Das Innerste offengelegt: Soap&Skin
Ausverkauft. Vergangenen Freitag fand ein ganz besonderes Gastspiel im Linzer Posthof statt. Anja Plaschg alias Soap & Skin gab eines ihrer doch raren Konzerte und bewies, dass sie immer noch zum Besten gehört, was unser Land musikalisch zu bieten hat.
Anja Plasch alias Soap&Skin ist ein Phänomen. Mit Torso, ihrer aktuellen Platte, macht sie Werke anderer Artits zu ihren eigenen. Und das auf eine so eigenwillige und dabei doch einzigartige Art und Weise, dass man geneigt ist zu glauben, dass diese Songs ihre eigenen wären. Aber auch sonst überzeugt Soap&Skin vor allem in einem Indoor-Konzerthaus, wie sich herausstellen sollte.
Voract gab es natürlich auch. Stammte aus der Schweiz, hörte auf den Namen Palinstar. Ein knapp halbstündiges Set war es dann leider nur, das den Besuchern im Posthof vergönnt war. Zuerst solo, dann als Duo präsentierte sie ihre Version der Popmusik, die wie gemacht für einen Soap&Skin-Voract wäre. Ruhig, verträumt, sphärisch – wenn dann noch der ganze Saal ruhig gewesen wäre, es wäre perfekt gewesen.
Soap&Skin
Eine längere Pause ließ genug Zeit, etwas zu trinken oder am Merchstand zu schmökern. Im großen Saal des Posthofes wurde es währenddessen immer voller und voller. Das Konzert war, wie auch einige andere Termine der Tournee, ausverkauft. In den Tagen davor gastierte Soap&Skin in charakteristischen Spielstätten wie dem Berghain in Berlin, dem Werk7 in München sowie Kirchen und Theaterhäusern. Gemeinsam mit sechs Musiker*innen betritt Anja Plaschg die Bühne und beginnt den Abend mit The End.
Nach dem Motto „Cover Songs are good when you make them your own“, versteht es die Künstlerin nur zu gut, eine völlig eigene Version aus bereits bestehenden Songs zu machen. Neben beispiellosen Eigenkompositionen umfasst ihre Diskografie viele Werke namhafter Musiker*innen. Keine scheu vor fremden Sprachen, bleiben die Lyrics unverändert. Während das musikalische Kleid soweit neu gestrickt wird, dass es keinen Vergleich zum Original mehr stellt.
Was in Lai*innen’s Augen aussehen könnte, wie wahlloses Gedresche auf die Klaviatur, entpuppt sich als „Meltdown“. Unterstrichen von schreienden Geigen und argem Strobolicht, lässt einem diese Kontroverse für einen Augenblick die Luft anhalten. Als zweiter Titel auf der Setlist ist das ein erster Zenit. Das Werk Meltdown entstand in der Spielzeit 14/15 für eine Theaterproduktion von Romeo und Julia. Anja Plaschg wirkte selber als musikalischer Part im Ensemble auf der Bühne mit. Neben der erfolgreichen Karriere als Musikerin und Komponistin macht sich Anja Plaschg mittlerweile auch als Schauspielerin einen Namen.
Früher als Prostituierte imStillleben, heute als Protagonistin in Des Teufels Bad. Nicht nur für diese Hauptrolle, auch für die Komposition der Filmmusik wurde sie im vergangenen Jahr mit Trophäen ausgezeichnet. Soap&Skin ist bereits viele Jahre große Playerin im Metier der Filmmusik. So wurde beispielsweise auch das Stück Italy für einen namhaften italienischen Filmpreis in der Kategorie ‚best original song‘ nominiert.
Der musikalische Rahmen
Neben der imposanten Künstlerin stehen sechs weitere Personen auf der Bühne. Diese bilden ein Orchester aus Bläsern (Martin Eberle, Martin Ptak, Alex Kranabetter) und Streicherinnen (Viola Falb, Anna Starzinger, Emily Stewart). Sie bedienen verschiedenste Instrumente wie die Trompete, Posaune, Tuba und Horn. Violine, Cello, (Bass)Klarinette sowie Sampler kommen zum Einsatz. Das wohl wichtigste Instrument, das Feurich-Klavier von Anja Plaschg hat mehrere Besonderheiten. Die selbsttragende und offengelegte Konstruktion ermöglicht das Spielen ohne Gehäuse.
Das Innere offen gelegt, „als erweiterter (Klang)Körper“, wie auch sie und ihre Musik. Ein kleines Schild mit den Worten „it hurts to set you free“ ziert ihr Instrument und erklärt einmal mehr, wofür ihre Musik steht und was es für sie bedeutet. Eine ebenso starke Bedeutung, in einem etwas anderen Kontext, haben drei Länderflaggen. Drei Flaggen, die vorne an ihrem Klavier angebracht sind: Palästina, Sudan und Ukraine. Man musste etwas genauer schauen, um sie im dunklen Licht zu sehen. Umso stärker die Aussage, die dahinter steckt.
Bei jedem einzelnen Song spürt man die Emotionalität und Stärke, die aus den Instrumenten, aber vor allem aus ihrer Stimme hervorgehen. Zudem entsteht der Eindruck, als würden schräge Töne beabsichtigt als Stilmittel verwendet. Skurrile Ausstiege, die in einigen Kompositionen vorkommen, machen die Werke von Soap&Skin einmal mehr unvergleichlich. An dieser Stelle möchte ich nicht ungesagt lassen, dass es eine unvergleichliche Erfahrung ist, diese Musik live zu erleben. Anja Plaschg, unterstützt von den vielen Instrumenten sowie Backing Vocals und chorähnlichem Gesang, ist eine Naturgewalt auf der Bühne!
Das Set
Mystery of Love, der wahrscheinlich populärste Titel aus dem aktuellen AlbumTorso, wurde gleich als einer der ersten Songs gespielt. God yo Tekem, lässt ihre Stimme in einer ganz anderen, neuen und sehr hohen Lage ertönen, und wird von Martin Ptak auf der Orgel begleitet. Vater ist eine Hommage, und einer der wenigen Titel, der aus dem Album Narrow stammt und mit in die Setlist aufgenommen wurde. Mit Italy und Johnsburg, Illinois findet der ruhige Teil des Konzerts ein Ende und Anja Plaschg verlässt den vertrauten Raum ihres Pianos. Mit God & Monsters driftet der Abend in eine ganz neue Dynamik. Elektronische Klänge, starke Lichtsegmente und extraordinärer Tanz pushen die Performance. Girl Loves Me, Me and the Devil und Mawal Jamar folgen, bevor Sugarbread als vorerst letzter Song in Mark und Bein eingeht.
Eine Zugabe ist nicht genug
Mit Pale Blue Eyes gelingt es, wieder ruhig zu werden, und den Fokus ganz allein auf die hier zarte und zerbrechliche Stimme zu lenken. Die Lilien, die den Abend lang das Bühnenbild schmückten, werden im Anschluss von Anja selber im Publikum ausgeteilt. Eine sehr besondere Geste und eine schöne Form, sich wortlos zu bedanken. Nach positivster Resonanz des Publikums gibt es eine zweite Zugabe mit Stars, und dem endgültigen Closer Boat Turns Toward the Port. Eine ausgezeichnete Wahl, die ihre Stimme nochmals in vollem Spektrum und in vollster Stärke und Emotion zum Ausdruck bringt. Aus dem Torso, tief hinein in unsere Herzen. Mich hinterließ dieser Abend mit einer unwahrscheinlichen Wärme und dem Gefühl, das alles gleich nochmals erleben zu wollen.
Fazit
Aus dem Getratsche von dort und da konnte man entnehmen, dass es im Publikumsbereich leider sehr eng und stickig war. Das war dem Kreislauf mancher Zuseher*innen zu viel. Einige mussten während dem Konzert rausgehen oder sogar rausgetragen werden. Das ist nicht nur deswegen schade, weil der Fokus aufs Wesentliche verloren geht. Vielleicht sollte man sich über (zu hohe) Ticketverkäufe Gedanken machen.
Musikalisch gesehen war der gesamte Abend ein gelungenes Arrangement aus alten und neuen Liedern, aus selbst komponierten und modifizierten Songs. Aus allen Alben und EP’s, die in den vergangenen 17 Jahren veröffentlicht wurden, war etwas dabei. Anja Plaschg spricht nicht viele Worte. Ihre Taten, Zeichen, manchmal nur Blicke, sagen jedoch vieles aus. Sie pausiert lange, wenn sie Unruhe im Publikum mitbekommt. Sie fragt offen nach Traubenzucker und lässt damit verstehen, dass auch sie sich schwertut mit der schlechten Luft und Hitze im Raum. Sie erwidert Applaus mit einer Herzgestik und bedankt sich nicht nur bei ihrem Orchester, sondern auch bei Licht und Ton.
Sie singt nicht nur ihr Lied, sondern hält kontinuierlich Augenkontakt mit der Geigerin, die die zweite Stimme singt. Weil sie es gemeinsam singen. Sie schenkt vollste Aufmerksamkeit, während die anderen allein spielen. Es gab so viele kleine Feinheiten zu beobachten, die so viel aus dem Inneren ausdrücken. Das ist kein Konzert, wo Songs abgespielt und entertained wird. Jeden Abend aufs neue setzt sich die Künstlerin ans Klavier und macht sich vollkommen frei und verletzlich. Diese Tiefgründigkeit, diese offengelegte Ehrlichkeit und schätzende Art und Weise allen Menschen gegenüber, spiegelt sich in der Musik von Soap&Skin wider und ist ohnegleichen einzigartig.
PS: für März 2026 stehen zwei Österreich-Termine an, in St. Pölten und Graz. Mehr dazu hier: soapandskin.com
