Once Upon A Time In A Forest
Rund 90 % der Wälder Finnlands werden kommerziell genutzt. In ihrem Dokumentarfilm begleitet Virpi Suutari junge Umweltaktivist:innen, die das ändern wollen. Mit malerisch märchenhaften Naturaufnahmen kreiert sie eine wundervoll atmosphärische Dokumentation zwischen Hoffnung und Zukunftsangst.
Fast wie Ölgemälde sehen die ersten Bilder des Films in eindringlichem Breitbildformat aus. Mit langsamen Kamerafahrten und anschließender Einführung seiner beiden Protagonistinnen startet „Once Upon A Time In A Forest“. Ida und Minka, beide um die Anfang 20, beteiligen sich an Protesten, Organisationstreffen und rollen das Thema in ihren Familien auf. Dass dabei geldhungrige Korporationen als Gegenspieler nicht lange auf sich warten lassen, ist leider völlig klar.
Den Horizont erweitern
Es dauert nur kurz, bis das Bild zum ersten mal das Verhältnis in ein enges 4:3 wechselt. Das wirkt im ersten Moment einengend, fast schon kontraintuitiv. Denn so kann man doch den szenischen Wäldern Finnlands gar nicht mehr gerecht werden, oder? Falsch. Teemu Liakka – der Kameramann – kreiert sowohl in engen als auch weiten Bildern solche gewaltigen Aufnahmen, dass man nur mehr schwer aus dem Staunen herauskommt. Ganz gleich, ob er mit einer Makrolinse fast mikroskopisch nahe Vegetation einfängt oder ameisengroße Harvester mit einem Drohnenshot aus weiter Entfernung trotzdem bedrohlich aussehen lässt.
Das Staunen hört dann auch nicht auf, wenn man Minka gebeugt über einen Ast zur goldenen Stunde sieht, wenn im Sonnenuntergang auf Skiern das nächste Protestcamp erreicht werden will oder im Sommer in einem von Wald umgebenen See gebadet wird. Mal kontrastreich und stark gesättigt, andere Male zurückhaltend und dokumentarisch. Bevorzugt mit sehr gemächlichen Kamerafahrten wird einem so die finnische Art zu Leben und Aktivismus zu führen ganz nahe gebracht.
Und dann kommt plötzlich dazwischen unerwartet wieder Breitbildformat. Breitbild untermalt von unglaublich atmosphärisch orchestraler Musik, wie man sie sonst meist nur in Konzerten genießen kann. Aber eben gemeinsam mit den wunderschön wuchtigen Aufnahmen mit ihrer großartigen Sogwirkung.
Zwei „Radikale“
Mit diesem Feingefühl für alles, was das Technische im Film hergibt wird dann die Geschichte von Ida und Minka erzählt. Sie nehmen an Waldbegehungen teil, bei denen Arten dokumentiert und Argumentation für Walderhaltung sowie das Einrichten geschützter Wälder gesammelt werden.
Dabei wirken die beiden – vor allem aber Ida – zu Beginn stark nach Umweltschützer-Klischee. Ida sieht sich selbst jedoch keineswegs als radikal, auch wenn ein paar ihrer Handlungen nach außen vielleicht so wirken. Kurze Gefängnisaufenthalte sind schließlich keineswegs mehr fremd für sie. Sie tut es aber aus purer Überzeugung, aus Angst vor der Zukunft sowie aus Hoffnung, einen Unterschied machen zu können. Solche Gefühle sind schwierig auf der Leinwand einzufangen. Once Upon A Time In A Forest hält aber in den richtigen Momenten drauf, bleibt lange bei seinen Charakteren, auch wenn sich die gerade selbst in einer Spirale eines inneren Monologs befinden. Genau so fühlt man mit ihnen mit. Genau so kann man sich mit ihnen identifizieren und wird von ihren Überzeugungen mitgerissen. „Denn wir sind auch bald eine gefährdete Spezies“, wie es im Film so eindringlich gesagt wird.
Der Moralische Kompass
Spannend sind dann auch die überaus erwachsenen Konfrontationen, die porträtiert werden. Während man hierzulande Schlägereien und üble Beschimpfungen erwarten würde, begegnen sich Demonstranten, Polizei und Waldarbeiter stets mit großem Respekt und gegenseitigem Verständnis. Denn auch so kann man seinen Standpunkt vertreten. Gewalt bringt einen schließlich meist auch nicht ans Ziel, wie einem der Film klarmacht.
Dennoch erkennt man in den beiden Protagonistinnen eine tiefgründige Verzweiflung. Ein Bitten um Veränderung, ein Betteln um die Absicherung der Zukunft, nicht um das Maximieren von Kapital. So bricht es einen gerne einmal das Herz, wenn selbst ganz nüchtern eine Frage an alte weiße Männer gestellt wird, ob sie denn nicht endlich nach einem moralischen Kompass handeln könnten.
Apropos alte weiße Männer. Auch der Generationenkonflikt kommt nicht zu kurz. Besonders die Beziehung von Ida zu ihren Großeltern wird aufgerollt, selbst wenn es größtenteils im Reden gegen eine Wand endet. Auf eine einfältige Antagonisierung fällt die Regisseurin Suutari trotzdem nicht hinein. Sie stellt ihr Thema dar, gibt neue Erkenntnisse, Sichtweisen und belegte Fakten. Alles, was eine gute Doku machen sollte.
Heute bis morgen
So bleibt am Ende ein Film zurück, der vor allem Hoffnung macht. Einer, der sein Thema ganzheitlich durch wunderschöne Linsen betrachtet und einen einladend auf eine Reise in die Dringlichkeit unserer Natur und der Rolle von Aktivist:innen darin mitnimmt. Ohne dabei je langweiliger Einseitigkeit zu verfallen.
Ein zweites Screening am Crossing Europe des Films findet noch am Do, 02.05. um 19:15 im Movie 1 statt.
Once Upon A Time in a Forest
Regie: Virpi Suutari
Finnland 2024
93 Minuten, Finnisch/Englisch, OmeU
Mit Ida Korhonen, Minka Virtanen
filmfestival linz
30 april – 05 mai 2024
www.crossingeurope.at
Alle Artikel unter subtext.at/crossing-europe