphy zeichnet sich durch ihre außergewöhnliche Fähigkeit aus, die zerrissenen Emotionen einer trauernden Mutter zu verkörpern, die versucht, mit dem Verlust ihres Kindes fertig zu werden. Dabei fängt sie die Nuancen von Trauer, Wut, Schuldgefühlen und Hoffnung mit großer Sensibilität ein und verleiht der Rolle eine unvergleichliche Authentizität. Ihr Zusammenspiel mit Yngve Gasoy-Romdal, welcher ihren Ehemann Larry Murphy verkörpert, ist ebenso ein Highlight. Die emotional aufgeladenen Unterhaltungen sind schauspielerisch perfekt inszeniert und auch Gasoy-Romdals Interpretation des Larry Murphy ist absolut mitreißend.

Auch die Besetzung der Jugendlichen lässt keine Wünsche offen. Jelle Wijgergangs Darstellung von Connor Murphy bringt dessen Verzweiflung und Zerrissenheit zum Ausdruck. Er glänzt vor allem im nachträglich konstruierten Schriftverkehr. Michaela Thurner spielt die Tochter der Murphys, die immer im Schatten ihres Bruders steht. Savio Byrczak verköpert den brillanten Jared Kleinman, welcher Evan zwar hilft, sich allerdings nicht sicher ist, ob er tatsächlich mit ihm befreundet sein mag. Vanessa Heinz erweckt die ehrgeizige und ebenfalls eher einzelgängerische Alana Beck authentisch zum Leben.

Die Highlights

Evan Hansen erkennt, dass er nicht mit einer Lüge leben kann, und klärt schlussendlich das Missverständnis um die Briefe und seine Freundschaft zu Connor Murphy auf. Zunächst scheint es so, als sei er durch dieses Geständnis auf sich allein gestellt. Es stellt sich allerdings heraus, dass er dadurch mit sich selbst ins Reine gekommen ist. Obwohl Dear Evan Hansen zwar nicht mit einem klassischen Happy End endet, so hinterlässt sein Schluss dennoch einen positiven Eindruck. Evan akzeptiert sich, ist zufrieden und findet für sich selbst einen Sinn im Leben. Zudem stellt sich heraus, dass er mit seiner Lüge – und sei sie noch so falsch gewesen – die Eltern von Connor Murphy gerettet hat.

Lieber Evan Hansen, das wird heute ein großartiger Tag und ich sage dir auch, warum … ganz gleich, was auch geschieht, so bist du zumindest du selbst. Kein Versteckspiel mehr, keine Lügen. Nur du selbst. Und das ist genug.

Vanessa Heinz (Alana Beck) und Denis Riffel (Evan Hansen) vor eindrucksvollem Bühnenbild
Foto: Konstantin Zander

Abgesehen von den Highlights die Handlung betreffend darf auch das Bühnenbild nicht unerwähnt bleiben. Es ist eher einfach gehalten und ermöglicht es den Zuschauer:innen, sich auf die Handlung und die Charaktere zu konzentrieren. Das Bühnenbild schafft eine Atmosphäre, welche die im Musical behandelten Themen zusätzlich unterstützt. Trotz der Reduzierung auf das Wesentliche ist auch die Thematik des Internets in der heutigen Zeit in die Bühnengestaltung eingebunden. Dies geschieht durch Bild- und Toneinspielungen über das Wirken von Evan Hansen. Auch werden Videocalls, welche während des Stückes stattfinden, auf die Leinwände projiziert.

Fazit

Eines der wohl emotionalsten Musicals, das die Musicalbesucher:innen nachdenklich zurücklässt. Trotz des bedrückenden Themas des Musicals bleibt allerdings auch Raum zum Schmunzeln. Witze und Wortspiele sind gekonnt eingebaut und entlocken dem Publikum mehr als einmal ein authentisches Lachen. Zudem verlässt man das Musical – trotz des bedrückenden Themas und viele Tränen später – mit einer positiven Message, die definitiv im Gedächtnis bleibt. Noch bis 21. April 2024 kann Dear Evan Hansen im Stadttheater Gmunden bewundert werden. Eine Chance, die man sich nicht entgehen lassen sollte.