Leoniden: Melancholische Moshpits
„Sophisticated Sad Songs“ hast das neue Album und die gleichnamige Tour der Leoniden. Sie zeigen aufs Neue: Das laute, instrumentenlastige und energetische Gewand steht ihrer Melancholie unfassbar gut. Bleibt nur eine Frage: „Are you guys fucking ready to rock?“
Die Leoniden sind nicht nur ein jährlich auftauchender Sternschnuppensturm, sondern eine der hellsten Indie-Rockbands Europas. Vergangenen Freitag hat das Quintett ihre neuen „Sophisticated Sad Songs“ auf die Bühne der Arena projiziert. Eine bunte Mischung aus Menschen ist unter dem warmen Licht der Scheinwerfer versammelt, alle warten auf die erste Show der Leoniden in Wien nach über zweieinhalb Jahren.
Newcomer-Band Rosmarin
Musikalisch klingen Rosmarin ein bisschen, als hätten sie die erste Jeremias-EP und ähnliche deutsche Mukke geraucht und fiebertraummäßig in eine 30-minütige Liveshow exhaliert. Gen Z at its best: Im Karohemd mit roter Krawatte tanzen die fünf Jungs auf so ansteckende Art, dass bald auch die Hände des Publikums in die Luft gehen. Indie-Pop gewürzt mit Synthesizern, Funk-Einflüssen und einem saftigen Saxophon-Solo. Das mag, wie das Gewürz, nicht jedem bekommen, passt aber wahnsinnig gut zu Bratkartoffeln (sprich: Leoniden). Ihren ersten Songs hat die Band aus dem Raum Kassel Anfang 2023 eröffnet. Jetzt spielen sie ihre erste Show in Wien. Fazit: Solide Schnellaufheizung der (ohnehin partywütigen) Indie-Millenials in der Arena ist geglückt. Schade ist nur, dass man die deutschsprachigen Texte akustisch kaum verstanden hat.
Moshpits und „Motion Blur“
An dieser Stelle ein Shoutout an die Playlist zwischen Support und Main Act. Indie-Klassiker von The Killers bis Von wegen Lisbeth lassen die Stimmung keine Minute lang abreißen.
Die Leoniden, das sind Lennart und Felix Eicke, Jakob Amr, Marike Winkelmann und Djamin Izadi, übertragen ihre neuen „Sophisticated Sad Songs“ auf die Livebühne. Zu den Klängen von „Vois sur ton chemin“ (aus dem Film „Les Choristes“/„Die Kinder des Monsieur Mathieu“) laufen die Bandmitglieder ein und legen direkt los. Noch in der ersten halben Minute des Openers „Motion Blur“ geht der erste Moshpit des Abends auf und der Song entfaltet seine wörtliche Bedeutung. Über die vergangenen Jahre hat sich die Band aus Kiel zurecht einen Namen auf den größten Show- und Festivalbühnen erspielt. Alles, was die Studioversionen ihrer Indie-Rocksongs hergeben, wird live nochmal um ein Vielfaches intensiviert.
Die Frage nach dem Equipmentverschleiß der Leoniden offenbart sich schnell. Funken sprühen und Mikros, -ständer sowie bald ganze E-Gitarren fliegen durch die Luft – und landen aber immer wieder sicher in den werfenden Händen. Percussion und Soundpad dürfen alle ihre Klänge zur Schau stellen, zu einem späteren Zeitpunkt geht sogar das Cowbell-Set crowdsurfen.
LEoniden sind Liveband durch und durch
Jakob Amrs Kopfstimme reißt alles nieder, was zwischen den Soundboxen und den Gehirnen des Publikums stehen könnte. In den 90 Minuten ist von Synth-lastigem Elektro-Indie über Alt-Rock und Grunge-Einflüssen alles dabei. Altbekannte Songs wie „Colorless“ oder „Dice“ vervielfachen ihre Energie in der Liveversion. Aber auch die neue Platte hat es in sich: Die Mitsing-Refrains von „Keep Fucking Up“ und „Never Never“ bringen eine ganze Arena zum Schreien, unaufgefordert. Ungezwungenheit ist vielleicht auch das Stichwort des Abends. Denn obwohl mit so hochkonzentrierter Energie gearbeitet wird, hat man als Besucher:in nie das Gefühl, dass hier ein tightes Programm forciert würde. Die Show fließt dahin, ohne Raum für Langeweile zu lassen – auf einmal steht der Frontmann samt weißem Piano inmitten der Crowd. Es ist „Blue Hour“. Der platinblonde Amr in weißem Shirt am weißen Klavier in der abgedunkelten Menschenmenge wirkt wie eine Supernova. Oder ein kleiner Leonid. So schnell wie eine Sternschnuppe geht der Moment aber vorbei.
„A Million Heartbreak Songs“
Zurück auf der Main Stage werden jetzt alle Register gezogen, um die Spannung weiter zu steigern. Kurz stimmen die fünf Musiker:innen ein ironisches Cover von „Call Me Maybe“ an, bevor es mit den Leonid-schen Klassikern in einem Hoch in die Encore geht. Zum Schluss spielen die Leoniden mit dem Publikum noch einmal den Spannungsbogen des Abends durch. Der Akustikeinstieg von „Million Heartbreak Songs“ zeigt, was hinter den lauten Klängen und energetischen Performances oft zurückbleibt: die Texte. Die Leoniden-Songs, die inhaltlich nicht von Melancholie, Enttäuschung, Nostalgie oder Einsamkeit geprägt sind, kann man an einer Hand abzählen.
Mit einem „Are u guys fucking ready to rock?“ leitet Frontmann Amr den letzten Song der Show ein. Und wie das Publikum bereit war, um mit „Kids“ den Abend ausklingen zu lassen. Das Wort „Tourhighlight“ fällt hinter und auf der Bühne und das Wiener Publikum ist sichtlich happy, die Energie so gut zurückgespielt zu haben.