Jugendliche und die Demokratie
Noch grün hinter den Ohren, stehen heuer viele Jugendliche vor einer großen Entscheidung. Tatsächlich sind es sogar bis zu Vier. Denn es wird gewählt. Im europäischen Parlament, dem Nationalrat und teilweise auch bei regionalen Wahlen werden Stimmen gezählt. Aber juckt das die jungen Leute überhaupt noch oder ist das nächste Kurzvideo interessanter?
In der Politik wird fleißig um Stimmen geworben und zusätzlich jagen Skandale, Kriege und 007 anmutende Spionagefälle durch die Medien. Das drückt stark auf das Vertrauen der Menschen in die Politik. Ein trauriges Beispiel dafür ist Lena Schilling. Als junge motivierte Frau mit einem klaren Blick Richtung Klimapolitik setzten viele, und vor allem junge Menschen, ihre Hoffnung in sie. Nach ihrem eigenartigen Skandal fühlten sich viele verraten oder wussten nicht so recht, was Sache war.
Gerade auch die sozialen Medien erzeugen maximale Reizüberflutung bei der Bevölkerung. Da ist es schwierig, den Überblick zu behalten und für Erstwähler*innen nahezu unmöglich. Aber genau diese Neulinge gibt es dieses Jahr viele. Eine Generation geht wählen, die mit der Informationsquelle Internet und der verzerrten Welt der sozialen Medien aufgewachsen ist. Wird dieser Generation nicht nachgesagt, sich nicht zu informieren, nichts über Politik zu wissen und sowieso nur den ganzen Tag ins blaue Licht der Bildschirme schauen zu wollen?
Wahlbeteiligung steigt mit Lebenserfahrung
In Österreich dürfen Jugendliche seit 2007 bei allen Wahlen schon ab 16 Jahren ihre Stimme abgeben. Im europäischen Rahmen sind wir damit Vorreiter*innen. Obwohl die Wahlbeteiligung Luft nach oben lässt, werden Jugendliche trotzdem sehr bald miteingebunden. Dadurch müssen sie sich schon früh mit dem Thema Politik und Wählen auseinandersetzen, auch bei wenig Interesse und Erfahrung.
Grundsätzlich zeigt eine Umfrage vom Gallup Institut von 2022 bei 1022 Teilnehmer*innen zwischen 16 und 30 Jahren, dass über die Hälfte mindestens etwas Interesse für die aktuelle politische Lage haben. Tendenziell steigend mit dem Alter, bei höherem Bildungsgrad oder bei Berufstätigkeit. Lebenserfahrung und Wissen steigert das Interesse und den Willen mitzureden. Spannend wird, ob sich dieses Jahr junge Menschen in die Wahlkabinen gehen und für ihre politische Zukunft stimmen. An anreizenden Themen würde es ja nicht mangeln. Sei es die Klimakrise, der steigende Populismus, Migration, Rechte und Einschränkungen auf den sozialen Medien et cetera.
In Demokratie müssen Jugendliche hineinwachsen
Das Konzept der Demokratie ist unglaublich komplex. Allein in so einem kleinen Land wie Österreich dürfen mehrere Millionen Menschen wählen. Eine Zahl, die man sich nicht mehr vorstellen kann. Und trotzdem zeigen Umfragen, Studien und Protestbewegungen, dass junge Leute sich für Politik interessieren und engagieren. Natalia Wächter, Professorin für Sozialpädagogik an der Uni Graz, sprach mit Subtext über das Interesse von Jugendlichen für Politik, über ihre Medienkompetenzen und ihren Willen zur Mitbestimmung. Themen, die junge Menschen in die Politik ziehen, sind, laut Wächter, vorrangig der Klimawandel, Gemeindepolitik und soziale Ungleichheiten. Junge Menschen brauchen Zeit, in das System hineinzuwachsen und müssen erst ein Bewusstsein für Mitbestimmung entwickeln. Wächter betonte, dass Jugendliche sich eher engagieren, wenn Themen und Beteiligungsformen schnell Ergebnisse greifbar machen und sie mit Gleichaltrigen zusammenarbeiten können. Im Gegensatz dazu müssen politische Parteien viele verschiedene langfristige Themen abdecken und eine breite Wählerschaft ansprechen.
Jugendliche Selbsteinschätzung
Im Hinblick auf das Superwahljahr 2024 hat sich Subtext mit einer kleinen Umfrage an junge Menschen in Österreich gewandt. Die 100 Teilnehmer*innen waren im Alter zwischen 16 und 24 Jahren. Die jungen Menschen sollten ihr eigenes politisches Interesse und ihre Kenntnisse über die politischen Strukturen in Österreich und der Europäischen Union einschätzen. Knapp drei Viertel gaben an, sich politisch zumindest etwas zu interessieren und sich mit der politischen Situation in Österreich auszukennen. Auch über die Strukturen der Europäischen Union wissen 75 % zumindest befriedigend Bescheid. Allerdings waren etwas mehr als die Hälfte unzufrieden mit der politischen Bildung in den Schule. Fast alle Befragten gaben an, gerne Teil der EU zu sein, etwas weniger sind gerne Österreicher*innen. Für das politische Interesse der Befragten sprechen auch die drei Viertel, die angaben, immer wählen zu gehen.
Keine gute Quelle
Eindeutig ist die Quelle, aus der junge Menschen ihre Informationen zum Großteil beziehen. Nicht sehr überraschend, die sozialen Medien. Fast jeder junge Mensch in Österreich nutzt täglich die sozialen Medien, obwohl die meisten diese nicht als verlässliche Quelle einschätzen. Natalia Wächter sieht trotzdem ein großes Defizit bei Jugendlichen, gerade wenn es darum geht, politischen Kontent zu bewerten. Sie meint, Jugendliche haben oft Schwierigkeiten, die Informationen einzuschätzen: Wie seriös ist das? Was ist das für eine Quelle? Kann das überhaupt stimmen? Diese Kompetenzen sind ausbaufähig.
Im Blick auf die nahe Zukunft meint Wächter, dass gerade auch mit künstlicher Intelligenz Jugendliche noch viel mehr Kontextwissen brauchen, um Postings oder Meldungen richtig einzuordnen. Die sozialen Medien sind nicht darauf ausgerichtet, möglichst viele verschiedene und versierte Nachrichten zu liefern. Mit den Algorithmen werden die Nutzer*innen möglichst lange am Bildschirm gehalten. Unter anderem verstärken sich so ideologische Blasen, es kommt schneller zu verhärteten Ansichten und Polarisierung.
So basiert die Meinungsbildung nicht auf echten Informationen und kritischem Journalismus, sondern auf anderen „Meinungen“.
Zwar schätzen die meisten Jugendliche die sozialen Medien nicht als vertrauenswürdige Informationsquelle ein, doch fehlt, laut Wächter, bei der konkreten Nutzung oft noch die nötige Reflexion. Also das Prüfen konkreter Posting auf ihren Wahrheitsgehalt.
Die Chance ergreifen
Für junge Menschen wird es immer wichtiger, sich politisch zu bilden und zu informieren. Denn uninformierte Meinungsbildung führt im schlimmsten Fall zu Überforderung, Desinteresse oder Radikalisierung. Dass Demokratie eine langsame und teilweise sehr frustrierende Maschine ist, soll niemanden davon abbringen einen Stimmzettel abzugeben. Das Bildungssystem muss sich an die Geschwindigkeit der Technik anpassen und junge Menschen ordentlich vorbereiten. Und die Politik darf nicht übersehen, dass die jungen Menschen von heute, die Wählerschaft von morgen ist.
When the whole world is silent, even one voice becomes powerful
Malala Yousafzai