Europäisches Kino wird Queer?
Ist es eine reine subjektive Wahrnehmung oder wird das europäische Kino immer queerer bzw. generell diverser? Der Besuch der letzten Filmfestivals und auch die Neuerscheinungen auf Netflix lassen hier einen klaren Trend erkennen: es wird queer!
Queerness wird immer stärker ein in der Öffentlichkeit diskutiertes Thema. Leider nicht immer auf einer aufgeschlossener Basis. Generell braucht man für eine negative Berichterstattung nicht über die Grenzen schauen, aber Bayern hat mit ihrem Genderverbot doch ein klares Zeichen für den Rückschritt gesetzt. Aber wie wird das Thema abseits von den Nachrichten in den Medien dargestellt? Beziehungsweise wie wird das Thema Queerness in Filmen und Serien umgesetzt?
Fragen, die mich seit dem Besuch auf dem Filmfestival Diagonale und nun jetzt auch beim Crossing Europe immer stärker beschäftigen. Dass Homosexualität und Crossdressing auch in der Vergangenheit immer wieder in Filmen gezeigt oder als Stilmittel eingesetzt wurde, ist nichts Neues. Auch wenn es für den Begriff Queer keine einheitliche Definition gibt, wird dieser oft wie folgt beschreiben.
Hinter dem Begriff Queer verbirgt sich zum einen eine Sammelbezeichnung für sexuelle Orientierungen, welche nicht heterosexuell sind und zum anderen aber auch Geschlechteridentitäten, welche sich nicht klar einem Geschlecht zuordnen. Der Begriff LGBTQIA+ wird in diesem Artikel auch als Synonym für Queer verwendet. LGBTQIA+ ist eine Abkürzung für folgende englische Bezeichnungen „lesbian“ (lesbisch), „gay“ (schwul), „bisexual“ (bisexuell), „transsexual“ (transgeschlechtlich), „queer“ (nicht-heterosexuell), „intersexual“ (intersexuell) und „asexual“ (asexuell). Das Plus beschreibt jene weiteren Geschlechteridentitäten und sexuellen Orientierungen, welche sich nicht in den sieben Buchstaben wieder finden und sich ebenso nicht mit den heteronormativen Standards beschäftigt.
New Queer Cinema
Bereits in den 1990ern hat sich eine neue queere Bewegung gebildet. Diese Filme aus der Ära richteten sich in erster Linie an ein queeres Publikum. Die nicht heterosexuelle Lebensweise wird in den Filmen als selbstverständlich wahrgenommen und die Filme haben nicht, das Ziel diese einem außenstehenden Publikum zu erklären. Es geht dabei nicht nur um die positive, politisch korrekte Darstellung von Personen aus dem LGBTQIA+ Umfeld, sondern auch um die Reklamation und Aneignung von Klischees und Vorurteilen. Die Filme dieser Epoche haben oft eine sehr experimentelle Ästhetik. Dies lässt sich durch die fehlenden Mittel begründen, aber wurde auch oft bewusst als künstlerisches Stilmittel eingesetzt.
In der Retrospektive hat das Thema kurz nach der Jahrtausendwende mit Filmen wie „A Single Man“ und „Brokeback Mountain“ wieder mehr mediale Aufmerksamkeit bekommen. Und in den letzten Jahren verarbeiteten auch große Produzent*innen und Streamingplattformen diese Thematik. Erkenntlich zum Beispiel bei Netflix mit Produktionen wie „Sex Education“ oder „Queer Eye“.
LGBTQIA+ am Crossing Europe
Bereits auf der Diagonale waren einige Filme vertreten, die sich mit Queerness auseinandergesetzt haben. „What a Feeling“ welcher aktuell auch in den österreichischen Kinos läuft, ist einer der Vertreter*innen aus dem Diagonale-Programm. Gemeinsam haben wir aber auch das Programm vom Crossing Europe genauer unter die Lupe genommen und 10 Filme aus den 144 ausgewählt, welche die Diversität hinsichtlich Sex am besten vertreten.
An der Spitze ist „DOMAḰINSTVO ZA POČETNICI / Housekeeping for Beginners“ wo der Film auf LGBTQIA+ aufbaut, die Thematik aber so normal dargestellt wird, dass sie in der Geschichte der „Patchworkfamilie“ nur wenig Raum ein nimmt. Im Film „PARADISET BRINNER / Paradise Is Burning“ emanzipiert sich die älteste Schwester mittels einer Beziehung zu einer Frau. „VALOA VALOA VALOA / Light Light Light“ greift das Thema in Form eines Coming-of-Age Dramas auf und portraitiert die junge Liebe zwischen zwei finnischen Mädchen. Auch der Film „RIVIÈRE“ geht in eine ähnliche Richtung. Ansätze, wie Jugendliche sich an das Thema herantreten, findet man in Filmen wie „LA VOIE ROYALE / The Path of Excellence“ und „CUCKOO“.
Der dokumentarische Ansatz wurde in Filmen wie „JESTESMY IDEALNI / We Are Perfect“ und „FANNI KERTJE / Fairy Garden“ verfolgt.
„KRAZY HOUSE“ und „TO KALOKAIRI TIS KARMEN / The Summer with Carmen“ greifen eher einen humoristischen Ansatz auf, wie mehr Queerness auf die Leinwand kommt.
Bestimmt versteckt sich der ein oder andere weiter Film zum Thema LGBTQIA+ im Programm. Schön ist jedoch auch zu sehen, dass die heurigen Preise auch großteils an Filme vergeben wurden, die sich die Aufgabe gemacht haben diese Materie zu behandeln.
Wer neugierig geworden ist, wie wir als subtext in unterer Berichterstattung mit dem Queerness umgehen, kann sich hier einen Überblick verschaffen.
Fazit
Ob sich aktuell viele Filmemacher*innen vermehrt mit der Thematik LGBTQIA+ auseinandersetzen oder es bei einer subjektiven Wahrnehmung bleibt, kann wohl ohne umfassende Studie nicht beantwortet werden. Für mich ist es jedoch wichtig, dass nicht nur die heteronormative Welt ihren Kinoauftritt bekommt, sondern die Vielfalt in der Gesellschaft gut abgebildet wird. Deswegen freue ich mich über jeden einzelnen Film oder Serie, welche für mehr Realness und Verständnis sorgen.
filmfestival linz
30 april – 05 mai 2024
www.crossingeurope.at
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