Silbermond
© Lisa Tatzber

Silbermond: Sächsischer Safe Space

Heimspiel für Silbermond am Dresdener Elbufer: Es wird nostalgisch, es wird rockig – und überraschend politisch. Die bekannteste Popband Ostdeutschlands spielt ein ausverkauftes Heimspiel am Tag vor den Landtagswahlen in Sachsen. Dazu eine Legende der deutschsprachigen Musiklandschaft als Überraschungsgast.

Silbermond in Dresden ist nicht alle Tage, das spürt jede:r. Aus allen Teilen des deutschsprachigen Raums angereist, schlängeln sich die Besucher:innen beinahe einmal rund um das ganze Gelände, bevor der Abend beginnt. Silbermond in Dresden, das ist wie Nirvana in Seattle, wie Adele im Wembley, wie Falco auf der Donauinsel. Hinzu kommt: Es ist der Tag vor den lange erwarteten Landtagswahlen in Sachsen, die – um das vorwegzunehmen – nicht ganz so ausgegangen sind, wie es sich Freund:innen der Demokratie erhofft hätten. Es gilt zu beweisen, dass der Osten mehr ist als die AFD, mehr als alter Frust und rechte Wut und tristes Grau. Challenge accepted. 

„Ach, die gibt’s noch?“

Die Sonne steht tief, während sich die Menschenmassen vor den Einlässen am Dresdener Königsufer ansammeln. Die ersten Fans haben – wortwörtlich – schon am Vorabend ihr Lager aufgeschlagen: Szenen, wie man sie in den frühen Tokio Hotel-Jahren oder von Megastars à la Harry Styles kennt.

Silbermond
© Lisa Tatzber

Ja, Silbermond gibt’s noch. Aber anders. Aber irgendwie auch gar nicht. 2002 in der sächsischen Kleinstadt Bautzen gegründet, ist die Band mit über 20 Jahren (erfolgreicher) Bühnenerfahrung in Popband-Jahren sowas wie ein Urgestein. Langlebig wie kaum eine andere deutschsprachige Band, und seit jeher gleich besetzt. Silbermond 2024 haben weniger Gitarren, erwachsener gewordene Texte und ein altersmäßig bunter gemischtes Publikum. Die einen mit ihnen groß geworden, die nächste Generation vielleicht so alt wie die Bandformation selbst. Was bleibt, sind die großflächig schraffierte Gemeinschaftsgefühle: Heimat, Verbundenheit, Angst und Hoffnung. Und Lieder, inspiriert von intensiven zwischenmenschlichen Beziehungen. Lange ist die Zeit vorbei, in der Silbermond nur den Soundtrack zu Hochzeit und Scheidung liefern. Es ist komplexer geworden, Trauer, Reue, Selbstreflexion, Aufbruch. Das alles versammelt diesen Sommer Menschen, empfänglich für das, was von Außenstehenden als Kitsch abgestempelt werden mag – eigentlich aber genau richtig tief in den wunden Punkt drückt. 

Seit ihrer Anfangszeit ist die Band am Start, wenn es darum geht, Laut gegen Nazis zu sein, und das, obwohl sie ihr „Everybody’s Darling“-Image bis heute aufrecht halten. Wie die netten Nachbarn von nebenan, die sich brav entschuldigen, sollte nach 22 Uhr jemand zu laut „Imagine“ von John Lennon auf der Gitarre gespielt haben. 

Kleines bisschen Sicherheit

Silbermond
© Lisa Tatzber

Beatles meets Deutschrock: Drei gitarrenlastige Songs eröffnen den Abend. Zur Belohnung gibt es ärgsten Applaus für die mittlerweile schweißgebadeten Musiker. In den ersten 10 Sekunden sind mehr Konfettischnipsel aus Publikum gerieselt, als man aus allen Wahlplakaten der Stadt hätte basteln können. Einmal kurz die Realität in orange-pinkem Regen ertränken. „Irgendwas bleibt“, der mit Abstand zeitloseste Hit ihrer frühen Jahre, ist heute etwas Größeres als die (verflossene) Liebe, die Jahrzehnte übersteht. „Sag mir, dass dieser Ort hier sicher ist und alles Gute steht hier still.“

„Mein Osten, mein Osten; Aufgeben nicht deine Art & nicht komplett im Arsch“. Ein knallrotes SPD-Transparent weht von der Brücke direkt am Venue. Als es ausgerollt wird, stimmen alle wartenden Fans den zugehörigen Silbermond-Song „Mein Osten“ an, erzählt eine Konzertbesucherin emotional. Das Silbermond-Konzert ist ein besonderer Platz und Abend für die Dresdner, die am Vortag nicht auf der AFD-Versammlung waren und am Folgetag nicht wie die sächsische Mehrheit abstimmen werden. 

Es ist doch jetzt an allen von uns, auch Teil der Lösung zu sein.
– Stefanie Kloß

„Ich hab‘ das Gefühl, dass viel auf dem Spiel steht, nicht nur für Sachsen. Ich glaube, ich muss nicht sagen, bei welcher Partei wir als Band unser Kreuz nicht machen würden. Wir wissen, dass nicht alles gut läuft in Deutschland und es viel zu verbessern gibt, es ist doch aber jetzt an allen Politikern, aber auch an allen von uns, auch Teil der Lösung zu sein. Es ist an uns allen, mitzuentscheiden, wie unser Miteinander aussehen soll“, stimmt Kloß den brandneuen Silbermond-Song „Will die Hoffnung“ an. Dazu schwingt sie die bisexuelle Pride Flag. Singend tänzelt die Band um das Thema, was sie eben fast ausgesprochen hätten: Bei all den Naziaufmärschen, den Anfeindungen und Schuldzuweisungen klammern wir uns an die letzten Funken Hoffnung in die Menschheit. Ihre Stimme klingt noch klarer als erwartet oder aus dem TV bekannt. 

„Mein Osten“ meets „Mensch“

Ähnliche Worte haben sie einmal schon gefunden, 2019. „Heute, fünf Jahre später, ist es immer noch aktuell. Wir sind sehr glücklich, das heute wieder spielen zu dürfen, mit einem besonderen Gast. Das Lied heißt mein Osten“. Mitten im Song taucht die Silhouette des Überraschungsgastes im langen schwarzen Mantel: Die Hände in den Hosentaschen, performt er lässig wie eh und je die politisch konkretesten Zeilen des Abends: Herbert Grönemeyer. 

Werden reden müssen, streiten, um Kompromisse ringen müssen und so weiter, aber was nicht hilft, sind wir uns da einig, Ideen von 1933.

Silbermond
© Lisa Tatzber

Herbert appelliert in seiner darauffolgenden Rede, die Demokratie zu erhalten. Wir sind mehr, wir sind viele, wir sind Menschlichkeit. Die Begeisterung ist groß. Die Bandmitglieder stimmt das Intro zu „Mensch“ und später „Alkohol“ an und strahlt miteinander um die Wette. Stefanie wird den Moment später als einer der schönsten der Bandgeschichte titulieren. Silbermond zitierten Grönemeyer schon in jungen Jahren als Ikone und Idol. 

Insgesamt stehen 28.000 Besucher:innen dieses Wochenende in Dresden am Elbufer. Und auch die Band unterstreicht alle paar Minuten aufs Neue, warum dieses Heimspiel trotz über 30 Tourterminen zu den ganz besonderen Tagen im Jahr zählt. Nostalgisch geht es weiter mit einem Liebeslied an die Bundesstraße B96, die durch ihre Heimatstadt führt. Bautzen, seinerseits bekannt für Senf und rechtsradikale Aufmärsche. Silbermond sind die Verkörperung des „anderen“ Sachsens, der warmen, nostalgischen Seite Ostdeutschlands. 

OSKA
© Lisa Tatzber

OSKA: vom Stadion ans Elbufer

Nur die braungrün schimmernde Elbe trennt die malerische Altstadt von der Open-Air-Bühne am anderen Ufer. Zum Baden eher wenig einladend, bestehen die „Filmnächte am Elbufer“ seit über 30 Jahren als größtes Freilichtkino Deutschlands. Ein Auswärtsspiel ist es für OSKA als Vorband. Nach dreimal Support für Coldplay im Happelstadion hingegen ein wirklicher Lercherlschas. Nervös ist sie trotzdem, das Publikum aber lieb leise, die vorderen Reihen sofort mit dabei. Im zweimal ausverkauften Dresden wird fleißig für die bevorstehende Europatour geworben, mit im Gepäck hat OSKA viele neue Songs ihres erwarteten zweiten Albums. Am nächsten Tag geht es heimwärts für sie, diesmal in der Wiener Arena (subtext.at war auch vor Ort).

Fazit

Wer es mag, wird es lieben. Wer es nicht mag, wird immerhin die musikalische Hochwertigkeit und das Herz, das die Band in ihre Show steckt, zu schätzen lernen. Vier Musiker:innen, die auch 20 Jahre und etliche Nummer-1-Alben später noch der Musik wegen musizieren. Alleine nach den ersten beiden Alben schon ihr musikalisches Erbe hinterlassen, haben sie in den letzten beiden Jahrzehnten eine im Pop selten zu findende Karriere mit Haltung in die Musiklandschaft gemeißelt. Dass die Band nach der angekündigten Pause irgendwann nach Dresden zurückkehrt, steht fest.