SEETHER: „Wir haben nie versucht, Musik im Interesse anderer Leute zu machen“

Keine Band wird leugnen, nach dem großen Durchbruch zu träumen. Hat man dieses Ziel dann wirklich erreicht, wird es undurchsichtig. Dann geht es um die Erhaltung des Status Quo. Seether dürften sich mit beiden Punkten in ihrer Karriere auseinandergesetzt haben. Sie waren beim großen Nu Metal-Boom Anfang 2000 dabei, bis dieser schließlich selbst implodierte.

Viele andere Kollegen waren anschließend die Handtücher oder sahen sich mit dem Desinteresse der Fans konfrontiert. Seether ihren Status behaupten. Besonders in den USA läuft es seit „Broken“, dem Duett mit Evanescence-Sängerin Amy Lee, prächtig für die Formation aus Südafrika. Europa wurde einstweilen zu keiner Priorität erklärt und musste in Warteposition verharren.

Das Trio versucht im Interview mit subtext.at zu erklären, weshalb Seether noch immer erfolgreich agieren. Sänger Shaun Morgan man dabei keinen Hehl daraus, was ihn stört und wie seine Meinung zu bestimmten Dingen, vornehmlich anderen Bands, aussieht. Er räuspert sich mehrmals, stimmlich ist er an diesem Tag nicht in allerbester Verfassung. Bassist Dale Stewart fügt hier und da noch einige Gedankengänge in das Gespräch ein. Schlagzeuger John Humphrey lächelt während der gesamten Zeit still in sich hinein und sagt gar nichts.

subtext.at: Alternative oder sogenannte Post-Grunge-Bands wurden Anfang des 21. Jahrhunderts sehr populär. Gruppen wie Staind, Puddle Of Mudd, P.O.D. oder 3 Doors Down, mit denen ihr aktuell auf Tour seid, dominierten die Charts. Seether tauchten auch zu dieser Zeit auf und bis heute gibt es euch als Gruppe. Warum?
Shaun Morgan: Ich weiß es nicht. (überlegt) Vielleicht, weil die von dir aufgezählten Bands doch unterschiedlicher klingen, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Ich denke nicht, dass wir so klingen wie sie. Papa Roach fallen mir noch ein, die aber damals in die Richtung Nu Metal gingen. Heute klingen sie ganz anders. Es ist verwirrend, weil es so viele Sparten gibt, in die du hineingesteckt werden kannst. Wir machen einfach unser Ding. Das ist es eigentlich auch schon. Wir haben nie versucht, Musik im Interesse anderer Leute zu machen. In erster Linie schreiben wir sie für uns selbst. Wenn sie letztendlich noch jemandem gefällt, dann ist das natürlich eine feine Sache.

subtext.at: Es ist interessant zu beobachten, dass euer letztes Studioalbum „Holding Onto Strings Better Left To Fray“ in den USA am höchsten in die Charts eingestiegen ist. Wie erklärt ihr euch das?
Dale Stewart: Es ist schon erstaunlich. Davor hatten wir noch nie solch einen Erfolg und wir waren auch nie so hoch in den Albumcharts vertreten. Du hoffst immer auf das Beste, bevor ein Album erscheint, aber du kannst nie wissen, wie es sein wird. Es war für uns eine willkommene Überraschung. Es war ein gutes Jahr für uns.

subtext.at: Oft hört man den Satz „Rockmusik ist tot, da kommt nichts Neues mehr“. Was denkt ihr darüber, speziell in Zeiten wie diesen?
Shaun Morgan: Rockmusik hat sich auf eine Art immer gegen Popmusik aufgelehnt. Das ist weggefallen. Momentan hast du Dance und elektronische Musik, die sehr populär sind. Für mich ist das irgendwie seltsam, als wäre es wieder 1991.

subtext.at: Dubstep wird momentan auch heiß gehandelt als der neue, heiße Scheiß.
Shaun Morgan: Das stimmt, ich mag auch einige Sachen aus diesem Genre. Überhaupt mag ich aus jedem Genre etwas, aber ich denke nicht, dass Rock tot ist. Für das Genre ist es momentan einfach ziemlich schwer ist, überhaupt erkannt und gehört zu werden. Die Rockszene tut sich nicht leicht. Warum das so ist? Weil viele Bands über einen längeren Zeitraum einfach scheiße waren. Und die ganz großen Bands, die es noch auf der Welt gibt, waren auch langweilig. Aus diesem Grund haben sich die Kids der Rap-Szene zugewandt, weil sie ausgefallener und gefährlicher war. Wenn deine Eltern dich zu einem Rockkonzert begleiten, dann ist das doch total uncool! Das war aus meiner Sicht ein Problem, die Rockszene hat sich in eine stereotypische Richtung entwickelt. Zu viele Bands haben zu viel von sich preisgegeben. Alles Mysteriöse war weg. Jeder Idiot tweetet alle zwanzig Sekunden irgendetwas (lacht). What’s the point, man? Es ist fein, wenn du Justin Bieber bist, aber die Rockszene sollte geerdeter sein. Wenn es nicht den Anschein hat, gefährlich zu sein, dann wirkt es auf die Leute nicht attraktiv.

subtext.at: Bevorzugst du es, alleine die Songs für Seether zu erarbeiten oder zusammen mit der Gruppe?
Shaun Morgan: Ich mag es schon, alleine Songs zu schreiben. Aus dem einfachen Grund, weil da nicht immer etwas Gutes herauskommen muss. Nur das Beste wird den anderen gezeigt. Ich habe alleine angefangen, Musik zu schreiben, das bin ich. Anders würde es auch nicht gehen, weil wir inzwischen alle in verschiedenen Ecken des Landes leben. Es gibt auch Zeiten, wo wir alle zusammen in einem Raum sind und spontan jammen, was auch cool ist.

subtext.at: Ist es als Songwriter interessanter, aufgewühlt und bekümmert zu sein anstatt glücklich und zufrieden?
Shaun Morgan: Dem stimme ich zu. Speziell im Rockgenre funktioniert es so. Aber auch in der Poesie oder in der Malerei… Die besten Künstler waren zu ihrer Zeit betrübt und niedergeschlagen. Leute wie Salvador Dalí zum Beispiel. Viele gute Schriftsteller waren Alkoholiker und führten ein elendiges Leben. Hunter S. Thompson fällt mir da ein. (überlegt) Ich kann nur in einer schwermütigen, traurigen Stimmung Songs schreiben. Wenn ich fröhlich bin geht das nicht. Auf der anderen Seite gibt es Gruppen wie LMFAO, die alberne und lustige Musik machen. Mein Ding ist das zwar nicht, was aber nicht heißen soll, es gefällt mir nicht.

subtext.at: Je mehr Platten du aufnimmst, desto mehr vermeidest du es, Fehler zu machen – richtig oder falsch?
Dale Stewart: Richtig würde ich sagen. Du kannst überhaupt einen weiten Bogen um Plattenlabels und so Zeug machen, während du auf deinem Weg zur Erleuchtung bist (lacht). Aber es stimmt, wie bei allen Dingen im Leben, bei allen Aspekten. Je mehr du machst und je länger du dabei bist, desto besser weißt du, was funktioniert und was nicht. Die Musikindustrie ist da keine Ausnahme. Wir haben auch Unstimmigkeiten gehabt mit unserem früheren Management und Leuten von der Industrie, vom Fach, anderen Bands. Das alles hat wohl mit einer Art Evolution zu tun, mit einer Entwicklung.

subtext.at: Authentisch zu sein macht dich zu einem Rockstar – richtig oder falsch?
Shaun Morgan: Ich weiß nicht so recht. Ich denke, dass du heute ein Rockstar wirst, wenn du einen Charakter hast, er nicht dem typischen Bild entspricht. Die Kids denke heute so, nehme ich an. Es geht immer um schrille Outfits, wie sie ihre verdammten Haare stylen und welches Make Up sie benutzen. Bei den Bands scheint es für mich so, als ob ihnen ihr Image wichtiger ist als ihre Musik. Vielleicht deswegen, weil ihre Musik scheiße ist (lacht). In L.A. gibt es einen Haufen von solchen Bands, die ich nicht ausstehen kann, diese ganze Cockrock-Szene. Eine davon ist Black Veil Brides, die zum größten Mist gehört, was es derzeit gibt. Die Leute erzählen mir, ihr Album wäre so toll, die Texte wären so toll… Ich habe mir das Album angehört und es ist scheiße! Der Sänger ist scheiße, die Texte und die Outfits auch. Trotzdem denkt die Band, sie wäre so verdammt cool. Weil jeder irgendwas über sie erzählt, denken alle anderen, dass sie total cool und angesagt sind. Musik sollte sich um Emotionen drehen, um Ängste und sich nicht großartig um andere Dinge scheren. So viele Gruppen klingen heute identisch, es nervt mich. Aber es sind Rockstars… Mir egal, ich scheiß drauf.

subtext.at: Wie soll denn eure Musik auf den Zuhörer wirken? Was soll sie auslösen?
Shaun Morgan: (überlegt) Ich hoffe, dass sie emotional berührt, wie auch immer das genau aussehen mag. Mir hilft sie durch harte Zeiten, das möchte ich gerne zurückgeben. Manche mögen die Musik, andere die Texte. Es ist gut, wenn dich ein Album auf eine Achterbahnfahrt mitnimmt und dich an einen Ort bringt, der noch viel schlechter aussieht als dein jetziger. Aus dieser Situation kannst du etwas machen und dich besser fühlen.

subtext.at: Ihr habt das aktuelle Album mit Brendan O’Brien produziert, den ich vor allem für seine Arbeit mit Incubus schätze. Was hat er für Seether als Band erzielt?
Dale Stewart: Er zieht keine Brendan O’Brien-Show ab. Viele Produzenten tendieren dazu, die Bands alle gleich klingen zu lassen, was bei ihm nicht so ist. Er kommt mit vielen Ideen und versucht nicht, einen zu verändern, sondern zu leiten. Er ist auch ein sehr talentierter Musiker. Es hat Spaß gemacht, mit ihm zu arbeiten.
Shaun Morgan: Ich hatte keine Ahnung, an welchen Sachen er seine Finger drangehabt hat. Das letzte Mastodon-Album zum Beispiel. Er springt von einem Künstler wie Bruce Springsteen zu AC/DC, um dann einen Act wie Mastodon im Studio zu haben. Keines der Alben klingt gleich, was toll ist. Ein Produzent soll eine Band auf die nächste Stufe hieven, ohne ihr die Identität zu nehmen. Wir haben auch mit der anderen Sorte zusammengearbeitet und es war furchtbar. Kein Wunder, dass du dann enttäuscht bist von der ganzen Situation.

subtext.at: „Finding Beauty In Negative Spaces“ heißt eines eurer Alben. Wie bewerkstelligt ihr das positive Denken? Genießt ihr die kleinen Dinge im Leben oder haltet ihr nach den großen Ausschau?
Shaun Morgan: Ersteres, denke ich. Meine Hunde halten mich immer bei Laune (lacht). Auf Tour ist es schon sehr schwierig, die ganze Zeit über gut gelaunt zu sein. Es entwickelt sich zu einem Job. Hunderte von Shows im Jahr und wenige Tage, wo du mal abschalten oder pausieren kannst. Manchmal wird der Druck zu groß. Du fängst an zu trinken, wirst high und solche Sachen. Es ist fein, wenn du dich an den kleinen Dingen im Leben erfreuen kannst, die dir aus dieser Misere helfen.

subtext.at: Die Dichterin Marianne Moore hat einmal gesagt, dass „ein Autor unfair zu sich selbst ist, wenn er nicht dazu in der Lage ist, hart mit sich selbst ins Gericht zu gehen“. Wart ihr als Musiker immer hart zu euch selbst?
Shaun Morgan: Du musst einfach dein strengster Kritiker sein, also ja. Wenn du das nicht bist, denkst du, du bist großartig. Wie manch andere Bands (lacht). Wenn du kritisch mit dir selbst ins Gericht gehst, dann wirst du auch demütig und bescheiden sein. Das musst du auch, weil du nicht jedem auf die Nase binden kannst, dass du er tollste und beste Typ auf der Welt bist und deine Songs makellos sind. Wenn du das machst, dann bist du ein Idiot (lacht). Du musst so glücklich und zufrieden wie möglich sein, weil ganz wird sich der Zustand nie einstellen. Wir Menschen ticken nun einmal so. Es ist vollkommen OK, wenn du im Studio ausflippst, wütend und depressiv wirst, weil du dich so in die Sache reinsteckst. Da steckt viel Wahrheit drin, in der Aussage.

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Foto: EMI

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