JAMIE WOON: „Meine Musik ist beim Element Holz angelangt“

Geht es nach den 5 Elementen der chinesischen Lehre, ist Musiker Jamie Woon mit seinem zweiten Album „Making Time“ bei der Komponente Holz angelangt. Das Material aus dem Wald steht für Wandlung, Entwicklung und Dynamik und so sind die Songs auf dem zweiten Album des 33-Jährigen anders als gedacht. Sie klingen wärmer, feinfühliger. Die kühle Atmosphäre des Debüts „Mirrorwriting“ ist passé.

Hier ist eine Band am werkeln und Post-Dubstep sucht man vergebens. Es sind geschmackvoll arrangierten Jazztöne, die hier im Pop-Kosmos ihren Platz einnehmen. Eine erdverbundene Haltung strahlt die Platte aus, die auch im Gespräch zu spüren ist. Im Interview mit subtext.at spricht Jamie Woon über Neujustierung, Selbsterkenntnis und lustige Bezeichnungen seiner Musik.

subtext.at: Jamie, als dein erstes Album herauskam, hat es mir auf Anhieb gefallen. Bei „Making Time“ hat es etwas länger gedauert… Muss man „Making Time“ mehr Zeit geben, damit es Gehör findet?
Jamie Woon: Das kann schon sein. Mein Songwriting hat sich verändert, die Arrangements auch. Vielleicht passe ich nicht mehr in den aktuellen Zeitgeist. „Mirrorwriting“ wurde von Dingen beeinflusst, die zeitgleich passiert sind, „Making Time“ ist mehr ein klassisches Album, wenn du so willst. (überlegt) Für mich fühlt es sich so an, als würde ich mit jedem Schritt an den Punkt kommen, wo ich mich am wohlsten fühle.

subtext.at: Deine beiden Alben funktionieren für mich jedenfalls wie Tag und Nacht.
Jamie Woon: Das stimmt. „Mirrorwriting“ ist melancholischer und die Atmosphäre ist kühler. Bei „Making Time“ ist die Stimmung etwas heller, wärmer. Das war die Intention dahinter. Ich wollte, dass die Platte hölzern klingt. Meine Musik ist beim Element Holz angelangt (lacht). Die Instrumente sollten im Mittelpunkt stehen.

subtext.at: Glückwunsch. Dein Vorhaben ist aufgegangen.
Jamie Woon: Danke (lacht).

subtext.at: War es ein bewusstes Anliegen, musikalisch eine Neujustierung vorzunehmen?
Jamie Woon: Ich bin jemand, der viele verschiedene Einflüsse hat. Deswegen wollte ich beim zweiten Album andere Dinge ausprobieren. Warum auch nicht, wenn man die Möglichkeiten dazu hat? (überlegt) Ich möchte nicht immer und immer wieder die gleiche Platte bringen. Künstler, die ich bewundere, haben auch stets immer etwas Neues ausprobiert. Mir geht es darum, eine besondere Stimmung zu kreieren. Die Musik ist nur Mittel zum Zweck, um dieses Ziel zu erfüllen. Über ein Genre, über einen Stil, da denke ich nicht nach, wenn es um kreative Entscheidungen geht. Ich folge inneren Impulsen. Wohin die Reise geht, bestimmten sie.

subtext.at: Fiel es dir leicht, deine Komfortzone nun zu verlassen?
Jamie Woon: Fällt das irgendjemandem leicht? Ich weiß nicht. Vielleicht wäre es das für mich, wenn ich jetzt ein Album in einer Woche aufnehme anstatt vier Jahre dafür zu benötigen. Ich möchte einfach ein besserer Songwriter und Musiker werden, da muss man seine Fühler einfach weiter ausstrecken.

subtext.at: Du scheinst mir auch jemand zu sein, der keinen Wohlgefallen an klar strukturierten Wegen findet.
Jamie Woon: Da könntest du Recht haben (lacht)! Es gibt offensichtliche Routen und Möglichkeiten, die man einschlagen kann. Zur Zeit fühle ich mich so erfolgreich wie nie. Abgesehen vom letzten November, war ich 4 Jahre lang nicht auf Tour. Die Konzerte von früher kann ich gar nicht mit denen von heute vergleichen, weil es sich erst jetzt anfühlt, als würde ich für mein Publikum spielen. Das ist wunderschön, es ist wie Liebe, die gegenseitig erwidert wird. Ich bin auf alle Fälle dankbarer als früher. Meine Ambitionen sind nicht so immens hoch. Ich bin froh, dass ich weiterhin Musik machen darf, aber ich zwänge sie nicht dort hinein, wo sie nicht reinpasst.

subtext.at: Wie du schon gesagt hast, sind 4 Jahre zwischen zwei Alben in der Popkultur eine ungeheure Zeit. Weshalb hat es so lange gedauert?
Jamie Woon: Ich bin froh, dass ich mir diese Auszeit nehmen konnte. Zum Glück hatte ich einen guten Plattendeal. Hätte ich ein Album schneller nach „Mirrorwriting“ veröffentlicht, wäre es eine komplett andere Geschichte. Die Inspiration zu „Making Time“ speiste sich vor allem aus den Eindrücken zur Tour von „Mirrorwriting“. (überlegt) Das Leben auf Tour ist schon eine fragile Angelegenheit. Die Platte hat eine Schlafzimmer-Atmosphäre und dann gehst du auf Tour und spielst auf riesigen Festivals mit nur einem Album (lacht). Das war schon eine Herausforderung. Oder nach 1 Uhr nachts nach dem DJ auf die Bühne in Nachtclubs zu gehen und dort für Unterhaltung zu sorgen. Touren bedeutet Erfahrungen zu sammeln. Ich habe mir damals auch keine großen Gedanken um die Tour gemacht. Jetzt, mit dem zweiten Album, wollte ich eine Band haben, einen organischen Sound. Meine Band ist auf „Making Time“ zu hören und einige der Songs sind gemeinsam geschrieben worden.

subtext.at: David Bowie meinte in einem Interview, dass das Geheimnis des Erfolgs die Möglichkeit ist, die eigene Identität weiterentwickeln zu können.
Jamie Woon: Aus der Sicht einer Perfomance macht das durchaus Sinn. Für mich ist es eher, dass ich meine Gefühle so authentisch wie möglich kanalisieren und ausdrücken kann. Ich weiß, dass Bowie viel Ehre und Anerkennung bekommen hat, was das Thema angeht, weil er sich oft neu erfunden hat. Es hält die Leute bei Laune. Es gehört sowieso zu den schwierigsten Dingen, die ein Künstler bewerkstelligen muss: Das Interesse der Leute nicht zu verlieren. Das ist eine schwierige Angelegenheit.

subtext.at: Sich ständig neu zu erfinden, auch einer der ganz großen Eckpfeiler der Popkultur.
Jamie Woon: Und sich ständig zu präsentieren. Ich habe meine Schwierigkeiten damit, ich gebe es zu (lacht). Ich bin fürchterlich, was Social Media angeht.

subtext.at: Habe ich gemerkt. Deinen Instagram-Account hast du vor langer Zeit das letzte Mal benutzt.
Jamie Woon: Ich weiß, dass all diese Dinge nützlich sind, aber ich bin wohl zu sensibilisiert, um Dinge zu projizieren, die nicht vorhanden sind. Vielleicht bin ich zu selbstkritisch, wer weiß. Meine Musik ist da, sie ist vorhanden, sie kommt von Herzen, weshalb sollte ich es jetzt noch auf anderen verschiedenen Wegen versuchen, sie dir schmackhaft zu machen? Ich bin kein visueller Typ und vielleicht bin ich auch etwas altmodisch bei diesen Angelegenheiten (lacht).

subtext.at: Hast du dir jemals gedacht, dass dir die Zeit in den 4 Jahren davonrennt?
Jamie Woon: Weißt du, so war ich schon immer. Ich gehöre zu den Leuten, die ständig zu spät kommen. Das ist ein Teil von mir, so war ich schon als Kind (lacht). Der andere Teil ist, dass ich selbstbewusst genug war, mir Zeit zu lassen, damit ich mit dieser Band zusammenarbeiten kann. Diesen speziellen Rhythmus, der nur entsteht, wenn alle gemeinsam in einem Raum sind, den wollte ich haben. Viele Dinge habe ich in Frage gestellt während der Aufnahmen, aber ich wusste, dass ich diesen Schlagzeuger und diesen Bassisten einfach nur hören wollte, wie sie zusammen spielen.

subtext.at: Wie gehst du generell mit Veränderungen um? Nimmst du sie auf die leichte Schulter oder hast du mit ihnen zu kämpfen, wenn sie mal da sind und an deine Tür klopfen?
Jamie Woon: Es ist ungesund, an Dingen festzuhalten, die schädlich für dich sind. Emotionen, Menschen, Ideen, ganz egal. Erlaube es dir, die Gedanken schweifen zu lassen, neue Eindrücke zu sammeln. Ich versuche das. Veränderungen passieren nun mal, ich kann da auch nichts dagegen tun (lacht).

subtext.at: Lässt du dir dann genügend Zeit, um deine Ziele zu erreichen?
Jamie Woon: Ich denke schon, ja. (überlegt lange) Bei mir ist es eine Gefühlssache. Wenn ich im Studio bin und mein Gefühl sagt mir, dass diese Aufnahme passt, dann ist die Sache damit erledigt. Manchmal ist das nicht so einfach, weil da eben noch das Business ist und die Medien und dein Management und dein Publikum. Ich versuche aber, stets auf mein Gefühl zu vertrauen. Als Künstler bleibt dir sowieso nichts anderes übrig.

subtext.at: Was bedeutet Selbsterkenntnis für dich?
Jamie Woon: (überlegt lange) Deine Einschränkungen einem Test zu unterziehen? Einfach mal machen anstatt es nicht zu versuchen.

subtext.at: Träumer oder Realist?
Jamie Woon: 50 zu 50 würde ich sagen (lacht).

subtext.at: Wenn ich deine Musik höre, scheint für mich alles weniger stressig zu sein. Deine Musik entschleunigt. Sie erlaubt es einem, zu träumen.
Jamie Woon: Leute sagen zu mir, dass sie meine Musik hören, um zu relaxen. Was die Texte und die Emotionen angeht, die kommen nicht alle aus einer reibungslosen Ecke. Da geht es schon um ernste Themen. Ich mag die hohen Frequenzen persönlich auch nicht und ich mag es nicht, wenn etwas harsch klingt (lacht). Von warmen Klängen werde ich hingegen magisch angezogen. Etwas Mysteriöses geht von ihnen aus.

subtext.at: Heute habe im Internet gelesen, dass deine Musik „melancholischer Falsetto-Funk“ sein soll. Hast du noch andere interessante Beschreibungen parat?
Jamie Woon: Diese Beschreibung ist schon interessant (lacht). Klar, es gibt noch andere. Michael Bublés ängstlicher Goth-Cousin ist mein Favorit. Oder die Besprechung in einem chinesischen Magazin, dass meine Musik wie eine Mischung aus Radiohead, Stevie Wonder und der Lighthouse Family klingt. Pretty good (lacht).

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Foto: Caitlin Mogridge

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