„Next to normal“: Ungewöhnliche Thematik, außergewöhnlich gute Umsetzung

Das Musical „Next to normal“, derzeit im Linzer Landestheater, erzählt die Geschichte einer manisch-depressiven Mutter und ihrer Familie. Dabei schafft es das Stück, ohne übermäßige Dramatisierung (Inszenierung: Matthias Davids) den Ernst der Erkrankung darzustellen.

Dan (Reinwald Kranner) und Diana Goodman (Kristin Hölck) wohnen gemeinsam mit ihrer Tochter Natalie (Lisa Antoni) in einem Haus in der Vorstadt. Ihr Alltag besteht aus beruflichen Verpflichtungen, Haushaltstätigkeiten, gemeinsamen Mahlzeiten, aber auch aus Besuchen bei Ärzt/inn/en und Psychiater/inne/n, Medikamenten und neuen Therapieversuchen. Denn Diana ist seit dem Tod ihres achtmonatigen Sohnes Gabe (Oliver Liebl) psychisch labil, ihre abwechselnden Tief-und Hochphasen sind eine Herausforderung für die gesamte Familie: Für Nathalie ist es einfacher, sich auf ihr Musikstudium zu konzentrieren, als das Leben leicht(er) zu nehmen oder eine Beziehung mit Henry einzugehen (Christian Manuel Oliveira). Dan möchte Diana nicht bevormunden, gerät aber in Situationen, in denen er nicht weiß, wie er ihr helfen kann und was seine Ehefrau überhaupt möchte. Also werden ein neuer Arzt (Rob Pelzer) und die Elektrokrampftherapie zumindest ausprobiert.

Die Schauspielenden sind in „Next to normal“ passend zu ihrem dynamischen Leben ständig in Bewegung. Kristin Hölck gibt ihrer Figur einen eigenen Charakter, der sowohl in (passiven) Zuständen der Verzweiflung, als auch in erhöhtem Tatendrang zu tragen kommt. Sie wirkt dabei nie lächerlich oder gar peinlich. Gerade den fein eingesetzten Humor braucht es, um das Stück aufzulockern und um die Zusehenden nicht komplett zu verstimmen. Reinwald Kranner geht erstaunlich geduldig mit der Krankheit seiner Ehefrau um. Da erscheint es durchaus nachvollziehbar, dass er es nicht versteht, dass sie ihre Tabletten eigenhändig absetzt oder dass auch ihm phasenweise die Kraft fehlt und er gegen Ende hin alleine an einem Tisch sitzend ins Leere starrt. Lisa Antoni ist hin-und hergerissen zwischen der Sorge und Liebe um die Mutter, aber auch der Schwierigkeit der distanzierten Mutter- Tochter-Beziehung, die dazu führt, dass es ihr schwerfällt, anderen Personen zu vertrauen und diese nahe an sich heran zu lassen. Oliver Liebl erscheint in Illusionen als Verbündeter der Mutter, der ihr zwar die notwendige Bestätigung gibt, jedoch für Dan und Natalie mehr eine Belastung, als eine positiv aufbewahrte Erinnerung repräsentiert.

Ebenfalls adäquat zum Inhalt ist der musikalische Aspekt. Die gespielten Lieder untermauern die Abwechslungen in den Stimmungen Dianas und die vielen Herausforderungen der Goodmans (verglichen mit einer „gewöhnlichen Kernfamilie“). Die Palette reicht dabei von Klassik bis Rock´n´Roll. Dem Text ist gut zu folgen, wenngleich er sich teilweise einfallslos in das Geschehen einfügt sowie durch Titel wie „Mir fehl´n die Berge“ oder „Richtig für dich“ negativ behaftet sein könnte (Buch und Liedtexte von Brian Yorkey, Musik von Tom Kitt, deutsche Übersetzung durch Titus Hofmann).
„Next to normal“ bietet einerseits einen authentischen Einblick in die Behandlung und den Umgang mit einer psychischen Erkrankung, erzählt aber andererseits genauso das Leben der Familie Goodman. Dieses bleibt davon zwar nicht unberührt, dennoch geht es mit dem Wunsch, nicht auf die Krankheit reduziert zu werden, weiter. Den sich zeitlich parallel abspielenden Szenen hat man mit dem Bühnenbild Rechnung getragen: mehrere Ebenen, die symbolisch für das Auf und Ab des Innenlebens der Figuren stehen (Sanne Danz). Die Kleidung ist an die jeweilige Situation angepasst, oftmals grau- blau gehalten, bei Natalie und Henry sportlicher, bei dem Arzt, der zurückhaltend agiert, eine Spur konservativer (Richard Stockinger).

Auf Opfer-/Täter/innen- Zuschreibungen und sonstige Stigmatisierungen wurde verzichtet. Dr. Anton Tölk, Leiter des Instituts für Psychotherapie an der Linzer Wagner-Jauregg- Klinik, war für die wissenschaftliche Begleitung des Stückes zuständig. Er merkt in einem Interview an, dass die Thematisierung der bipolaren Störung in einem Musical, sprich in einer Unterhaltungsversion des Musiktheaters, zur Entstigmatisierung beitragen könne. Mittlerweile weisen 3-5 Prozent der Bevölkerung eine manisch-depressive Erkrankung auf. Psychisch krank sei laut Manfred Stelzig, Leiter für psychosomatische Medizin am Universitätsklinikum Salzburg, gar jede siebte Person.

Die Aussage„Ich spüre überhaupt nichts mehr“- „Patientin stabil“ verdeutlicht überspitzt die Nebenwirkungen von Medikamenten, stellt subtil vielleicht eine Kritik an der Leistungsgesellschaft, die uns rationales Denken und dazu gegebenfalls auch eine Ausblendung von Emotionen abverlangt, dar.
Des Weiteren zeigt „Next to normal“ die Wichtigkeit, Angehörige psychisch Erkrankter bei therapeutischen Maßnahmen miteinzubeziehen.Das Ende gestaltet sich den Heilungschancen und Unterschieden zu physischen Krankheiten entsprechend als offen, wenngleich sich ein Hoffnungsschimmer andeutet.

„Next to normal“ (3 Tony Awards, Pulitzer Preis) wurde 2008 uraufgeführt, war von 2009- 2011 am Broadway zu sehen und  wurde im deutschsprachigen Raum zum ersten Mal 2013 aufgeführt. In Österreich ist das Stück seit dem 18.1. im Linzer Landestheater zu sehen. Die nächsten Vorstellungstermine sind der 30.1. sowie der 5.2. jeweils von 19.30 – ca. 22 Uhr.

Katharina ist Sozialwissenschaftlerin und Redakteurin. Sie beschäftigt sich vor allem mit gesellschaftlichen (z.B. frauenpolitischen) und kulturellen (z.B. Film, Theater, Literatur) Themen. Zum Ausgleich schreibt sie in ihrer Freizeit gerne literarische Texte: https://wortfetzereien.wordpress.com/