God, Mother, Punk: „Patti Smith, oida!“
Die „Godmother of Punk“ in Wien: Patti Smith fegte letzte Woche über die Open-Air-Bühne in der Metastadt. Die 77-Jährige hat schon seit Jahrzehnten den Ikonenstatus erreicht, und beweist aber wieder: Sie ist längst keine verstaubte Antiquität. Eine Zeitreise durch die Musikgeschichte und das Leben einer Frau, die sie geprägt hat.
Wien-Stadlau, 17:30. Noch ist wenig los in den Fabriksruinen der Metastadt, die Headlinershow beginnt auch erst in dreieinhalb Stunden. Ein Publikum so bunt wie selten, quer durch alle Altersklassen und den unzähligen Bandshirts nach zu urteilen auch Genrevorlieben. Ein bisschen Woodstock, ein bisschen Nova Rock, ein bisschen Alt-Gen Z-Bubble – Patti Smith vereint Generationen.
Woman in a Black Coat
Die Sonne macht gerade erste Anstalten, hinter den Oberleitungen der Ostbahnstrecke unterzugehen, als es losgeht. Mit einem „so glad to be back“ betritt sie die Bühne. Fast unscheinbar in hellen Jeans und dunklem Blazer. Mehr Schnickschnack braucht es nicht. Mit der Lässigkeit einer Legende und der Gelassenheit einer, nun ja, alten Dame reißt Smith sich während des ersten Songs den Mantel vom Leib. Die charakteristischen weißen Haare flicht sie nicht wie während ihrem letzten Wien-Konzert während der Show zu Zöpfen, sie fliegen frei. Passend dazu ist „Man in the Long Black Coat“ ihres guten Freundes Bob Dylan das erste vieler Cover an diesem Abend. Patti Smith, die Godmother, die Punk ist, obwohl, oder vielmehr weil sie nicht unbedingt Punk sein will.
Patricia Lee Smith startete ihre Karriere 20-jährig in New York. Sie machte sich einen Namen mit dem, was man heute als Poetry-Slam bezeichnen würde. Um Aufmerksamkeit der 70er-Szene zu erregen, begann sie, ihre Gedichte mit Stromgitarren untermalen zu lassen. Die Stromgitarren, die später den Sound einer ganzen Ära prägen. Ihre rauchige Stimme schallt auch nach 50 Jahren noch durch Mark und Bein. Der Minimalismus im Punk zieht sich auch durch die diesjährigen Liveshows: vier Musiker, eine Stimme, brachiale Töne, klare Worte.
Die Rock-Poetin balanciert in der Metastadt haarscharf um konkret politische Aussagen herum – nicht, ohne nicht doch ihre Haltung klarzumachen. So solidarisiert sie sich mit Palästina, ohne Israel auch nur mit einem Wort zu erwähnen. In „Ghost Dance“ (Album „Easter“, die Auferstehung) besingt sie den Krisenkult indigener Völker und verflucht unterschwellig den Kolonialismus.
Beweis der Theorie
1975 macht ihr Debütalbum „Horses“ die ehemalige Fabriksarbeiterin und Buchhändlerin aus New Jersey zu einer Ikone der gerade entfachenden New Wave und Frauenbewegung. Auch die beiden (weiblichen, yay!) Voracts verehren sie: In freudiger Erwartung auf „Patti Smith, oida!“ spielt eine sichtlich nervöse Ina Regen ein kurzes Akustikset. Eine Besetzung, die auf den ersten Blick wenig, auf den zweiten doch schon viel mehr Sinn ergibt. Wie viel Punk steckt in der Regen? Musikalisch wenig, die Schnittmenge ist: Poesie. Ihre Lieder an „die Diversität an Menschen, die sich trotzdem gernhaben können“, manifestieren sich im heutigen Publikum. Zweiter Support Act ist die 57-jährige Bermuderin Heather Nova. Sie präsentiert undramatisch ihre herb-poetischen Rockballaden – darin steckt ein bisschen Patti, ein bisschen Neil Young, ein bisschen Alanis Morissette. Nette Hintergrundmusik, wenn man sich vor der Smith noch Bratkartoffeln um stolze 12 Euro gönnen möchte. Sie betont mehrmals: Patti Smith hätte als Kunststudentin in den 80ern ihr Leben verändert.
God, Mother, Punk
Ihren bekanntesten Hit „Because the Night“ sowie „Summertime Sadness“ (Lana del Rey Cover) widmet sie ihrem 1994 verstorbenen Ehemann Fred „Sonic“ Smith. Ihr gemeinsamer Sohn Jackson steht neben seiner Mutter an der Gitarre auf der Bühne. Andächtig graviert Patti Smith ihre Handschrift in die musikalischen Grabsteine, die sie an diesem Abend erschafft. Vor 30 Jahren hat sie innerhalb eines Monats ihren Ehemann Fred und ihren Bruder Todd beerdigen müssen. Auch auf Johnny Cash und Kurt Cobain einen musikalischen Nachruf geschrieben.
Nirvana zu covern, darf man das überhaupt? Sich dann auch noch an „den einen“ Song zu wagen – Patti Smith darf das. Sie sei vor 30 Jahren mit ihrem Mann Fred am Küchentisch gesessen, als sie die Nachricht von Kurt Cobains Tod erhielten. „About a boy beyond it all“ widmet sie ihm, bevor sie ihre Version von „Smells like Teen Spirit“ anstimmt.
Was an dem Abend in der Metastadt fehlt, ist die Eröffnungszeile von Horses – „Jesus died for somebody’s sins but not mine“. Gloria ist von der Setlist verschwunden. Vielleicht haben ihre Begegnungen mit dem Tod Pattis Verhältnis zu Jesus verändert.
Tag des offenen Türls
Aus dem Publikum kommen in den wenigen Momenten der Stille immer wieder Zwischenrufe „We love you Patti“, auf die sie geschmeichelt reagiert. Zigaretten- und Pflanzenrauch steigt in die Luft, als Patti Smith von ihrer Verbindung zu Wien erzählt. Sie erinnert sich an einen Club hier, mit Schachbrettboden und Billardtisch, wo ein Mann ihr von der Schönheit der Stadt vorschwärmt. Auf der Ostbahnstrecke rauscht immer wieder mal ein Zug vorbei, einmal unterbricht sie ihre Ansage und muss darüber lachen. Das Metastadt Open Air ist ihr Abschluss von fünf Wochen Europatour – oder „I saved the best for last“.
Zum Abschluss entschuldigt sich bei den ersten Reihen. Seit etwa der Hälfte des Konzerts hätte sie mit offenem Hosentürl gespielt. Während ihre Band Jimi Hendrix‘ „Fire“ entfacht haben, habe sie schnell aufs Klo müssen. Ups. Patti Smith lebt, wahrscheinlich ohne es zu wissen, die „I’m just a girl“-Philosophie, so pur und kompromisslos.
Fazit
Ohne die Geschichten über Bekanntschaften mit Springsteen, Young, Joplin oder Dylan könnte vergisst man beinahe, wer die Dame auf der Bühne ist. Doch wäre es dreist, sie über ihre hochkarätigen Bekanntschaften zu profilieren. Die erste weibliche Punk-Ikone beweist: Das gesellschaftlich aufgedrückte Ablaufdatum weiblicher Superstars gehört abgewischt, übermalt, gar nicht erst angedacht. Patti Smith wirkt ein bisschen, wie die schräge Tante von nebenan – mit wilden Geschichten im Gepäck, trotz allem aber Mensch geblieben.