Cluseo
© Christoph Köstlin

CLUESO: „Meine Generation hat Bock, geil zu leben“

Teil 1 – Wenn Thomas Hübner, so der bürgerliche Name von Clueso, einem gegenübersitzt, kriegt man ein Gefühl davon, wie feurig, rastlos und ruhelos der Erfurter eigentlich ist, der sonst immer auf der Sonnenseite des Lebens zu finden ist. Einer, der immer los will, wenn er gerade angekommen ist. Clueso ist jemand, der zwischen den eigenen Ansprüchen und den Messlatten von anderen hin und her jongliert.

Mit dem aktuellen Album „Stadtrandlichter“ hat der Erfurter seine musikalische Mitte einmal mehr gefunden. Ein Gespräch über Ehrgeiz, gemeinsame Nenner und Udo Lindenberg.

subtext.at: Clueso, was kann einen erfolgreichen Musiker wie dich eigentlich noch beeindrucken?
Clueso: Ich komme ja aus Erfurt, einer mittleren Kleinstadt, und da beeindruckt einen Authentizität. Mich beeindruckt vor allem bei jüngeren Künstlern, wenn sie authentisch sind. Die darauf achten, wie sie sich geben und dann noch Erfolg haben, was schwierig ist. Die Mimese, die Nachahmung, funktioniert viel über das Internet. Es ist eine sehr schnelllebige Zeit. Die Leute sehen etwas, schauen etwas und merken, dass es ganz viele Klicks hat. Es bekommt eine ganz bestimmte Priorität. Dann finden sie Design cool, junge Leute haben heutzutage sofort einen Stil.

Wenn ich überlege, wie ich damals rumgerannt bin, mit fünfzehn, sechzehn, und sehe, wie stylisch Instagram-Profile von Leuten sind… Da gibt es den Fahrrad-Typen, den American-Apparel-Typen, den Grafik-Typen, whatever. Es ist schon alles sehr gefächert. (überlegt kurz) Manchmal habe ich das Gefühl, dass diese Dinge bei manchen Artists wichtiger sind als der Inhalt. Der Inhalt ist die Währung von morgen. Ich bin beeindruckt, wenn ich merke, dass es beides gibt und beides verbunden ist. Da gucke ich mir auch gerne etwas ab, wenn Leute sowohl eine geile Verpackung haben als auch einen guten Inhalt (lacht).

subtext.at: Inhalt und Verpackung sollen einen gemeinsamen Nenner ergeben – ist dir das wichtig?
Clueso: Das war schon immer wichtig für mich. Ich habe einen sehr großen Freundeskreis. Ich wohne in einer WG mit einem Grafiker zusammen, mit sieben anderen Künstlern auch. Den kenne ich schon ewig, seit zwanzig Jahren. Er hat immer die ganzen Cover von mir gemacht. Er kennt mich so gut als Mensch, dass er immer einen Bezug zur Musik hat und gleichzeitig zu mir als Person. Ein gutes Cover muss einen Link zu einer Person liefern. Oder zu einer Geschichte. Man muss entführt werden. Hinter dir liegt ja das neue Album.

Wenn man es aufklappt, ist da gleich ein Foto zu sehen. Ein Garagenhof bei uns um die Ecke. Das Foto lag auf dem Schreibtisch und ich hab gesagt: „Alter, voll geil.“ Da gab es natürlich auch Gegenstimmen, weil mein Gesicht nicht drauf ist. (überlegt kurz) Eine gute Verpackung macht natürlich neugierig, aber entführt einen ja auch ein bisschen. Musik zu hören ist ja auch eine Art von Flucht – im positiven Sinne. Wie bei einem Computerspiel. Oder wenn man etwas auspackt und sich freut. Ist dann nur enttäuschend, wenn da nichts drin ist (lacht).

subtext.at: Bist du so ehrgeizig oder hast du keine andere Möglichkeit gesehen, als Geschäftsmann zu werden und dein eigenes Label zu gründen, um dir deine künstlerische Freiheit beizubehalten?
Clueso: (überlegt) Ich hatte immer ein schönes Zuhause bei Four Music. Cooles Label. Sie haben nie in die Musik reingeredet, nur Tipps gegeben. Am Anfang waren sie aber noch sehr klein und dadurch sehr reaktionär, es gab nicht so viel Spielgeld. Als ich mit Musik angefangen habe, haben sie aber sehr gebrannt für die Sache. Dann bin ich zur Sony gewandert, weil Four Music von der Sony geschluckt wurde. (überlegt) Ich finde ja Infights super gesund, also wenn jemand nicht derselben Meinung ist. Jetzt habe ich das gar nicht, weil ich einen Freundeskreis habe, die das alles machen. Wir sind eigentlich ziemlich einer Meinung, da fehlt uns manchmal die Reibung. Die innovativsten Ideen kamen aber bei uns schon immer aus dem eigenen Kreis, nicht von den Plattenfirmen. Wir denken nicht wie Politiker oder Plattenfirma in einer Amtszeit, sondern wir denken einfach noch weiter und wollen gucken, was passiert.

subtext.at: Du hast vorhin gesagt, dass unsere Zeit heutzutage sehr schnelllebig ist. Warum macht man sich überhaupt noch die Mühe, eine CD zu produzieren?
Clueso: Die CD wird keine Renaissance erleben. Was kann man tun? Wie kann man das Handeln des Fans legalisieren, dass Downloads nicht sozusagen illegal sind? Wir haben ein Ticketsystem entworfen. Und, und, und. Für uns war es die logische Konsequenz, ein eigenes Label zu gründen. Dass wir überhaupt die Chance haben, so etwa zu tun, ist überhaupt ein Ding. Viele Künstler haben gar nicht die Chance, die haben Verträge, die gehen so lange, dass sie gar keine eigenes Label machen könnten – selbst wenn sie wollten. Wir haben das Glück, dass wir die Hand nie ganz weit aufgehalten haben und nicht so lange Fristen hatten.

Ein eigenes Label zu gründen ist, das kann ich unterschreiben, der anstrengendere Weg (lacht). Aber es ist eine Freiheit, die ich genieße. Vor allem den kreativen Raum. (überlegt) Ich habe mal einen Musiker-Kumpel gehabt, der hat eine bestimmte Sache gemacht, von der war ich nicht so überzeugt. Ich habe zu ihm gesagt, dass es wichtiger ist, was es mit dir selber macht und nicht, was du damit erreichst. Ich will nicht, dass du andere Texte schreibst. (überlegt kurz) Ein Label macht auch kreativ. Es macht was mit mir – und das ist gut (lächelt).

subtext.at: Kann es gefährlich werden, wenn Musiker zu ernsthaft an die Musik herangehen? Denkst du, dass es sehr schnell langweilig werden kann, wenn die Ratio die Seele verdrängt?
Clueso: Musiker sollten das nicht machen. Ich mache es auch nicht. Ich habe einen Freundeskreis, die machen und organisieren mein Büro. Als Frontmann habe ich ein gutes Gespür, was in einem Raum vor sich geht. Ich brauche Platz für die Kunst. Es gibt diesen Spruch unter Managern: „Keep the talent happy.“ Auf jeden Fall würde ich unglücklich werden (lacht)! Wenn jemand Ambitionen dazu hat, kann er es gerne machen. Wenn jemand mehr Bock auf Business hat als auf Musik, sollte man das nicht verheimlichen. Das spürt man. Beides zusammen muss funktionieren, weil auch viele Jobs dran hängen. Wenn ich auf Tour gehe, dann begleiten mich fast fünfzig bis sechzig Leute.

subtext.at: Würdest du dich als Perfektionisten beschreiben?
Clueso: Absolut. (überlegt) Mir geht es nicht um perfektionistische Sachen, die glatt sind. Ich schreibe zum Beispiel überall Texte, egal wo. An jedem Ort, wenn ich eine Idee habe, versuche ich sie festzuhalten. Dann versuche ich, dieser Idee gerecht zu werden. Das ist, glaube ich, das Schwierigste. Um einer Idee gerecht zu werden, muss man manchmal im Uhrzeigersinn, fünf vor zwölf, einen langen Weg gehen. Da bin ich perfektionistisch, weil ich eine Skizze, einen Snapshot vor Augen habe und genau dort hinwill. Unsere Liveshows sind auch so, weil wir nicht eine Band sind, die immer das Gleiche spielt – aber die ausgemachte, emotionale Peaks hat. Da müssen wir landen, da müssen wir hin. Das Ende ist so, der Anfang ist so, los geht’s! Wenn wir diese Peaks nicht erreichen, bin ich auch sehr perfektionistisch.

subtext.at: „Wenn ich etwas will, dann arbeite ich sehr hart daran“ – ist das eine Aussage, die auf dich zutrifft?
Clueso: Ja, denn es gibt ja Talent und Leidenschaft. Die braucht man beide, um irgendwo anzukommen. Talent und Intelligenz sind nur Munition, denn die eigentliche Sache ist dann die Arbeit. Viel Arbeit (lacht). Ist nicht alles dem genialen Geist entsprungen. Deswegen muss man halt viel rackern, um Visionen zu verfolgen und nach Hause zu bringen.

subtext.at: „Nichts erfüllt einen so sehr wie die Arbeit, die man liebt“ – und diese?
Clueso: Ich weiß nicht, ob es ein chinesisches Sprichwort ist, aber es ist wahr (lächelt). Viele große Künstler, die ich bewundere, hatten damals die Ansicht, ewig zu leben in der Musik. Das war in der Musik so drin, sind dann auch relativ zeitig gestorben (lächelt). Viele sind auch verbrannt auf dem Weg. Meine Generation hat Bock, geil zu leben. Und in den Zeitstrahl der Musik einzugehen. Beides unter einen Hut zu kriegen ist wichtig. Ich möchte alt werden mit der Musik und irgendwann dasitzen und sagen: „War geil.“ Das kann man nur machen, wenn man eine Arbeit macht, die einen erfüllt und gleichzeitig gesund hält.

subtext.at: Große und berühmte Musiker bauen einen auf und geben einem, im besten Fall, etwas von ihrem Glanz ab. Was hast du von einem wie Udo Lindenberg lernen können, als du mit ihm den Song „Cello“ aufgenommen hast?
Clueso: Erfahrung ist ja nicht übertragbar und das, was bei Udo funktioniert hat, kann ich nicht auf mich anwenden. Ich kann mir aber Sachen abgucken. Kleinigkeiten, auf die ich Wert lege, die sich bestätigen. So ähnlich, wie wenn man in seiner Jugendzeit Herman Hesse liest und sich denkt: „Geil!“ Man hat dasselbe vielleicht schon gedacht, aber nicht so auf den Punkt gebracht. Eigentlich wird man nur bestätigt in seiner Denkweise. Mit Udo war es so ähnlich. Meinen Vater hat er vor einem Jahr kennengelernt und als wir dann nach einem Jahr im Studio bei mir zu Hause waren, hat er gleich zu ihm gesagt: (spricht wie Udo Lindenberg) „Hallo, Roland, grüß dich.“ Er wusste sofort den Namen und ich gucke mir sehr ab, wie Künstler auf mein Umfeld reagieren (lacht).

Udo ist einer, der alle begrüßt, die im Raum sind. Alle hat er einbezogen und deren Angst abgebaut. Er weiß selber, dass er mit Hut kommt und Sonnenbrille. Und er weiß selber, dass er sich eine Zigarre anzündet in einem Raum, wo rauchen nicht erlaubt ist. Er ist ein Superstar, wie ein deutscher Michael Jackson. Wie ein Chansons-Sänger und Ozzy Osbourne zusammen (lacht). Gleichzeitig baut er diese Angst vor ihm ab, indem er sich um das Umfeld kümmert. Das finde ich sehr beeindruckend. Ich kann mir Namen nicht gut merken und will das lernen, weil es sehr hilfreich ist. Nicht nur den Raum für sich zu beanspruchen, sondern sich auch wie zu Hause zu fühlen.

zu Teil 2 des Interviews

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Fotos: Christoph Köstlin

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