Bon Iver: 22, A Million

Auf seinem dritten Album unter dem Namen Bon Iver nimmt Justin Vernon seine Hörer wieder mit auf Klang- und Emotionsreise. Doch diesmal weder durch die verschneite Isolation des Erstlings „For Emma, Forever Ago“, noch durch die malerischen Ortschaften seines zweiten Albums, „Bon Iver“. „22, A Million“ zeigt eine desorientierende, elektronische Klangwelt, einen Sturm der Emotionen  und Justin Vernons Suche nach Klarheit.

Nach einer fünfjährigen Albumpause und einer zeitweiligen Stilllegung, erscheint Bon Iver von den ersten Tönen des Albums an in neuem Klanggewand. „22 (Over S∞∞N)“ startet das Album mit geloopten Gesangsfetzen und den hochgepitchten Worten: „It might be over soon“. Ein Statement, das klanglich und textlich passend das Album einleitet. Worte die Justin Vernon auf einem missglückten Griechenland-Solotrip zur Erschaffung eines Albums  in einen Portable-Recorder sang. Sie signalisieren seine Unsicherheiten und Ängste zu der Verfassung eines dritten Albums, die sich nach dem riesigen Erfolg der letzten zwei Alben in ihm festgefressen hatten. Und so wird „22, A Million“ zu einer Suche nach Halt und Klarheit in diesem Sturm von Emotionen. Von den Glaubenszweifeln in „33 GOD“ („Why are you so far from saving me?“) über die wandernden Gedanken zur Liebe in„715 – CRΣΣKS“ („I remember something in B, un—rationed kissing on a night second to last“) bis zu der überwältigenden Emotionsflut von „21 M♢♢N WATER“.

Die Klangwelt des Albums wird beherrscht von einer Dualität aus elektronischen Klangelementen und dem träumerischen Indie Folk der letzten Bon Iver Alben. So schwebt Justin Vernons melodiöse Stimme über einem Bett aus verzerrten Beats und Synthesizern. In „10 d E A T h b R E a s T ⚄ ⚄“. In“666 ʇ“ sind klare Parallelen zum „Bon Iver – Bon Iver“ Album zu finden, doch wird hier der Sound durch lärmende Kratzgeräusche manipuliert, die aber in dem Mix des Songs nie unangenehm wirken sondern nur weiter zum emotionalen Ton beitragen. „29 #Strafford Apts“ bringt die für Bon Iver typische Akustik-Gitarre zurück und paart sie mit sanften Klavierklängen, atmosphärischen Synthesizern und einer traumhaften Gesangsmelodie zu einem Ruhe- und Höhepunkt des Albums. Das bereits erwähnte „715 – CRΣΣKS“ ist ein bewegender A cappella Track, in dem, mit einem von Justin Vernon und seinem Team entworfenen Vocoder-Instrument, dem „Messina“, die Stimmen tonhöhenverschoben und verzerrt werden.

In der  von elektronischer Manipulation verschonten Klavierballade am Ende des Albums auf dem Track 10. „00000 Million“,  findet Justin Vernon Klarheit und Akzeptanz, die sich vor allem in der Textzeile „Well it harms it harms me it harms, I’ll let it in“ manifestiert. Er sieht die Gefühle, die ihn verletzen und er lässt sie zu, um weiter zu wachsen und nicht zu erkalten. Diese Zeile betrifft, aber auch den Hörer der mit Bon Iver durch das Album geht und die in der Musik verewigten Emotionen zulässt. Diese sind auch nicht statisch sondern lassen durch die vielfältigen Klänge und poetischen Texte genug Platz, für die eigenen Geschichten des Hörers.

„22, A Million“ ist gewiss kein einfaches Album an dem jeder Gefallen finden wird, doch ist es für jemanden, der durch die desorientierende Klangwelt spaziert und dabei in den hervorgerufenen Emotionen schwelgt, ein sehr belohnendes Album. Ein Album für ruhige Momente, das jeder für sich selbst erforschen sollte – am besten mit geschlossenen Augen, offenem Herzen und wanderndem Geist.

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Musiker, plattensüchtig, Foodnerd, verwirrter Philosophiestudent und Hobby-Lyricer