Paranoia
Foto: Mario Heller

Lisa: Podcast der Paranoia

Das Cover lässt schon erahnen, was einen bei Thomas Glavinics neuestem Roman erwartet. Aber was erwartet uns wirklich und was lässt sich sonst noch erahnen? Und wer ist Lisa?

Ein Mann. Ein Mikrofon. Eine Radiosendung. Jeden Abend quatscht sich Protagonist Tom die Seele vom Leib, der außer den möglichen HörerInnen seines Podcasts niemanden zum Reden hat, und die antworten leider auch nicht. Das Equipment ist veraltet und gibt manchmal den Geist auf, das Haus am Verfallen und Tom auch. Ab und zu spielt er Musik aus besseren Zeiten, doch viele angenehme Erinnerungen wollen nicht aufkommen. Immer nur Lisa.

Lisa, das ist der rote Faden in dem losen Konstrukt, das man nicht wirklich Story nennen will. Lisa, die „DNA-Mörderin“, deren Geschichte wir schließlich über viele Umwege, Exkurse und Exzesse erfahren. Auf der ganzen Welt begeht sie die unterschiedlichsten Verbrechen, und nie eine Spur von ihr außer ihrem Erbgut. Grauenhafte Morde einerseits, dann wieder ein Hühner- oder Pallettendiebstahl und manchmal auch Einbrüche. Immer mit anderen Komplizen, die nur eines gemeinsam haben: Sie haben sie noch nie gesehen.

Eines ihrer Einbruchsopfer war eben Tom, der anschließend, auf Rat des Polizisten und später besten Freundes Hilgert, in ein abgelegenes Landhaus flüchtet. Mit dabei sein Sohn, der das als großes Abenteuer sieht. Und immer wieder rollt er in seiner Sendung die Vergangenheit neu auf, wie es so weit kommen konnte, wie es jetzt weitergehen kann. Die Gefahr ist noch nicht gebannt, und die Ereignisse lassen darauf schließen, dass Lisa ganz in der Nähe ist. Was wollte sie eigentlich von ihm, als sie einbrach? Oder ist da noch immer eine Rechnung offen?

Das ganze Buch ist als Monolog aufgebaut, besteht aus der Radiosendung des Protagonisten, der sich nur aus dem Haus wagt, wenn ihm Whiskey, Zigarretten oder Koks ausgehen. Diese sind auch seine ständigen Begleiter durch die Sendungen und bringen ihn immer wieder auf andere Gedanken. Gedanken, die nicht weniger interessant sind als die eigentliche Story, meistens sogar um einiges interessanter. Tom schafft es dennoch nie, sich aus seiner bedränglichen Lage herauszureden, ist sich selbst ständig ausgeliefert.

„Ein Psychogramm des Grauens“ steht im Klappentext, was den Leseeindruck sehr gut beschreibt. Wer fesselnde Spannung und Action erwartet ist hier falsch, als Psychogramm allerdings macht Lisa durchaus Eindruck. Die „Lisa-Story“ tritt dabei nie ganz in den Vordergrund, bleibt immer nur Anstoß für neue Gedanken. Und das ist in diesem Fall sehr positiv.

Denn wer letztes Jahr die sehr ähnliche reale Story in den Medien verfolgt hat, dem erscheint das Ende leider sehr berechenbar. Gleichzeitig ist es allen, die bis dahin durchgehalten haben, auch völlig egal. Der Roman könnte genauso gut noch weitergehen und würde nicht weniger interessant sein. Ungewöhnlich in Form und Inhalt, dazu sehr zeitgemäß, das spricht für Glavinic. Und alle, die ihn schätzen, werden auch Lisa verschlingen – nicht trotz des ganzen Geschwafels, sondern gerade deswegen


Lisa

von Thomas Glavinic
erschienen im Carl Hanser Verlag
208 Seiten, Hardcover, ISBN 978-3446236363