Kleine Menschen – Große Themen
Amüsant, alarmierend und authentisch! Favoriten versetzt einen zurück in die eigene Schulzeit und zeigt auf, was im österreichischen Schulsystem falsch läuft.
Über mehr als drei Jahre hinweg begleiten Ruth Beckermann und ihr Team die Lehrerin Ilkay Idiskut und ihre 25 Kinder an der größten Volksschule Wiens im 10. Gemeindebezirk Favoriten. Eine Klasse bestehend aus Schüler:innen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist und die aus Familien unterschiedlichster Religionen und Kulturen stammen.
Der Film ist ein intimes Porträt einer engagierten Lehrerin und ihrer sehr persönlichen Beziehung zu den Kindern. Und gleichzeitig aber auch eine Dokumentation der Schwierigkeiten und Probleme unseres Bildungssystems. Neben fehlenden Psycholog:innen, Mangel an Vertretungskräften und einem strikten Notensystem handelt der Film aber auch von dem Engagement und der Empathie einzelner Lehrkräfte. Der Film bildet die Möglichkeiten eines harmonischen Zusammenlebens innerhalb des Mikrokosmos Schule ab.
Zu Beginn des Films wird der alltägliche Unterricht dargestellt. Streit mit dem Sitznachbarn, Kopfrechnen vor der ganzen Klasse, Notenstress und Konflikte zwischen Klassenkamerad:innen. Durch eine observierende Kameraführung schafft Beckermann es, die Gefühle der Schüler:innen so authentisch wie möglich wiederzugeben. Sie lässt das Publikum unmittelbar in den Schulalltag der Schüler:innen eintauchen.
Mitten in der Klasse
Auf Augenhöhe der Kinder gefilmt und mit Fokus auf deren Gesichter und Emotionen werden Szenen eingefangen, die eine Authentizität und Unverfälschtheit zeigen und so einen persönlichen Einblick in deren Lebensrealität ermöglichen. Behutsam und warmherzig werden so die individuellen Charaktere vorgestellt. Auch der Schnitt ist orientiert an Aussagen und Situationskomik der Kinder, wodurch trotz dreijähriger Dreharbeiten ein roter Faden entsteht, der die individuelle Entwicklung der Kinder zeigt.
Um noch persönlichere Sichtweisen zu ermöglichen, initiiert Beckermann selbstgedrehte Handyaufnahmen, die die Kinder in ihrem Alltag zeigen. Dieser nahbare Blickwinkel wird auch in interviewähnlichen Kurzvideos zu „großen“ Themen wie Religion, Beruf, Heirat und Identität dargestellt, die die Kinder eigenständig erstellen. Außerdem begleitet die Dokumentation die Klasse auch bei Ausflügen in den Stephansdom, eine Moschee, zum Schwimmunterricht oder am Nachmittag beim gemeinsamen Spielen am Victor Adler Markt. Damit rückt auch das soziale Umfeld sowie der familiäre Hintergrund der einzelnen Kinder in den Fokus und setzt die angesprochenen Themen in den Kontext gesamtgesellschaftlicher Erfahrungen.
Fazit
Insgesamt stellt Favoriten somit ein intimes Porträt der einzelnen Kinder und wie sie die prägende Zeit der Volksschule erleben dar. Dabei zeigt der Film auf authentische Art, wie eine engagierte Lehrerin die Realität von Integration im österreichischen Schulsystem zu meistern versucht. Jedoch wird diese Problematik nur indirekt angesprochen und der Film kann daher eher als Ausgangspunkt diverser Debatten verstanden werden. Damit ist Favoriten zwischen all den lustigen Passagen vor allem ein Film, der zum Nachdenken anregt.