GRIZZLY BEAR: Tightrope walking

Vor fünf Tagen wurde „Shields“, das zweite Album von Grizzly Bear, zum iTunes US Album des Jahres gewählt. Und das ist nur eine von vielen Lobeshuldigungen, die es derzeit hagelt. Da könnte man meinen, dass bei den New Yorkern alles im Lot ist und sie keinerlei Schwierigkeiten haben, ihr Gleichgewicht zu halten. Bei mir liegt der Fall anders und etwas differenzierter: Wenn die meisten Songs in mir das Gefühl auslösen, nach einer Minute weiterzuskippen, was sagt das über sie aus?

Gleich der Opener „Sleeping Ute“ legt mit seiner infizierenden Gitarrenmelodie Zeugnis davon ab, zu welchen Taten Grizzly Bear fähig sind. Formidabel, virtuos und äußerst stimmig beginnt die Platte, die ohne Umwege mit Western-Psychedelik liebäugelt. Man lässt sich fallen. Ehe man sich versieht, landet man in staubigen Wüstenstrichen und Landschaften. Leider bleibt es nicht dabei, denn ich habe das Gefühl, dass die ganze Andersartigkeit auf „Shields“ zur Routine geworden ist. Ein Schritt in die falsche Richtung. Einiges an Zähigkeit ist hinzugekommen seit dem Durchbruch mit „Veckatimest“. Das Album zeigt sich so spröde wie absplitterndes Holz, mit Hang zu mathematischer Struktur. In ihrem Experimentierfluss ist die Band berechenbar geworden.

Ein Drahtseilakt ist ein schwieriges oder gefährliches Vorhaben, bei dem die Balance gewahrt werden muss, um nicht zu scheitern. Ein bisschen zu viel Masse hier, zu wenig Last dort, und schon ist es vorbei mit der Ausgewogenheit. Das ist auch das Dilemma. Angriff oder Verteidigung? Grizzly Bear wissen nicht so recht, wohin und lassen das den Zuhörer spüren.

„Shields“ bringt für mich wenig Klarheit ins Schaffen der New Yorker. Ihr Stilmix ist abwegig und absonderlich, nicht immer einladend. Es ist schwer zu umschreiben, was in Stücken wie „Yet Again“, „Adelma“ oder „Speaking In Rounds“ gespielt wird. Große und kleine rhythmische Verschiebung sorgen stets für Abwechslung, aber manchmal hat man das Empfinden, dass die Zeit still steht und nichts weiter passiert, obwohl die Band allerlei Leckereien auffährt, um anzubeißen. Eigentlich ja recht lecker, aber am Ende doch immer dasselbe.

Man sagt, wer genau hinguckt, sieht hinter dem Titelbild des amerikanischen Malers Richard Diebenkorn warme Farben leuchten. Mir bleiben sie verborgen.

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Facts:
Grizzly Bear – Shields
Gesamtspielzeit: ca. 48 Minuten
Warp (Rough Trade)

Links & Webtips:
grizzly-bear.net
facebook.com/grizzlybear
twitter.com/grizzlybear

Foto: Tom Hines

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