Sündhafte Versuchung

 

Tori Amos ist eine Frau mit Potenzial zu spiritueller Großartigkeit. Sie ist eine Künstlerin, die in ihren Songs vielschichtige Allegorien über Frauen und Männer entwirft. Dabei versucht sie wie keine andere, Klischees und Normen, vorwiegend patriarchalische, aufzusprengen. Ein Nachbericht.

Am 25. September 2009 kommt Tori Amos in High Heels auf die Bühne, winkt kurz ins Publikum und setzt sich anschließend an ihren innig geliebten Bösendorfer Flügel. Dieser ist heute Abend zuhause, wie sie liebevoll betont. Ab diesem Zeitpunkt scheint die Magie im Raum fühl- und greifbar, die Atmosphäre ehrfürchtig und doch begeisternd zu sein. Als dunkle Silhouette mit feuerrotem Schopf markiert sie den Ankerpunkt auf der Bühne, die äußerst vielseitig und stimmungsvoll beleuchtet wird.

Sie wirkt weder nervös noch zögerlich. Selbstbewusst und souverän agiert sie, schwenkt stets den Blick ins Publikum. Die Besucher scheinen jede ihrer noch so kleinen Gesten aufsaugen zu wollen wie ein Schwamm das Wasser. Ihre Stimme füllt den Raum bis in die letzte Ecke. Sie singt, flüstert, gluckst und zappelt mit den Füßen, lässt ihr Becken kreisen, drückt mit links und rechts die Tasten. Bassist Jon Evans und Drummer Matt Chamberlain (ehemals Pearl Jam) unterstützen sie tatkräftig. Besonders letzterer weiß virtuos und nuanciert mit seinem Schlagzeug umzugehen. Die Qualität des Trios, der Darbietung, ist absolut beeindruckend.

Nach jedem Song bricht frenetischer Applaus los, der wie Wellen niederfällt. Das Konzert ist eine Herausforderung an das Publikum. Kurz vor Ende des regulären Sets hält es die vorderen Reihen auch nicht mehr in den Sitzen – sie stürmen nach vorn, bis zur Bühne, um Tori Amos ganz nah zu sein. Überhaupt wäre eine bestuhlte Halle nicht notwendig gewesen – Amos’ Musik wird live sehr dynamisch und abwechslungsreich vorgetragen, ist keineswegs einschläfernd oder einlullend.

Als der letzte Song ausklingt gibt es Standing Ovations. So muss Sünde schmecken.

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Foto: Nikolaus Ostermann / www.ikoon.at