TURBOSTAAT: Abalonia

Abalonia ist eine Geschichte über Aufbruch und Flucht – an einen besseren Ort, in ein besseres Leben – um jeden Preis. Eine Geschichte, die so altbekannt wie auch von aktueller Relevanz ist. Turbostaat umarmen auf Album Nummer 7 ihre gewohnten Stärken, wissen aber genauso zu überraschen und zaubern ein fast makelloses Konzeptalbum aus dem Hut, das klingt, als würde man persönlich durch weite, triste und doch so bezaubernde Landschaft des Wattenmeeres ziehen, wie man es aus ihren Musikvideos kennt.

„Komm mit mir / Wir bleiben nicht zum Sterben hier!“ – So beginnt die Reise nach Abalonia, auf die uns das siebte Turbostaat-Album mit seinen beiden Protagonisten schickt. Flucht, Verfolgung, Tod – Hoffnung, Aufbruch, Neuanfang. Gleich der erste Song Ruperts Gruen schafft es, all diese Stimmungen und Emotionen auf einmal zu transportieren. Dabei fällt schnell auf, dass der Tonfall ernster geworden ist. Unterstrichen wird das auf Abalonia auch wieder durch krachende, instrumentale Ausbrüche (siehe: „Lass sie doch in ihrer Wut zurück!“). Das Konzept ist ein klares und im Angesicht der momentanen Stimmung in Mitteleuropa natürlich aktueller denn je. Aber zu 100% halten sich Turbostaat dann doch nicht an dieses eigens auferlegte Korsett. Klar, wo bleibt sonst der Punk? Immer wieder wechseln sie nämlich in ihrem Storytelling zwischen Fiktion und Realität (z.B. der Wels), lassen die Grenze gleich ganz verschwimmen, oder weichen von ihrer eigentlichen Hauptgeschichte ab, um auch mal einen Unbeteiligten einen Blick von außen auf das Geschehen werfen zu lassen, wie im großartigen, melancholischen Stück Wolter.

Aber Turbostaat begeben sich auf Abalonia nicht nur erzählerisch auf unbekannte Pfade. Auch stilistisch haben sie einige neue Ansätze zu bieten. Das leicht sperrig daher stampfende Eisenmann erinnert in der Art und Weise, wie Sänger Jan Windmeier das instrumentale Auf und Ab des Stückes dirigiert etwas an die Art Songwriting von La Dispute. Wo Geistschwein noch dezentem mit dem Post-Punk kokettiert, geht die Toten dann vollends darin auf und die Arschgesichter geht glatt als Ballade durch – und man muss sagen, diese erfrischende Neuausrichtung steht den fünf Herren aus Husum (..verdammt!) ausgezeichnet. Aber keine Angst, der Umbruch ist noch nicht in vollem Gange! Mit dem Titelstück AbaloniaTotmannknopf, oder Der Zeuge findet sich genügend klassisches Turbostaat-Liedgut auf dem Album. Natürlich mit weniger Überraschungsmomenten, aber dafür auf kontinuierlich hohem Niveau.

Generell ist Abalonia ein Album ohne Ausfälle und mit einigen der stärksten Songs der jüngeren Bandgeschichte geworden, dem es aber hier und da am letzten Quäntchen Entschlossenheit fehlt, um sein Potenzial wirklich vollends auszuschöpfen. Dennoch zeigt es, dass Turbostaat noch lange nicht an ihrem kreativen Zenit angekommen sind und sich weiterhin gerne selbst herausfordern. Punkrock hin, oder her. Hier weht wieder frischer Wind. Mit dieser Band muss man weiterhin fest rechnen.

 

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Tracklist

01. Ruperts Gruen
02. Der Zeuge
03. Der Wels
04. Die Arschgesichter
05. Wolter
06. Eisenmann
07. Totmannknopf
08. Geistschwein
09. Die Toten
10. Abalonia

VÖ: 29.01.2016, via PIAS

Schreibt Albumrezensionen, Konzertberichte und führt gerne Interviews - transkribieren tut er diese aber weniger gern. Immer wieder auch für Blödsinnigkeiten abseits seines Kerngebiets "Musik" zu haben. Hosted einmal monatlich die Sendung "Subtext on Air" auf Radio FRO, ist bei mehreren Kulturinitiativen und in einer Band aktiv.