Politik und Posaunen: Marlo Grosshardt rockt die Postgarage Graz
Marlo Grosshardt geht auf „Alles bis Italien“-Tour: Bis an die Küste hat es nicht ganz gereicht, aber mit guter Musik und einem bisschen Fantasie kommen auch in Graz mediterrane Gefühle auf. Warm ums Herz wird es auf alle Fälle, trotz politischer Lyrics und dem Weltgeschehen im Allgemeinen.
Die Postgarage in Graz: Irgendwo zwischen Fabrik-Atmosphäre und kleinem Club-Cocktail entfaltet sich der ganz eigene, rustikale Charme in Graz-Gries. Für eine Hamburger Band ist Graz ja quasi fast am Mittelmeer. Deshalb legt Marlo Grosshardt hier mit seiner Band an. Ob Liberalismus, Rechtsruck oder das Datingverhalten seiner Generation: Der Hamburger übt in seinen Texten Kritik an der Gesellschaft. Ihm gelingt dabei der Spagat, trotzdem nicht schwermütig zu werden.
IUMA: Feminismus sells
Bevor es für den 23-jährigen Hamburger und seine Band aber auf die Bühne geht, eröffnet IUMA den Abend. Nicht nur ist sie in knallblauem Blazer ein Hingucker im warmen Licht der Postgarage – ihre Texte lassen aufhorchen. Die Berliner Künstlerin verdeutlicht, dass die Inspiration fürs Songwriting oft näher liegt als gedacht. Vielleicht ein Tagtraum über die Person in der U-Bahn, vielleicht ein Liebeslied an das selbstgebackene Bananenbrot, das noch warm und so schön fluffig ist. Aufgepeppt mit Spanischkenntnissen von Duolingo, versteht sich. Dazu eine Portion Feminismus in einem Lied über Katzen –„Pussy“ sorgt für Schmunzeln im Publikum, obwohl der Hintergrund ein ernster ist.
„Mama, ich hab Angst vorm Sommer“
Dann ist es endlich so weit – Marlo und seine Crew betreten die Bühnen, ausgestattet mit Trompete, Posaune und Saxophon. Was folgt, ist eine wilde Mischung aus politischen Indie-Hymnen, modernen Seemannsliedern und derben Gitarrenriffs. In „Mama, ich hab Angst vorm Sommer“ gibt er seiner Generation eine Stimme und scheut nicht, mit dem Finger auf die ältere Generation zu zeigen. Eine erfrischend kalte Strömung im lauwarmen Meer der männlichen deutschen Indie-Pop-Künstler. Rau, tiefgehend und ehrlich. Stimmlich irgendwo situiert zwischen Faber-esquen Gröhlgesängen und sanften Tönen, die einem jungen Grönemeyer alle Ehre machen.
Marlo übt Kritik, verpackt seine politischen Messages in Begegnungen, die sich in seinen Songs wie Geschichten lesen. Vielleicht war es der nächtliche Spaziergang am Traunsee am Tag zuvor, aus dem die Band ihre Energie für den Abend getankt hatte. Es ist schließlich ihr erstes Mal in Österreich, da darf es gerne ein bisschen stürmischer werden. Und: Erste Male müssen nicht perfekt sein.
Marlo Grosshardt und seine Band spielen so, als wären weitaus mehr als ein paar dutzend Leute in der Postgarage versammelt. Im besten Sinne, die fünf haben Spaß. Als Zuseher:in möchte man am liebsten auch Teil dieser Band sein und mit ihnen die Bühne stürmen. Obwohl die Aufnahmekriterien für den Otto-Normal-Konzertbesuchenden definitiv zu hoch sind: Mindestens zwei Instrumente beherrschen, am besten gleichzeitig, demonstriert der Drummer, der auch Keyboarder und Trompeter ist. Marlo selbst spielt Posaune, sein Gitarrist überzeugt mit Soli auch am Saxophon. Die besondere Note an diesem Abend verleiht die Cellistin, die sowohl die Balladen als auch die Uptempo-Nummern unterstreicht.
Schüchterne Begeisterung
Das Publikum lässt sich gebannt mit durch den Abend nehmen. Volle Eskalation? Nicht ganz. Die Grazer:innen bleiben trotz der Bemühungen großteils schüchtern. Während „Rumba“ eskaliert die Crowd in ein exzessives Schunkeln. Aber hey, immerhin eine Art von kollektiver Bewegung. Das unterstreicht die Seemannsgefühle noch mehr. Marlo kommt in die Menge, der Moshpit wird daraufhin mit zaghaften Schrittchen wieder geschlossen. Defensive Musik-Genießende, die offensive Songs auf sich wirken lassen. Zum Schluss wird sogar ein bisschen getanzt – zwar keine Rumba, aber ein paar Walzerschritte.
Die Kunst des Abends liegt darin, trotz der schwermütigen Themen nicht träge zu werden. Im Gegenteil. Selbst wenn es ein Abend im kleinen Kreis ist, bleibt das „wir“-Gefühl nicht aus. Wir sind hier und wir sind viele, wir teilen dieselben Sorgen, dieselben Dinge machen uns wütend – und dieselben Songs geben uns heute Hoffnung, dass doch noch nicht alles verloren ist, solange wir hier zusammenkommen.
Neues Album „MUT“: von Astronauten und Geisterschiffen
Zum emotionalen Highlight des Abends wird der Song „Astronaut“. Es ist eine autobiografische Ballade über ein krankes Kind, dessen junge Eltern und deren so unalltägliche Alltagsbewältigung. Und vielleicht sind es die inhaltlichen Ausschweifungen in verschiedenste Ecken des Lebens, die den Abend so rund machen und zusammenhalten. Kein Song wiederholt sich in einem anderen, und doch geht alles kohärent ineinander über. Der Song „Ein Spiel“ (feat. piya) zeichnet ein so klares Bild, ohne das Gemeinte konkret auszusprechen. Das tut Marlo dafür im Anschluss mit dem Aufruf, an die Seenotrettung zu spenden.
Jede stille Nacht schickst du Geisterschiffe raus
Suchscheinwerfer scheuchen sie wieder weit hinausAufs offene Meer, in der Nebelwand verschwunden
Ein Spiel, Marlo Grosshardt feat. Piya
Am nächsten Tag hat man Ein Kind am Strand gefunden
„Lass uns trinken, auf dass es bald vorbei ist“ – Marlo Grosshardt singt der Welt zum Schluss sein „Letztes Liebeslied“, bevor sie untergeht. Damit hat der 23-Jährige in den sozialen Medien bereits Wellen geschlagen, nun sitzt es am dramaturgischen Höhepunkt der Show. Mit einer klaren musikalischen Anweisung an die Band endet der Abend: Punkrock into Reggae. Auch der letzte Song ist Teil des neuen Albums „Mut“, das am 08. November erschienen ist. Alleine des Covers wegen lohnt sich ein Blick darauf, hinein natürlich sowieso.
Fazit
Marlo Grosshardt lässt sich in kein Genre so richtig stecken. Zu viele Ecken und Kanten für Deutschpop, Akustikgitarren treffen auf raue Vocals, politische Texte und derbe Gitarren. Ein bisschen Seemannslied, ein bisschen Protestsong, ein bisschen Indie-Rockballade, dazwischen Cello-Soli und Bläserparts eingestreut.
Für den ersten Gig in Österreich war es ein gutes Spiel. Oder, um es in Marlos Worten zu sagen: Nächstes Jahr streiten alle, wer ihn schon am längsten kennt. Wir verabschieden die Klabauterleute und hoffen auf baldiges Anlegen auf österreichischem Grund.