ANOHNI: In ihr toben Kämpfe

Für die sogenannte Unterhaltungsindustrie besteht noch Hoffnung. Solange es Menschen gibt, die aus Überzeugung den See der Konformität verlassen möchten und mit ihrer Kunst dorthin gehen, wo es wehtut. Wo sich das abspielt, was man Leben nennt. Kann ein Album, welches den Namen „Hopelessness“ trägt, Zuversicht spenden? Ist diese Platte ein Dokument der Zeitwende? Hat Anohni das Zeug dazu, die Stimme ihrer Generation zu werden?

Cover

„If I killed your father with a drone bomb, how would you feel?“

Anohni war schon unter dem Namen Antony Hegarty eine Ausnahmeerscheinung. Die Seligsprechung dürfte spätestens jetzt soweit sein, denn der Duktus eines Propheten eilt der Transsexuellen bereits seit geraumer Zeit voraus. Der Kulminationspunkt ist nun erreicht. Mit „Hopelessness“ hat sich die Musikerin das Ziel gesetzt, den Mainstream zu infiltrieren und mit den eigenen Waffen zu schlagen. Willkommen zur Quadratur des Kreises. Das neue Werk stellt endgültig den Bruch mit bisherigen Gewohnheiten dar. Kammermusik ist passé. Stattdessen: Dnamisch-gefühlvoller Electroclash, der um Themen wie Feminismus, Krieg, Weltuntergang, staatliche Überwachung und der Zerstörung des Ökosystems kreist. Die Zivilisation ist am Ende, Ausgang ungewiss. Songs gegen die Regeln des Pop mit explizit politischen Inhalten voller Hoffnungslosigkeit und dann irgendwie doch nicht. Der Aufheller für dunkle Stunden erhöht mit „Hopelessness“ die eigene Tiefenschärfe.

„Obama, all the hope drained from your face.“

Kann man bombastische Momente zurückgenommen in Szene setzen? Man kann. Diese Lieder wollen hinaus, in eine Welt, die Schlechtes und Unbequemes nicht beiseite schiebt. Anohni kämpft mit den Elementen des Pop, um Gehör zu finden. Sie macht Musik aus einem inneren Zwang nach Ausdruck und Form. Ihr Organ, zwischen Übermut und Zerbrechlichkeit pendelnd, negiert seit jeher jede geschlechtliche Zuordnung. Die mit reichlich Donnerhall versehene, an Woodkid erinnernde Single „4 Degrees“ ist beispielsweise ein Weckruf für alle Zweifelnden und Ignoranten, die globale Erderwärmung (noch) nicht auf dem Schirm haben. Das Material speist sich aus Quellen unterschiedlicher Inspiration, bietet aber ein interessantes Hörvergnügen auf langer Strecke.

„Execution, it’s an American dream.“

Epen wie „Drone Bomb Me“, Execution“ oder „Watch Me“ stehen bereit, die das bessere Amerika verdienen und eine Stimme, die sich nur aus Sehnsucht zu speisen scheint. Texte voller lyrischer Kraft, Provokation, Tiefe und Reife, aus denen man spaltenweise zitieren möchte, vorgetragen mit androgyner Stimmgewalt. Musik, die manchmal in wundersame Spähren abdriftet, aber in anderen Momenten wieder am Boden haftet, weil sie einen Bezug zur Realität findet, in der nicht alles rosarot und behaglich ist. Ein Manifest. Lieder über die menschliche Existenz zur eigenen Horizonterweiterung. Introspektive wie gesellschaftskritische Mantras. Eine ambivalente Vision hat heuer noch niemand treffender auf einen Tonträger gebannt. Anohni bleibt mit „Hopelessness“ das, was sie schon immer war: Eine der besten Stimmen und spannendsten Künstlerinnen den Gegenwart.

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