PLACEBO: Klangfarbe bunt?

Um ihre Musik mit psychedelisch wirkenden Regenborgenfarben zu überziehen, brauchen Placebo auf ihrem siebten Album gerade einmal 48 Minuten. Raffinierte Klangschichten, die malerisch um die Wette strahlen. Die zehn Songs, die darauf enthalten sind, versuchen indessen mit allen Mitteln dem Düsteren die Kälte auszutreiben. „Loud Like Love“ ist letztendlich leicht zu goutieren, geht aber nicht leichtfertig mit seinen Themen um.

Gefühlsbetonter als die Konkurrenz waren Placebo eigentlich schon immer. Vielleicht sind sie mir deshalb über die Jahre so sehr ans Herz gewachsen. Sich in Leute hineinversetzen und Empathie zeigen – Fähigkeiten, die sie ohne jeden Zweifel beherrschen und in ihre Songs einfließen lassen. Möglicherweise ist eine Band wie Radiohead innovativer in ihrer Herangehensweise, doch wie das Trio hat mich die Band um Thom Yorke beispielsweise nie gepackt. That’s the truth. Aber nun zur wichtigsten Frage aller Fragen: Ist das siebte Placebo-Album nun so bunt und grell wie sein Cover? Diese Frage darf mit einem „Nein“ beantwortet werden. Die Songs auf „Loud Like Love“ reihen sich von ihrer Struktur her wie auch rhythmisch gar nicht so nah einander wie zuletzt auf dem kraftstrotzenden Vorgänger „Battle For The Sun“. Das Material steht wieder viel mehr für sich selbst als zuletzt, dabei entbehrt auch „Loud Like Live“ nicht einer gewissen Ohrwurmigkeit. Ganz im Gegenteil.

Schon im gleichnamigen Opener steckt eine gewisse Dringlichkeit, der man sich schwer entziehen kann. Das typisch Amerikanische (die bombastische Inszenierung, siehe „Battle For The Sun“) vernimmt man hingegen nahezu gar nicht mehr. Das anschließende „Scene Of The Crime“ nimmt offensiv viel Anlauf auf, um schließlich zu einer Refrain-Explosion hingeführt zu werden. Hat der steigende Informations- und Kommunikationsfluss schlicht dazu geführt, dass unser Emotionshaushalt auf Eis liegt? Mit dieser Frage beschäftigt sich mehr oder weniger „Too Many Friends“, eine ja doch griffige Single, die nicht bei jedem mit Facebook-Profil und Twitter-Account Glücksgefühle geweckt hat.

Danach gilt es noch weitere meterhohe Emotionsparcours hinter sich zu lassen. Melancholische Balladen („Hold On To Me“ mit Sprechgesang am Ende!), aufmüpfige-lüsterne Protestsongs (das basslastige „Rob The Bank“), Glam-Momente („Purify“) und Lieder, die noch mehr den Schattenseiten des Lebens tief in die Augen schauen (das in jeder Hinsicht perfekte „A Million Little Pieces“ oder „Exit Wounds“ mit seinem trippigen, düsteren Electro-Loop zerrt ganz schön am Herzen und könnte auch von einer Band wie Portishead stammen).

Den Schlussstrich setzt „Bosco“, der längste Songs des Albums mit fast sieben Minuten. Molko im Tal der Tränen. In aller Ausführlichkeit und in wehmütiger Stimmung wird hier von Trunkenheit und vom Zerfall gesprochen, der an jeder Ecke zu lauern scheint. Verzweifelnd, fesselnd und ehrlich singt Molko davon, wie es ist, die ein oder andere Flasche zu köpfen. Auch was man am Ende von „Loud Like Love“ merkt: Diese Platte lebt auch vor allem durch ihre Stimmung zwischen den Zeilen.

Vom schrammeligen Indie-Rock zum selbstbewussten Alternative-Rock in 20 ereignisreichen Jahren – warum nicht. Aus dem Untergrund ins rauschende Rampenlicht sind Placebo jetzt seit einigen Jahren getreten. Dabei haben sie in ihrer Karriere vieles richtig gemacht. Es fällt einem ein Stein vom Herzen, weil Brian Molko gegenwärtig sein Feingefühl für ambivalente Gefühlswelten nicht verloren hat. Und vor lauter Ideen verlieren Placebo auch Melodie und Hook nie aus den Augen. Selbstbestimmung durch Selbstfindung und mittendrin sie selbst.

Weshalb Placebo nicht langweilig werden? Weil sie immer noch genug Hits schreiben und die Songs dazwischen genug tollen Momenten besitzen, damit man bei der Stange bleibt. Sie wollten eine Platte machen, die perfekt für lange Autofahrten geeignet ist, meinen Placebo im subtext.at-Interview. Dieses Vorhaben ist ihnen geglückt.

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