MARK Z. DANIELEWSKI: Like no other

Was würden Sie tun, wenn Sie mit voller Vorfreude in Ihr neues Haus einziehen und wenig später merken, dass Türen, Zimmer und gespenstische Flure in den Räumlichkeiten erscheinen, die vor kurzem nicht vorhanden waren? Sie würden Ihren Augen nicht trauen? Gewiss. Würden Sie unmittelbar abreisen und sich diesem sonderbaren Spuk nicht weiter aussetzen wollen oder wäre der Drang, die Phänomene näher zu erforschen, größer?

„Kein Unten, kein Oben, keine Sonne, kein Wind, alle Wege verwoben, ich stolpere blind, durch dein Labyrinth.“ (Wir Sind Helden – Labyrinth)

Mit einem Debütroman solch hohe Wellen zu schlagen, dass schafft wahrlich nicht jeder. Zehn Jahre hat es bis zur Fertigstellung des knapp 800 seitigen Buches gedauert. Drei Jahre nahm die Übersetzung in Anspruch. Mark Z. Danielewski erzählt in „Das Haus – House Of Leaves“ auf mehreren Ebenen der Handlung (davon ist allerdings nicht jede gleich spannend) von einem Haus, in dem seltsame Dinge vor sich gehen. Dieses Gebäude in Virginia reagiert scheinbar auf die inneren Gefühle seiner Bewohner und konfrontiert sie mit ihren Ängsten und verdrängten Befürchtungen.

Der erfolgreiche Fotojournalist Will Navidson bleibt der Dreh- und Angelpunkt. Er zieht mit seiner Frau Karen und seinen zwei Kindern aufs Land, um ein neues Kapitel in seinem Leben aufzuschlagen. Dort angekommen, läuft vorerst alles normal ab. Bis die Wände anfangen, sich zu dehnen. Navidson ist erschüttert, mehr noch fasziniert. Kann es so etwas wirklich geben? Was ist die Erklärung, die Ursache dieser realitätsfernen Brechung der Räumlichkeit? Als schließlich ein langer, finsterer Korridor erscheint, will er wissen, was sich auf der anderen Seite befindet und wohin er führt. Mit diversen Kameras und technischen Hilfsmitteln ausgestattet, startet er mit Freunden und Verwandten Erkundungen. Der ruhmreiche Film „Navidson Record“, der nach den Ereignissen in die Kinos kam, schildert die Geschehnisse. Nach seinem Erscheinen ließ der Hype nicht mehr allzu lange auf sich warten. „Paranormal Activity“ lässt grüßen.

Johnny Truant, die zweite tragende Figur, erhält Jahre später das Vermächtnis eines gewissen Zampanò (der dritte Sockel dieser Geschichte), der bis zu seinem Tod die fiktionale Doku bis ins letzte Detail aufgearbeitet hat. Zampanò war von dem Haus förmlich besessen. Truant wird bei der Sichtung und Ordnung des Materials ebenfalls in diesen Strudel hineingezogen. Der Wahnsinn ist nicht weit.

„Das hier ist nichts für euch.“ (Das Haus – House Of Leaves, Seite 1)

Danielewski spielt mit dem Leser wie mit einem Flummi. Gibt es diesen Film jetzt wirklich? Sind das alles Täuschungsmanöver? Haben Stanley Kubrik und Stephen King wirklich Kommentare zum „Navidson Record“ abgegeben? Hat Zampano wirklich gelebt?

„Das Haus“ ist vom Konzept her geradezu radikal und liest sich sehr filmisch, obwohl die Umsetzung nicht immer frei von Schwächen ist. Die Handlung wird förmlich vor dem geistigen Auge abgespult. Interviews, Gedichte, Prosa, Briefe, kontrapunktisch eingestreute Wortfetzen, Sätze und Textpassagen, die auf dem Kopf stehen, von rechts nach links gelesen werden müssen, sich zusammenziehen, auseinanderfallen oder im Kreis abgebildet sind – „Das Haus“ reizt das Format buchstäblich aus. Mehrere Genres finden bei Danielewski ein Heim: Horrorstory, ein Stück Science Fiction, ein Familiendrama und eine Lovestory. Stets buhlen die verschiedenen Handlungsstränge und die visuellen Komponenten um die Aufmerksamkeit beim Betrachter.

„Tell me it’s the same world whirling through the same space, tell me it’s the same time tripping through the same day, so say it’s the same house and nothing in the house has changed, yeah say it’s the same room and nothing in the room is strange.“ (The Cure – Labyrinth)

Wohin führt dieser dunkle Flur, warum ist er da und wo ist sein Ende? Mehr als einmal lässt der Raum den Betrachter über Sinn und Zweck dieser Gänge im Unklaren. Wir Menschen wissen um unser Ende. Wir wissen nicht, wie es aussehen wird oder was danach kommt und überhaupt, doch wir sind uns unserer Endlichkeit bewusst. Uns fällt es schwer zu verstehen, wie etwas unendlich sein kann. Ohne Ende.

Auch für Navidson ist das ein Brocken, den er erst mal Schlucken muss. Es ist dunkel, finster, kalt und immer wieder erklingt ein Grollen. Trotzdem geht er mehrere Male hinein in die Finsternis. Sie zerrt von ihm, weil er die Antwort, eine Antwort zumindest, auf seine Frage finden muss. Alles suggeriert, dass er sich nicht in der Realität befindet. Mit reiner Vernunft kommt er hier nicht weiter. Religiöse Motive werden angeschnitten und die Kraft der Familie scheint als Zentralthema immer wieder durch, obwohl es Navidson nicht mehr gelingt, sich in den familiären Alltag hineinzugliedern. Die Beziehungen zu seinem Bruder, seinen beiden Kindern und seiner Frau Karen treiben auseinander. Die Räume reagieren darauf. „Das Haus“ ist auch ein Werk über Rückschläge, Durchhaltevermögen und ganz besonders über das Fehlen von Lösungen.

„But the sun is cold – the sky is wrong, the stars are black – the night is gone, the world is still – the space is stopped, the time is out – the day is dropped, the house is dark – the room is scarred.“ (eb. The Cure)

Der Sinn alles Seins kulminiert für Navidson in diesem Haus und seinen Sonderbarkeiten. Wenn uns schon die Religion in diesen Zeiten keinen Halt mehr gibt (und Navidson scheint nicht besonders religiös zu sein), so muss es andere Dinge geben, die uns eine gewisse Aufklärung schenken. Und wer weiß, vielleicht ist Gott ja selbst das Haus in Virginia und er erlaubt sich einen Schabernack. Erst allmählich beginnt Navidson diesen Schatten zu begreifen, der sein Leben zu bedrohen scheint. Dann allerdings ist es schon zu spät. Erlösen kann sich Navidson nur selbst.

Links & Webtips:
klett-cotta.de
facebook.com/MarkZDanielewski
thalia.at

Foto: Klett-Cotta, Danielewski, Ulf Andersen

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