Turbostaat: „Die Reise steht im Vordergrund!“

Im Rahmen ihres neuen Albums Abalonia besuchte Turbostaat auch die Arena Wien. Gitarrist Rollo Santos nahm sich für uns Zeit und sprach über Politik, die Bandgeschichte, Social Media und über Konzertstimmungen.

subtext.at: Hi Rotze, danke dass du dir die Zeit nimmst. Ihr habt in einem Interview mit dem Visions Magazin vom Februar diesen Jahres gesagt, dass es keinen genauen Ort für Abalonia gibt. Mich würde trotzdem interessieren, wie Abalonia als Zufluchtsort für dich ganz persönlich aussehen würde?
Rollo: Es geht ja gar nicht darum, was ich denke. Ich bin auch zu involviert, um hier eine Aussage zu treffen. Das ist in etwa so wie „Was ist Punk für dich?“. Das ist eine Definition, die für jeden unterschiedlich ist. Und auch an diesem fiktiven Ort sind für jeden andere Dinge besser als hier. Es ging in diesem Punkt nicht um den Zufluchtsort selbst, sondern um die Reise dahin. Das ist wie in einem Jim Jarmusch Film, ohne das vergleichen zu wollen. Es geht tatsächlich um die Reise auf dem Album und weniger um den Ort, an dem man tatsächlich landet.

subtext.at: Wenn du sagst es geht um die Reise –  ist das so entstanden, dass du sagst, es ist ein Kontrapunkt zu den aktuellen Geschehnissen oder wolltet ihr generell einfach eine Reise in eine andere Welt konstruieren?
Rollo: Also einen Kontrapunkt zu dem zu setzten, was aktuell passiert, ist, glaub ich, immer gut. Egal wie das aussieht. Sei es auf eine liberale oder radikale Art. Es ist  richtig, sich auf der anderen Seite zu positionieren.

subtext.at: Ihr habt auch kürzlich in einem Interview euren Unmut darüber geäußert, dass Abalonia stets als Konzeptalbum betitelt wird und ihr es nicht als solches seht. War es also ein Zufall, dass das Album eine stringente Geschichte erzählt?
Rollo: Ja, absolut. Wir sind selber auch etwas schuld daran, weil es im Pressetext so ähnlich drinnen steht. Den haben aber auch nicht wir geschrieben, sondern ein Journalist, der sich damit beschäftigt hat. Ein Konzeptalbum ist von meinem Verständnis her etwas Anderes. Man hat vorher nichts und legt bereits im Vorfeld fast, da soll es hin gehen, das soll es sein. Bei uns war es anders. Wir haben die Lieder fertig gehabt und dann hat man sich das so hingelegt und dann gedacht: „Mensch he, wenn man das in diese Reihenfolge packt, mit Ruperts Grün, der mit dem Aufbruch beginnt, und dann mit Abalonia als Schlusspunkt, dann passt das.“

subtext.at: Ihr habt also musikalisches „Malen nach Zahlen“ gespielt?
Rollo: Ja, es war tatsächlich so eine postume Entscheidung, die man getroffen hat. Aber tatsächlich ist es nicht so ein Themenalbum, wo man gesagt hat, man hat die Musik und muss die Texte in dieser und jener Reihenfolge schreiben. So ist das nicht gewesen.

subtext.at: Ist es also ein Zufall, dass das Album in diese Zeit passt? Ist es wie beim Karacho-Album der Donots mehr ein unglücklicher Zufall, dass die aktuelle gesellschaftliche Lage und die Themen des Albums wie die Faust aufs Auge passen?
Rollo: Ja. Wir kommen ja aus der Punk-Szene und sind auch komplett antifaschistisch sozialisiert worden. Wir sind alle früher jedes Wochenende auf Demos gegangen und haben in Info-Läden gearbeitet. Wir sind ja auch schon alt, 40plus. Wir waren in Rostock-Lichtenhagen, weiß nicht ob das bei euch so ein Thema war. Das war halt Anfang, Mitte der 90er. Wo Nazis und normale Bürger tatsächlich Häuser angezündet haben, drei Tage lang, wo Menschen drinnen waren. Und da ist nicht einmal die Polizei dazugekommen, das war eine rechtsfreie Zone, ganz grauenvoll. Das was jetzt gerade passiert ist auch keine Überraschung, wenn man sich ein bisschen mit Politik beschäftigt. Das ebbt an der Oberfläche immer etwas ab und bricht dann wieder aus, das ist ganz normal. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis so eine Scheiße wieder passiert.

subtext.at: Abalonia ist aggressiver. Oftmals direkter gesungen, mehr Sprechen als Singen, vor allem im Vergleich zum direkten Vorgänger „Stadt der Angst“. War der Stil hier Absicht, um so die Botschaft noch zu verstärken?
Rollo: Das ist witzig, dass du das sagst. Oftmals hören wir das genau anders rum. Dass auf diesem Album viel mehr gesungen wird, kann ich  nicht immer so richtig beurteilen, weil ich wahrscheinlich zu nahe am Bild dranstehe.

subtext.at: Wenn ich zum Beispiel „Der Wels“ hernehme, der schon fast maschinengewehrartig ist…
Rollo: Der ist gerade vom Gesang her sehr klassisch, der Wels. Einen Song wie „Wolter“ hingegen, mit dieser Gesangslinie, haben wir mit Jan noch nie gemacht. Wir wollen eigentlich auf jedem Album etwas Neues machen und uns weiterentwickeln. Uns nicht neu zu erfinden, aber immer wieder neue Elemente hinzufügen. Manchmal war das eine gute Idee und man hat das komplett in den Turbostaat-Kosmos aufgenommen. Bei anderen Dingen war’s keine so gute Idee und man hat es wieder sein lassen. Aber das weiß man immer erst danach. Das entwickelt sich erst beim Live-Spielen, ob es Spaß und Sinn macht. Wir sind als Band jetzt 17 Jahre alt und es sind immer wir fünf gewesen. Es ist nicht wie bei anderen Bands, wo sich die Besetzung mal ändert und neue Einflüsse hinzukommen. Es war klar, dass wir etwas neu machen mussten, auch damit wir uns nicht selbst langweilen. Da sind wir zu der Lösung gekommen, die Liedstrukturen aufzubrechen und diese klassischen Schemata zu erweitern. Dadurch sind die Lieder auch zum Teil sehr lang geworden. Wir wollten etwas Neues machen, aber es sollte trotzdem eine Turbostaat-Platte werden.

subtext.at: Wir sind gerade in einer Zeit, wo sich speziell seit  Silvester eigentlich alles komplett umdreht.  Punk-Rock war ja schon immer politisch, schon in seinen Wurzeln aus den USA. Immer öfters, zum Beispiel im Vice-Magazin, liest man jedoch, dass Punk zu einer Modeerscheinung, einem Lifestyle wird. Ist es darum umso wichtiger, Punk wieder politischer zu positionieren?
Rollo: Das weiß ich nicht. Was für uns Punk war und kulturell bedeutet, hatte eigentlich nie etwas mit dem zu tun, was andere darüber schreiben. Ich war ein Jugendlicher, als der Grunge losging. Ich bin vorher schon Punk gewesen. Und da hat man am Land eine auf’s Maul gekriegt, wenn man mit roten Haaren durch die Gegend gelaufen ist. Das war damals so. Und das war irgendwie auch geil, also jetzt nicht das Auf’s-Maul-kriegen, aber dass man anders war. Man wollte einfach seinen Kram machen –  in einem sehr beschränkten Rahmen –  mit Leuten, die ganz bewusst da sein wollten, weil sie diese Entscheidung für sich getroffen haben. Dann kam Grunge und auf einmal war jeder Gymnasiast Punk. Alle waren so ein bisschen angepunkt und es gehörte irgendwie zum guten Ton. Wenn du nicht dämlich warst, warst du auch etwas „subkultur“. Aber das hatte mit der eigentlichen Punk-Szene wenig zu tun. Und das ist auch überhaupt nicht schlimm, das sollte jeder machen wie er möchte. Es ist ja auch besser, wenn die Leute Green Day hören anstatt irgendeinen Techno, wo gar nichts mehr drinnen ist. Aber das man Punk jetzt definieren müsste oder sich als Punk definieren müsste aufgrund der Zeiten, in denen wir leben, sehe ich jetzt nicht so.

Wir waren schon immer eine politische Band, seit der ersten Platte und auf allen dazwischen. Wir sind aufgewachsen mit ganz klassischen Deutschpunk-Bands wie Slime, Kanalterror, Toxoplasma oder Razzia. Alles Bands, die halt sehr einfache Aussagen hatten, sehr auf den Punkt gebracht.Und das ist auch geil, wenn Bands das können. Wobei man Razzia wohl etwas ausnehmen muss, die sind es textlich doch anders angegangen. Dieses Parolenhafte. Als wir dann etwas größer geworden sind lernten wir andere Punk-Musik kennen  wie Boxhamsters oder Angeschissen. Die sind das ganz anders angegangen. Das waren auch politische Bands, aber die haben über andere Sachen geschrieben. Sind mehr über’s Private politisch gewesen. Das ist etwas, dass wir damals und heute geil fanden. Du kannst ja nichts tun oder lassen, ohne dich politisch zu verhalten. Wenn jemand angepöbelt wird und du kuckst weg, dann ist das eine politische Aussage, die du triffst, auch wenn du nichts machst. Oder wenn du dich deinem Lebenspartner gegenüber scheiße verhältst, dann ist das eine politische Aussage. Marten schreibt glücklicherweise Texte, die im Kern hochpolitisch sind. Aber es geht nicht darum, Nazis zu verprügeln oder dergleichen, sondern er setzt die Ebene anders an und das find ich sehr geil. Das war bisher auf jeder Platte so und wird auch immer so sein.

subtext.at: Jetzt kommen wir zu meiner Trademark-Kategorie. Ich gebe dir den Satzanfang vor und du beendest diesen Satz bitte. Mein wichtigster Gegenstand auf Tour ist,..
Rollo: Das Telefon, leider. Ich kann dir auch sagen wieso. Ich mache ja die ganzen Internet-Seiten.

subtext.at: Ihr macht das also alles selber, auch auf Tour?
Rollo: Ich mach das alles selbst und ich habe auch den Anspruch jede E-Mail, Privatnachricht oder jeden Kommentar individuell zu beantworten, auch wenn da natürlich oftmals das Gleiche kommt. Das ist relativ viel Arbeit.

subtext.at: Ist das etwas, dass du gerne machst oder ist dir das im Laufe der Zeit zugefallen?
Rollo: Wir macht das nichts aus, auch wenn das nicht mein Hobby ist. Die anderen würden das nicht machen, weil sie keinen Bock darauf haben. Ich finde dieses Prinzip so geil. Wenn ich zurückdenke als ich 16 war und es hätte das damals schon gegeben, dass man mit ner Band, die man geil findet, direkt in Kontakt treten kann. So etwas wie die gläserne Band. Und geil ist, dass du Live-Fotos ins Internet stellen kannst. Wir stehen gerade hier und machen das. Das hätte ich früher hammer geil gefunden und das mag ich am Internet, dass man die Leute eben so ein bisschen mitnehmen kann. Dass die Fans an uns denken – und sei es nur der 3oigste Post wie toll das Konzert war, dann ist das etwas Geiles. Da muss man sich, finde ich, auch dann darum kümmern, auch wenn’s viel Arbeit ist. Etwas zurückgeben.

subtext.at: Wäre ich nicht Musiker geworden, wäre ich heute…
Rollo: Antiquar. Ich habe in zwei verschiedenen Antiquariaten in Husum gearbeitet und das hätte ich wahrscheinlich weitergemacht. Irgendwann den Laden übernommen und Bücher verkauft.

subtext.at: Der lustigste Moment auf Tour war,…
Rollo: Das ist witzig. Wir unterhalten uns oft darüber, weil diese Frage ja immer wieder kommt. Wir haben so viel erlebt und gesagt wir müssen das mal parat haben. Weil wenn wir so gruppendynamisch über Sachen reden, muss nur ein Stichwort fallen und dann kommt die nächste Geschichte und die nächste. Jeder erinnert sich dann an andere Sachen, die dann jemand anderer nicht mehr weiß. Total schwer, da etwas herauszupicken. Das ist nicht das Wichtigste , aber dass fällt mir jetzt gerade ein.
Wir haben mit den Beatsteakes zusammen gespielt und im Backstage gab es eine einzige Toilette. Einer von uns hatte dieses Klo so dicht geschissen, dass das nicht mehr abzuziehen war. Es kam bis zur Oberfläche hoch und lief nicht mehr ab. Er hat sich so geschämt, dass er rausgegangen ist, die Tür zugemacht hat und die mit einem Geldstück von außen wieder verschlossen hat. Er hat dann da gestanden, es kamen natürlich noch andere Leute, die auch aufs Klo wollten, und er hat nichts gesagt. So ist das gewesen.

subtext.at: Hat sich das Geheimnis am Abend jemals gelüftet
Rollo: Ne, das mache ich jetzt gerade.

subtext.at: Dann sag ich noch einmal danke fürs Interview und komme zur letzten Frage. Turbostaat ist jetzt 17 Jahre alt. Habt ihr noch große Ziele und freut man sich wirklich noch auf jedes Konzert oder ist ein das zu einer Routinearbeit geworden?
Rollo: Das sind jetzt zwei Fragen. Wir haben nie Ziele gehabt, waren immer eine völlig unambitionierte Band. Alles was wir so geschafft haben, ist immer mit uns passiert. Wir haben uns nie um einen Plattenvertrag gekümmert oder um Konzerte beworben. Wir haben immer irgendwo gespielt, auch am Anfang, wo uns niemand kannte und wir Proberaumaufnahmen-Tapes am Bühnenrand verkauft haben.Und da war eines klar: Da sind mindestens zwei Leute im Publikum, die irgendwo Konzerte machen und die sagen dann: „Hey Alter, wir machen Konzerte da und da, spielt doch mal bei uns“ und so ist das entstanden. Unseren heutigen Status haben wir nie forciert. Das wird auch immer so bleiben. Wir spielen unserem Kram und wenn Leute zuhören ist das toll und wenn irgendwann nicht mehr so viele zuhören, ist das auch ok. Hauptsache weiterspielen.

Und natürlich ist das so, dass man immer wieder mal müde ist, gerade auf Tour. Man muss sich aber trotzdem zusammenreißen, auch wenn man keinen Bock hat. Denn da sind Leute, die freuen sich vielleicht seit Monaten auf dieses Konzert. Und dass du vielleicht müde bist, keine Lust hast oder eine Serie weiterkucken möchtest, das zählt einfach nicht. Da muss man sich zusammenreißen. Wir wissen noch wie das war, wenn gerade mal sechs Leute zu unserem Konzert gekommen sind, ganz am Anfang. Man muss schon dankbar sein, gerade weil wir keine großartige Fluktuation in unserem Publikum haben. Die Leute, die kommen, kommen oft über Jahre. Es gibt total viele Menschen, die uns auf jedes Konzert folgen, das ist verrückt. Diese Handvoll Leute fahren wirklich vom ersten bis zum letzten Konzert mit. Jedes einzelne. Die pennen dann im Auto und machen das so. Wahnsinn. Da zählt es einfach nicht, keinen Bock zu haben. Da muss man sich zusammenreißen. Wir sind halt nicht so eine Band, die alles gibt, egal ob das Publikum viel oder keine Lust hat. Das ist bei uns ein Geben und Nehmen. Wenn wir etwas in das Konzert reininvestieren, kommt auch wieder etwas zurück und dann stachelt uns das auch wieder an. Man bauscht sich gegenseitig hoch. Wenn wir das erste Lied spielen und merken das heute nichts passiert, der Funke nicht überspringt, dann werden wir auch so laberig. Wir fangen an schlecht zu spielen und werden unsicher.

subtext.at: Probiert man sich dann wieder rauszuziehen, wenn man merkt, dass die Stimmung nicht passt?
Rollo: Das passiert oft automatisch, dass der Knoten aufgeht, wenn drei Viertel des Konzerts vorbei sind. Auf einmal haben die Leute wieder Bock, vielleicht hat man vorher auch scheiß Lieder gespielt, das weiß man nicht. Auf einmal bricht die Hölle los und wir kommen wieder raus.

subtext.at: Ist man dann eher versucht mehr Zugaben zu spielen, wenn die Stimmung gegen Ende wieder besser wird.
Rollo: Wir spielen nicht ein Lied –  Pause – ein Lied, sondern wir verbinden Songs miteinander. So spontan sind wir nicht mehr.  Wir haben immer einen Zugabenblock, der ist fest geplant und wenn die Leute Bock haben, gibt es noch einen zweiten Block und dann muss es irgendwann reichen. Mitte, Ende der 90er hab ich At The Drive In auf ihrer ersten Tour im besetzten Haus in Bremen gesehen vor 40 Leuten. Die haben 25 Minuten gespielt und den Saal derartig abgerissen und dann sind die wieder weggegangen. Das waren 25 Minuten und die waren der Hammer, die ganze Zeit Vollgas und danach war nichts mehr wie vorher. Man war Zeuge eines Moments, der vorher noch nie da war. Das hat gereicht. Punkkonzerte sind eigentlich nicht so lang und inzwischen erwarten die Leute, dass man nicht nur eine Stunde spielt sondern eineinhalb und man möchte natürlich nicht, dass die enttäuscht sind. Dann macht man das halt auch, macht ja Spaß. Aber man sollte nicht übertreiben. Wir haben ein einziges Mal vier Zugaben gespielt, nicht nur ein Lied als Zugabe, sondern immer zwei oder drei.

subtext.at: Wo war das?
Rollo: Das war im Dynamo in Zürich. Das ist sieben Jahre her. Da war es eben so, dass der Konzertanfang eher lau war und ab der Hälfte sind die Leute völlig durchgedreht. Nach der zweiten Zugabe sind wir dann von der Bühne, mehr spielen wir ja nie und haben schon Sachen mitgenommen und die Verstärker abgedreht. Irgendwann hat uns der Veranstalter wieder aus dem Backstage rausgezogen, weil die Leute noch so viel Bock hatten. Dann haben wir halt noch eine Zugabe gespielt und man ist wieder weggegangen. Dann haben die noch immer keine Ruhe gegeben. Irgendwann hat der Veranstalter dann die Anlage abgeschaltet und dann war Feierabend. Sonst wäre das wohl ein unendliches Konzert geworden. Das ist aber wirklich die Ausnahme, wir haben schon eine sehr festgelegte Setlist.

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