Hurra, wir leben noch!

Wenn Lars von Trier Menschen in tiefen Depressionen versinken und obendrein einen Planeten mit Mutter-Erde kollidieren lässt, dann zeichnet er ein bisher nie da gewesenes, hoch sensibles Untergangs-Szenario.„Melancholia“ gilt wohl zu Recht als Favorit auf den Europäischen Film des Jahres.

„Von himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt“, Goethes Vers scheint Justine, einer der beiden Hauptfiguren wie auf den Leib geschneidert. Ihre Hochzeit im ersten Teil des Films entwickelt sich zu einer Hochschaubahn der Gefühle. Neben der schwer depressiven Borderlinerin Justine wären da noch die lustlose, von allen bürgerlichen Eheidealen desillusionierte Mutter, der unverlässlich chaotische Vater und Justines skrupelloser Chef samt Karriere-geilem Gefolge. Teil eins des zweistündigen Epos thematisiert neben Anklängen leiser Kapitalismus-Kritik und dem Umgang mit traditionell bürgerlichen Normen und Idealen, vor allem die Lebenswelt psychisch dispositionierter Menschen, denen es nicht mehr möglich ist, echte Freude zu empfinden.

Der zweite Teil des Films erzählt die Geschichte aus der Sicht von Claire, der zweiten Hauptperson und Schwester Justines. Während „Melancholia“, ein riesiger Planet, der droht mit der Erde zu kollidieren, immer näher zu kommen scheint, versucht Claire sich um ihre, mittlerweile völlig zusammengebrochene, Schwester zu kümmern. Die düstere, ländlich einsame Szenerie im zweiten Teil, erfährt ihren notwendigen Bruch durch die unruhige, stark verspielte Kameraführung. Die bedrückende Atmosphäre der Ungewissheit und die wortkargen Dialoge der Protagonisten unterstreichen die ratlose Endzeitstimmung, die dem Film innewohnt. Motive aus der bildenden Kunst, wie „die Winterlandschaft“ von Pieter Bruegel, Caravaggios „David mit dem Kopf des Goliath“, oder kühle, expressionistische Kompositionen Wassily Kandinskys, fügen sich nahtlos ein in die ästhetisierte Darstellung der letzten Tage vor der Apokalypse.

Während Claire angesichts des drohenden Untergangs zusehends an ihrer Furcht zerbricht, entwickelt Justine eine geradezu lüstern erotische Vorfreude auf den Tod. Von Trier inszeniert seinen Film wie einen verzweifelten Sexualakt, der in einem Wagner‘schen Höhepunkt voll Pathos und Theatralik zur ersehnten Erlösung findet. Was bleibt ist ein Gefühl der Leere und die tröstende Erkenntnis: Hurra, wir leben noch!