the great learning
Foto: sofija Palurovic

The great learning: Ein Werk und viel zu lernen

Im Rahmen von Wien Modern wurden Teile des Werkes The great learning von Cornelius Cardew zu unterschiedlichen Terminen an verschiedenen Orten aufgeführt. „Ich bin schuld daran, dass dieses Stück zu erleben ist“, sagte Cordula Bösze am 1. Oktober 2025 im Radiokulturhaus, als sie das Projekt und sich kurz vorstellte.

Am 30.11.2025 wird im Konzerthaus ab 11 Uhr eine Aufführung mit Seltenheitswert stattfinden, denn Hunderte Personen werden an diesem Tag das gesamte Werk hör- und sichtbar machen.

Genre?

Manche Leser:innen kennen meine Beträge auf dieser Website (derzeit schreibe ich leider eher selten) eher mit Bezügen zu Metal oder Rock. Manche von euch wissen aber, dass meine Wurzeln aus der Klassik kommen. Gerade Neue Musik (also innovative westliche Kunstmusik des 20. und 21. Jahrhunderts) und Metal haben meiner Meinung nach gar nicht so wenig gemeinsam: Wie im Metal finden sich auch in der neuen Musik Subgenres (Serielle Musik, Neoklassik, Minimal Music, Aleatorik), die einem eher zusagen oder eben nicht gefallen. Auseinandersetzen will man sich damit als interessierter Mensch aber zumindest so weit, dass man sagen kann, was einem nicht gefällt und wo die Grenze liegt. Während die einen etwas als Lärm empfinden, fühlen sich andere emotional tief bewegt. Während Anhänger lange erklären können, worum es geht, woher es kommt und warum das wertvoll ist, sind Kritiker geneigt, etwas als verrückt oder künstlerisch nicht wertvoll einzustufen.

Welchem Genre das Stück zugeordnet wird, habe ich mich bei der Vorbereitung darauf gefragt! Der Titel selbst bezieht sich auf eines von vier Büchern der Konfuzianischen Klassik und daraus sind auch die verwendeten Texte entnommen. Das Werk als musikalisches Stück gehört zur experimentellen klassischen Musik der Post-Moderne im United Kingdom und entstand zwischen 1968 und 1971. Darin wird gesprochen, gesungen, geklopft und es werden unkonventionelle Töne mit Alltagsgegenständen und Musikinstrumenten erzeugt.

Selbstversuch?

The great learning ist für mich persönlich eine Herausforderung. Gleich vorweg: Ich mag Herausforderungen, weil man an ihnen wächst. Angenommen habe ich sie, weil Daniel Freistetter die Leitung der Umsetzung von Paragraph 4 übernommen hat. Er ist mir aus der geistlich-klassischen Musik bekannt und ich vertraue ihm und seiner Arbeitsweise.

Interpretationsversuch

Was also reizt mich am Stück selbst? Einerseits wird die Frage gestellt, wie Musiker:innen mit unterschiedlicher Ausbildung die Vorgaben interpretieren und sich selbst in das Stück einbringen beziehungsweise wie die Gruppe das Stück und die Gruppe selbst formt. Andererseits hinterfragt das Werk auch Definitionen von Notation, Musik und Geräusch.

Wie weit lassen sich Grenzen verschieben, bis sich Begrifflichkeiten gegenseitig die Definition streitig machen? Wo verschmelzen sie? Ist das Lärm oder Musik? Hat dieses Werk mir etwas zu sagen, etwas zu geben? Bewegt es etwas in mir? Die englischen Texte sind Übersetzungen von Überlieferungen des Konfuzius. Im Paragraph 4 werden Überlegungen dazu angestellt, was jene tun, die Frieden in der Gesellschaft und ein reines Herz wünschen.

Meine philosophische Interpretation für Paragraph 4 lautet, dass er ein Spiegel des Lebens ist. Zeit schreitet beständig voran – der beständige Puls im Stück. Menschen werden geboren und sterben – Einsätze und Stille der Musiker:innen nach einander. Menschen befinden sich gleichzeitig in unterschiedlichen Lebensphasen, orientieren sich aneinander, bekommen andere Lebensphasen mit, imitieren und kontrastieren einander – wie auch die Musiker:innen manchmal gleichzeitig in zwei verschiedenen Abschnitten arbeiten. Mal ist man geschäftiger, mal hat man weniger zu tun, mal ist die Umgebung überwältigend laut, mal mit einem selbst im Einklang.

Fazit

„Die Internationale Gesellschaft für Neue Musik (IGNM) ist eine der ältesten und größten Institutionen zur Förderung und Verbreitung von aktuellen Tendenzen in der musikalischen Gegenwart“, so steht es auf der Website der Gesellschaft. Durch diese wird ein Werk live – einmal sogar vollständig – erfahrbar gemacht, das in den 1970ern geschrieben und seither mehrfach aufgenommen wurde. Es ist tatsächlich ein großes Lernprojekt für alle, die organisatorisch, musikalisch sowie technisch daran beteiligt sind. Und für die Zuhörer:innen? Für mich stellt sich die Frage, wie jemand an so eine „Aufgabe“ des Zuhörens herangeht. Passiv zu sitzen und sich mittragen zu lassen oder aktiv zu beobachten ist eine Frage der Herangehensweise. Eine so lange Aufführung „auszuhalten“ eine der inneren Bereitschaft wie bei einer Meditation.

Auf jeden Fall spannend und als Beteiligte eine positive Erfahrung.

the great learning

The Great Learning

30.11.2025, Konzerthaus Wien

Mehr Infos unter:

ignm.at
radiokulturhaus.orf.at
konzerthaus.at/de/the-great-learning
wienmodern.at/the-great-learning

Foto: Sofija Palurovic

1983 * Bad Reichenhall (D) 1987 Ballett 1996 Klassischer Gesang 2009 Blues, Jazz, Übersetzung in Wiener Dialekt 2011 extreme Vocals, Lesungen eigener Texte 2013 Gesangslehrerin (inkl. Elemente aus der Klangschalenmassage nach Peter Hess) 2014 Ausstellungen eigener haptisch erlebbarer Texte (Bilder, Installationen), Performances (dramaturgische Gestaltung aus Tanz, Gesang, Sprache und Klangschalen) Aufnahme in „Verein Kunstschaffen“, Videointerviews, Reviews, Gasthost Radio 2015 Kunstreise New York, Montreal, Medellin, Joshua Tree, Jurymitglied Finale Musikwettbewerb „Metalchamp“ 2016 „only words?“ biografischer Kurzfilm (Florian Ebenberger) und Buch 2016 Aufnahme in „IG Bildende Kunst“, „Literar Mechana“ „Künstlerhaus Vereinigung“, „Bildrecht“ 2018 Bereichskoordinatorin für Crossover „Künstlerhaus Vereinigung“ 2019 Förderung der Stadt Wien für die Ausstellungsserie 2020 Arbeitsstipendium der Stadt Wien MA7 2021 Buch „Ein Kamel geht spazier'n"