Martin Sturm
Foto: Christoph Thorwartl

Martin Sturm: „Der Trend geht zum Politisch-Ästhetischen“

Passend zur aktuellen Ausstellung „Biennale Cuveé“ und zum Auftakt der „Triennale“ traf sich subtext.at mit dem Direktor vom Offenen Kulturhaus in Linz. Martin Sturm über österreichische Gegenwartskunst, politische Ästhetik und was denn das OK eigentlich so hype und sexy macht.

Im Sommer 2010 (3.6. – 26.9.) wird es in Linz erstmals das neue Ausstellungsformat „Triennale“ geben. Linz soll „als Zentrum der österreichischen Gegenwartskunst positioniert“ werden. Alle 3 Jahre wird die Triennale in den 3 Hauptausstellungshäusern (Landesgalerie, Lentos, OK Offenes Kulturhaus) von Linz stattfinden. Dabei präsentieren 100 österreichische Künstler und KünstlerInnen ihre Werke.

subtext.at: Eine Zusammenarbeit mit dem Lentos/der Landesgalerie war bisher in diesem Ausmaß noch nie gegeben. Gibt es einen speziellen Anlass warum Stadt und Land nun zusammenarbeiten?
Sturm: Es macht ein so großes Vorhaben viel interessanter und bring viel mehr Energie in die Ausstellung. Eine Kooperation ist somit anstrebenswert um einen Querschnitt der Österreichischen Gegenwartskunst entsprechend zu präsentieren. Die Idee selbst gibt es schon länger, während Linz 09 wurde sie konkretisiert. Die Triennale wird ein Nachfolgeprojekt von Linz 09.

subtext.at: Wenn Sie von Österreichischer Gegenwartskunst sprechen, wie grenzen Sie diese ab?
Sturm: Als Anhaltspunkt dient „Lebt und Arbeitet in Österreich“. Künstler also, die ihren Lebensmittelpunkt in Österreich haben. Da geht es nicht um Nationalitäten. Wir zeigen auch nicht nur Studenten oder bereits bekannte Künstler, sondern jene, die am vielversprechendsten sind. Künstler, von denen man in den nächsten 10 Jahren sicher noch hören wird.

subtext.at: Wer wählt die KünstlerInnen aus, die bei der Triennale gezeigt werden?
Sturm: Sie werden durch Kuratoren eingeladen. Es arbeiten 6 Kuratoren und Kuratorinnen für die Triennale, die mit ihrem Blick und ihrer Kenntnis eine gute Wahl getroffen haben. Für das OK wurde als Gastkurator Sandro Droschl (Leiter des Kunstvereins Medienturm, Graz, Anm.) eingeladen.

Die Biennale Cuveé 2010 neigt sich dem Ende zu. Bis 27. 4. Sind die Arbeiten, welche unter anderem auf den Biennalen in Istanbul, Venedig, Lyon und Seoul erstmals präsentiert wurden, noch zu sehen. Kurator Martin Sturm über Trends der Gegenwartskunst und Besucherfreundlichkeit der Ausstellung.

subtext.at: Der wichtigste Referenzpunkt heuer ist Istanbul, Nummer 2 ist Venedig. Warum wurden vor allem von diesen Biennalen KünstlerInnen eingeladen?
Sturm: Europa und Asien wechseln sich jedes Jahr ab, was die unterschiedlichen Schwerpunkte der Biennale Cuveé erklärt. Wir zeigen, aktuelle Kunst, die auf Biennalen erstmals präsentiert wurde. Es sind hauptsächlich Arbeiten aus den Jahren 2008 und 09. Jedoch wird die Biennale Cuveé ab jetzt auch tatsächlich „biennal“ (=zweijährig), indem es sie erst 2012 wieder geben wird.

subtext.at: Die meisten Arbeiten weisen auf politische Missstände oder Wirtschaftliche und Soziale Verbrechen hin. Es sind aber keine aggressiven Kritiken. Ist das ein neuer Trend? Oder hat das OK nach diesem Schema seine Werke gewählt?
Sturm: Natürlich ist es eine subjektive Auswahl, wenn Kuratoren von 1000 Künstlern 30 für eine Ausstellung herauspicken müssen. Politik spielte immer schon eine große Rolle in der Kunst, nur die spezifische Ausformung ändert sich immer wieder. Vor 10 Jahren brachten Künstler ihre Kritik noch hauptsächlich mit Dokumentationen hervor, heute neigt der Trend eher zum Politisch- Ästhetischen.

subtext.at: Wie steht diese „politische Ästhetik“ Kunstformen wie Aktionismus oder aggressivem Protest gegenüber?
Sturm: Es hat auf jeden Fall eine ganz andere Wirkung als aggressive Kritik. Momentan entstehen viel mehr Arbeiten mit ironischem/spielerischem Charakter. Ein altbewährtes Beispiel dazu: Wenn dir jemand eine Pistole ins Gesicht hält und du ihm als Gegenzug eine Blume in den Lauf steckst, hat das eine ganz andere Wirkung als wenn du selbst mit einer Knarre antworten würdest. Die Art des Widerstands, ist die interessante Frage, die es in der Kunst zu verhandeln gilt. Kunst muss immer einen speziellen Mehrwert haben um sie von Anderem abzuheben. Die Frage ist immer, wie ein Kunstwerk formuliert werden soll. Wenn ein Künstler zum Beispiel Soziale Arbeit künstlerisch umsetzen möchte, ist es für ihn wichtig aus der Sozialarbeit ein Kunstprojekt zu machen. Meist soll das so geschehen, dass damit möglichst viele Leute erreicht werden können.

subtext.at: Sind Sie ein Fan von dem Trend der ästhetischen Kritiken und dem Bestreben Kunst ansprechend zu machen?
Sturm: Nein, ich bin ein Fan der Analyse, wie die Wirklichkeit in der Kunst verhandelt wird. Wie Themen (z.B. Kritik) so formuliert werden können, dass sie einen künstlerischen Mehrwert erreichen.

subtext.at: Es gibt den Vorwurf, das OK würde seine Ausstellungen nicht ausreichend bewerben und sich damit BesucherInnen entgehen lassen. Wie stehen Sie dazu?
Sturm: Die Gegenwartskunst muss um Besucher kämpfen. Sie ist bei den meisten nicht selbstverständlich als Freizeitbeschäftigung etabliert wie Theater oder Musik. Aber es geht ja nicht darum so viel wie möglich Besucher zu kriegen. Werbung ist da nur ein Teilaspekt. Immerhin macht die Qualität der Kunstvermittlung den Erfolg des Hauses aus. Es ist besser, wenn eine Gruppe von 15 Leuten einen Nutzen aus einer guten Führung ziehen kann, als wenn 150 Leute einfach durchgeschleust werden.
Außerdem soll das OK als Ganzes attraktiv sein. Durch die Festivals und Veranstaltungen wird das Haus erst richtig hype und sexy und bleibt im Gedächtnis der Besucher hängen.

subtext.at: Sie halten die Stellung als Direktor des offenen Kulturhauses inzwischen seit 18 Jahre. Gibt es die Kritik dass es für das Ausstellungshaus dadurch zu Einseitigkeit oder Gleichförmigkeit in der Wahl der Ausstellung kommen könnte?
Sturm: Dadurch, dass das OK immer wieder Leute von Außen involviert bleibt es frisch.
Persönliche Vorlieben sollen sich nicht durchsetzen. Es werden immer wieder Gastkuratoren und neue Künstler eingeladen. Ich arbeite oft mit jungen Kollegen zusammen und behalte dadurch einen frischen Blick. Zum Beispiel kuratiert unter anderem Sandro Droschl, er ist 39, die Triennale.

subtext.at: Was war in der Zeit, in der Sie im OK arbeiten die interessanteste Arbeit, die Sie erlebt haben?
Sturm: Wir haben einmal für eine Ausstellung von Christoph Büchel* als Eingang zum OK ein Rohr verlegt. Die Besucher mussten, um ins Haus zu gelangen wie Mäuse durchkriechen. Das führte natürlich zu Irritationen. Die Neugier war vorhanden, aber der Eingang stellte eine Herausforderung dar. Die Installation hat mich so schnell nicht losgelassen.*2002: Einzelausstellung von Christoph Büchel (CH): „shelter II“