NAZAR: „Alles, was hinter vorgehaltener Hand passiert, ist gefährlich“

Teil 2 – Es gibt Menschen im Allgemeinen und Musiker im Speziellen, die wunderbar ins Klischee passen und bekannten Vorurteilen problemslos entsprechen. Nazar mag auf den ersten Blick berüchtigte Stereotypen erfüllen, doch auf den zweiten Blick zeigt sich, dass der Rapper aus Wien-Favoriten zu großer Selbstreflexion neigt und sich durchaus kritisch mit sich und seiner Umgebung auseinandersetzt.

Ein Interview über Narzissmus in sozialen Medien, das Internet als Spiegelbild unserer Gesellschaft und die Zahl 30. 

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subtext.at: Wann hast du festgestellt, dass du vielleicht doch nicht der Typ für ein sogenanntes geregeltes Leben bist, sprich mit Job, bei dem du morgens hingehst und abends wieder heimkommst?
Nazar: Relativ früh sogar. Als ich noch in der Schule war, habe ich in einem Restaurant als Kellner gearbeitet und bin dann mit der Nightline nach Hause gefahren, habe drei oder fünf Stunden geschlafen und dann wieder in die Schule und das über ein paar Monate. Ich war ein mega aggressives Kind und habe die Hauptschule mit Mühe und Not abgeschlossen, obwohl ich schultechnisch gar keine Probleme hatte. Ich habe mit dem Gymnasium begonnen und habe dort mal einen Professor geschlagen, weil er meine Mutter beleidigt hat, was mega dumm von mir war.

subtext.at: Klingt nach einer turbulenten Schulzeit.
Nazar: Ich wurde dann auf eine Hauptschule verwiesen und musste dort immer anwesend sein. Gelernt habe ich eigentlich nie was und ich habe mega viel geschwänzt. Ich habe einfach nur die Prüfungen gemacht, bestanden und bin immer durchgekommen. Nach der Hauptschule, da kann ich mich gut erinnern, habe ich über dreihundert Bewerbungen abgeschickt für eine Lehrstelle. Ein ganzes Jahr habe ich nichts bekommen. Was sollte ich machen? Ich bin jetzt nicht der Typ, der gerne in Räumen sitzt und irgendeinem Typen acht Stunden lang zuhört. Eine weiterführende Schule oder Uni war nicht wirklich drin. Ich habe dann mein Ding durchgezogen und bin dann auf der Straße gelandet, bei Freunden, wo wir auch unser Geld verdient haben. Meine Freunde, die eine Lehre begonnen hatten, haben mir stets erzählt, wie es für sie halt ist. Ich dachte mir nur, dass wenn ich das vermeiden kann, ich schon froh darüber wäre.

subtext.at: Das Internet ist die größte Bühne unserer Zeit und so narzisstisch wie die gegenwärtige Generation von Jugendlichen ist, war keine jemals zuvor, klagen Psychologen und machen die sozialen Medien dafür verantwortlich. 
Nazar: Ich glaube, dass es wieder so Klugscheißersätze sind.

subtext.at: Im Netz kann sich der neue Narzissmus wunderbar austoben. Deine Meinung dazu?
Nazar: Im Endeffekt ist das Internet das Spiegelbild der Gesellschaft. Damals gab es für jeden Vollidioten nicht die Möglichkeit, jemandem zu schreiben, wie sehr er ihn hasst oder liebt. Jetzt haben wir die Möglichkeit und jetzt sehen das die Menschen. Sie fragen sich: „Krass, sind wir wirklich solche vulgären, abstoßende, menschenfeindliche, religionshassende, geschlechtshassende Schweine?“ Ich glaube nicht, dass sich das verändert hat, aber das Internet funktioniert halt wie ein Spiegel.

subtext.at: Ist dieser Schritt gut oder schlecht?
Nazar: Gut, denke ich. Alles, was hinter vorgehaltener Hand passiert, ist gefährlich. Es ist bedrohlicher als ein Idiot, der öffentlich schreibt, wie seine Besinnung ist, den man vielleicht vorher dann noch stoppen kann. Man kann sich Gedanken machen, in welche Richtung sich etwas entwickelt. In Ländern, wo die Pressefreiheit absolut nicht gegeben ist und Menschen unterdrückt werden wie im Iran, aus dem ich komme, ist ein gutes Beispiel dafür. Das Internet wurde gedrosselt bis der Präsident Hassan Rohani gesagt hat: „Ey, wollt ihr mich verarschen, ich brauche vier Stunden, um meine Mails zu öffnen!“ Der Iran hat versucht, die Menschen abzuschotten, was nur dazu geführt hat, dass es noch interessanter und noch schlimmer wurde. Nur weil du etwas nicht gestattest, kann du nicht verhindern, dass es trotzdem passiert. Wir sehen das ja an Drogen, Alkohol, Prostitution, Menschenhandel, Gewalt.

MichaelBreyer

subtext.at: Wie ehrlich darf man in der Popkultur sein?
Nazar: Ich habe es ja getan und die Auswirkungen hat man auch gesehen. Ich kann mich noch ganz genau erinnern, als mein Album „Camouflage“ angekündigt wurde und ich bei den ganzen TV-Shows war, „Willkommen Österreich“ und so weiter und so fort… Da gab es eine Phase, da traue ich mich jetzt zu sagen, dass ich zu 70% Everybody’s Darling war. Selbst die Österreicher haben gesagt: „Bist du deppert, endlich mal ein Tschusch, der ein bisserl Deutsch reden kann und halbwegs was im Kopf hat.“ Nach der Strache-Sache war ich dann für 70% der Todesfeind, weil sie meinten, was für ein Abschaum ich nicht bin, einen Politiker so betiteln zu dürfen auf der Bühne als Musiker. Falco war der letzte coole Typ, der zwar eine Persönlichkeit gespielt hat, den man aber halt so akzeptiert hat. Nach meiner Sache hat sich der Gabalier-Typ gedacht „Hey cool, es funktioniert ja irgendwie“ und hat sich irgendeinen Blödsinn einfallen lassen, um zu polarisieren, was meiner Meinung nach mega peinlich von ihm war, was er da abgezogen hat. Da merkt man auch, dass es geplant war. Es ist einfach zielorientierte Bevölkerungspropaganda, um sich eine Nische zu suchen, bei der eine Seite dann sagt, dass sie es voll geil ist, was du sagst.

subtext.at: Kannst du besser austeilen als einstecken?
Nazar: (überlegt) Besser austeilen als einstecken? Ich glaube nicht, weil das HipHop-Genre, aus dem ich komme, auch sehr vulgär ist, was die Fans betrifft und die Kommentare auf Facebook. So oft, wie ich da täglich beleidigt werde, beleidige ich keinen Menschen (lacht)! Ich kann wohl besser einstecken als austeilen.

Nazarpromo

subtext.at: Der amerikanische Philosoph William James schrieb 1890: „Der Charakter des Menschen ist spätestens mit dreißig so erstarrt wie Gips, und er wird nie wieder weich werden.“ Du bist letztes Jahr 30 geworden…
Nazar: Wer hat das gesagt?

subtext.at: Der Philosoph William James.
Nazar: Krasser Typ! Ich hoffe, er irrt sich (lacht).

subtext.at: Die Hälfte des diesjährigen Jahres ist um. Was war dein bisheriger Höhepunkt in diesem Jahr, der Moment des Jahres für dich?
Nazar: Weißt du, dass ist dieses Jahr sehr schwer, weil so viele krasse Sachen passiert sind. Ich kann dir kein einzelnes Ereignis nennen. Als ich mit der Musik begonnen habe, wusste ich schon, wo ich hin möchte. Ich wollte erfolgreich sein, Menschen berühren. Ich wollte den Menschen meine Geschichte erzählen und vielleicht finden sich da welche, die die gleiche Geschichte haben wie ich. Du musst dir vorstellen, das letzte Mal, wo ich auf der Donauinsel war, war ich hier als Gast, als Zuseher, als Fan – jetzt spiele ich hier als Headliner, was ich mir nie erträumt hätte. Ich habe unglaubliche Werbedeals unterschrieben. Ich kann sagen, dass ich ein richtiger McDonald’s-Junkie bin. Ich war lange im Krankenhaus und meine Mutter hat mir früher immer diese Juniortüte mitgebracht, mit dem Spielzeug. Der Move von ihr war, mir eine Freude zu machen. Das ist irgendwie in meinem Kopf haften geblieben. Plötzlich kommt dann diese Firma und will mit dir zusammenarbeiten. Dann die österreichische Fußballbundesliga, die auf mich zugekommen ist. Ich bin Fußballfanatiker! Frühen haben mein Bruder und ich meine Mutter angebettelt, damit wir bestimmte Schuhe bekommen. Vieles hätte ich mir niemals erträumt. Es sind so viele Momente und Ereignisse passiert, die ich jetzt niederschreiben müsste, um mich an alle zu erinnern.

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Ende Teil 2 des Interviews.

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Teil 1 des Interviews mit Nazar
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Foto: Michael Breyer

Instigator. Mind reader. Fortuneteller. Everday hero. Charmer. Writer. Editor. Music lover. Film enthusiast. Aesthete.