Filmstill aus Edge Of Summer
Foto: filmfestivalfreistadt.at

Edge Of Summer: Erwachsen­werden an den Klippen

Evie wird 12 und möchte ihren Geburtstag gemeinsam mit ihrer Mutter in Cornwall feiern. Inmitten von Beziehungsproblemen mit dieser findet aber auch sie einen neuen Freund, der sie in die Geheimnisse der lokalen Minen einweiht. Langsam stellt sich die Vermutung ein, dass ihre bisher vertraute Kindheit dabei ein Ende finden wird.

Edge Of Summer hat alles, um eine kitschige Coming Of Age Geschichte zu werden. Malerische Küsten, alte Cottage-Häuser und zwei Kinder fast im Teenager-Alter, die ihren Sommer dort verbringen. Evie und ihre Mutter haben dabei den Plan gefasst, endlich wieder zu zweit Zeit zu verbringen. Als jedoch plötzlich Tony als Familienfreund (vielleicht aber auch etwas mehr) auftaucht, findet Evie in Adam einen gleichaltrigen Gefährten, mit dem sie fortan Zeit verbringt. Kurz bevor der Film dann aber ganz in das etablierte Kitsch-Klischee abstürzt, machen sich viel tiefgründigere Themen auf. Evie und Adam vermissen beide auf die ein oder andere Weise ihre Väter und werden das Gefühl nicht los, dass ihre Eltern nicht ganz offen zu ihnen sind. So suchen sie Zuflucht in den alten Zinnminen des Ortes, wo sie an einem tiefen Schacht nach Antworten suchen.

Alles on Edge?

So gediegen romantisch der Film noch startet, so gruselig wird er bald darauf. Wer Höhlen nicht mag, sollte von diesem Film besser die Finger lassen. Einem Horror-Genre kann man ihm dennoch keineswegs zuweisen. Viel mehr versucht die Regisseurin Lucy Cohen hier, das Genre neu zu denken und zu mystifizieren. Evie und Adam sind dabei lediglich ihre Verkörperung eines Älter-Werdens, das meist von Erwachsenen unterschätzt und als kindliche Dummheit abgetan wird. Mit einer gut ausgeklügelten Geschichte und vor allem großartig gezeichneten Charakteren kommt dabei immer mehr der Lebensumstände von Evie und Adam ans Licht, sodass man sich gerne auf die Reise mit ihnen einlässt. Vor allem deswegen, weil sich keine Vorhersehbarkeit in der Story abzeichnet.

So treibt die Personen ihre Geschichte stetig voran, sie stoßen an Ecken und Kanten, bis es zu Auseinandersetzungen und lange ausstehenden Geständnissen kommt. Ein Sommer, der gleich auf mehrere Arten ein Ende von Dingen bedeutet, dafür aber auch ganz viel Zukunft verspricht.

You don’t lie to people you love, do you?

Filmstill aus Edge Of Summer
Foto: filmstarts.de

Die Mutter von Evie ist dabei oft sogar etwas überspitzt, teilweise schon nervig. Es sind genau solche Elemente, die die Kinderperspektive des Films um noch eine Ebene erweitern. Man merkt der Regisseurin auf jeden Fall ihren Hintergrund im Dokumentarfilm an, so natürlich wie die Dialoge umgesetzt sind. Das zieht einen dann unweigerlich in die bildhübsche Welt von Cornwall hinein, auch wenn man den ein oder anderen übernatürlichen Aspekt trotzdem kritisch und deplatziert sehen kann.

Die Message kommt am Ende aber trotzdem sehr gut rüber, sei es mit oder ohne Dialog. Und weil man dann schon über eine Stunde mit so geerdeten Figuren verbracht hat, führen Zitate wie „You don’t lie to people you love, do you?“ durchaus zu Gänsehautmomenten. Das macht den Film schlussendlich zu einem Pflaster für die Seele, weil man einfach so viel Empathie für jede einzelne Person aufbringen kann. Cohen selbst hat dabei eine ganz einfache, jedoch effektive Arbeitsweise, um genau das zu erzielen: Sie schreibt zuerst die Charaktere und deren Hintergründe, woraufhin sich die Geschichte anschließend quasi von selbst schreibt. Genau das ist es, was den Film von den vielen anderen unterscheidet, wenngleich es dadurch im Schnitt zu ein paar sprunghaften Entwicklungen kommt, da eben mehr Augenmerk auf die Figuren als Geschichte gelegt worden ist.

Weniger Welt, mehr Emotion

Ausgeleuchtet wird die Atmosphäre dann fast ausschließlich von natürlichem Licht. Selten gibt es mehr als eine Lichtquelle, selten ist das nicht die Sonne. Besonders interessant ist in Anbetracht des Spielorts dann die Entscheidung, meist sehr nahe an den Figuren zu filmen. Das Produktionsteam lässt sich hier nicht von den schönen Klippen dazu verleiten, zu viel pathetische Weitwinkelaufnahmen einzubauen. Die Emotionen und das Zwischenmenschliche steht im Vordergrund, wahrscheinlich erneut eine Eigenschaft, die Cohen aus ihren Dokus mitgenommen hat.

Filmstill aus Edge Of Summer
Foto: filmstarts.de

Diese Nähe wird dabei noch mit einem immer wieder erstaunlich intensivem Soundtrack komplettiert. Auf dem Papier hätten diese vielen verschiedenen Tonalitätswechsel gar nicht funktionieren dürfen, Edge Of Summer lässt sich davon aber nicht aufhalten und macht es einfach trotzdem. Und wer weiß, vielleicht finden Evie und Adam so am Ende den Abschluss, den sie beide so dringend brauchen.

Frischer Wind

Edge Of Summer hat beim diesjährigen Festival Der Neue Heimatfilm in Freistadt völlig zurecht eine lobende Erwähnung der Jugendjury bekommen. Mit ganz viel Feingefühl für deren Menschen bringt einen der Film eine Coming Of Age Geschichte, die sich in den wichtigen Teilen frisch anfühlt.


Filmposter Edge Of Summer

Edge Of Summer

Regie: Lucy Cohen

98 Minuten / UK, 2024
Mit Josie Walker, Nichola Burley, Flora Hylton, Joel Sefton-Iongi, u. a.

alief.co.uk


Festival Der neue Heimatfilm

21. – 25. August 2024

www.filmfestivalfreistadt.at

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Festival der Heimatfilm 2024

Im Zweifel vor dem großen Screen oder hinter der Kamera.