Wolfenstein 2 – The New Colossus: Grandioses Storywriting trifft kinoreife Inszenierung

Grotesk, brutal, blutig bis ins Nirvana. Das ist Wolfenstein II auf der Oberfläche. Wer aber den Schritt weiter geht und sich auf die Story des Singleplayer-Shooters einlässt, wird dessen wahres Gesicht erkennen: eine packende Handlung getragen von Charakteren, die alle eines eigenen Spin-Offs würdig wären und ein Gameplay, das dem ganzen Wahnsinn ein spaßiges Rückgrat verpasst. Quentin Tarantino lässt grüßen.

(Zum Test lag uns als Muster die deutsche Version vor. Die ist vom Blutpegel her zwar uncut, aber alle Nazisymbole und Namen wurden entfernt. Wir empfehlen allen Leserinnen und Lesern die Originalversion für das volle Wolfenstein-Feeling.)

Kaum zu glauben: Fast 40 Jahre ist es her, seit der erste Teil der Wolfenstein-Reihe das Licht der Welt erblickt hat. Der Wandel, den das Genre erlebt hat, ist gewaltig und fand seinen Höhepunkt mit dem Relaunch des Franchises 2014 als Wolfenstein – The New Order erschien. Diesen Herbst folgt nun der neueste Teil: Wolfenstein II – The New Colossus. Der Nachfolger des Reboots von 2014 setzt die Story um William „B.J.“ Blazkowicz  und seine Widerstandskollegen fort. Ohne Vorwissen über die Handlung mag der Einstieg in Teil 2 etwas viel auf einmal sein, dennoch finden sich auch Neueinsteiger schnell zurecht, was nicht zuletzt der packenden Story und einer gelungenen „Recap-Cutscene“ zu verdanken ist.

 

Wolfenstein 2 – The New Colossus
Publisher: Bethesda
Entwickler: MachineGames
Plattformen: PC, PS4, Xbox One
Testplattform: PC
Metacritic-Score: 88%
Preis: 49,99 / 59,99 €

 

 

Meeting auf der Hammerfaust: Fergus und Grace (vorne) werden wohl keine Freunde mehr.

 

Was bisher geschah

Zur Story: In einer alternativen Zeitlinie gewinnen die Nazis 1946 den 2. Weltkrieg und erlangen in der Folge die Weltherrschaft. Unser Held Blazkowicz bekommt davon allerdings reichlich wenig mit: Nach einer gescheiterten Mission fällt der ehemalige US-Soldat 1946 mit einer schweren Kopfverletzung ins Koma und erwacht erst 14 Jahre später in einer von Nazis beherrschten Welt. Unsere bunte Widerstandstruppe aus The New Order zieht nun in die ehemaligen Vereinigten Staaten um dort eine Revolution in Gang zu setzen.

 

Spin-Offs erwünscht

Und diese bunte Widerstandstruppe hat’s in sich. Man nehme einen verrückten Wissenschaftler einen (scheinbar) geistig eingeschränkten Riesen mit goldenem Herz (der besagtem Wissenschaftler aber im Schach eine klaren Korb verpasst). Dazu kommt Anya, die mit Zwillingen schwangere Freundin von B.J., die trotz Schwangerschaft mit ihrer besseren Hälfte im „Regimesoldaten-töten“ locker mithalten kann. Je nach unserer Entscheidung in Teil I hat diesen entweder Fergus Reid oder Probst Wyatt überlebt. Das resultiert in zwei unterschiedlichen Zeitlinien für Teil II. Die verändern zwar die Hauptstory nicht nennenswert, die abgeänderten Dialoge und Nebenhandlungen sorgen aber dennoch dafür, dass es sich lohnt, The New Colossus zweimal durchzuspielen. Mehr soll an dieser Stelle aber nicht gespoilert werden. Die zahlreichen, teils extrem abgedrehten Wendungen oder auch die Rückblenden in Blazkowizcs Kindheit erzeugen ein spannendes und packendes Gesamtbild. Soviel sei jedoch gesagt: Tschechows Gewehr lässt grüßen.

Der gute Wyatt hat möglicherweise ein kleines Drogenproblem. Während Anya Regimesoldaten meuchelt, muss er sich um seinen kleinen Freund kümmern.

 

Konservatives Gameplay – Dafür solide Umsetzung

Mit großen Innovationen auf Seiten des Shooter-Gameplays kann The New Colossus nicht aufwarten. Das Leveldesign ist klassisch. Das gekaperte Nazi-U-Boot und Flaggschiff Hammerfaust dient als Kommandozentrale und ist gleichzeitig das Zuhause der Widerstandstruppe. Mit im Spiel findbaren Waffenmods können wir unsere Wummen ordentlich aufrüsten. Deren Auswahl beschränkt sich auf die klassischen Waffentypen, durchmischt mit ein paar „Nazi-Steam-Punk“-Zweihändern, wie dem leicht überdimensionierten Lasergewehr, das auch die großen, gepanzerten Regimesoldaten problemlos durchröstet. Gegen Mitte des Spiels erhalten wir noch eines von drei Kampfmods, die uns unterschiedliche Boni bringen, um beispielsweise Panzertüren einrennen zu können. Der Mangel an Innovation tut dem Gameplay jedoch keinen Abbruch: Es hat selten so viel Spaß gemacht, sich durch futuristische Nazi-Legionen zu ballern.  Einziger Kritikpunkt: Audio- und Bildsignale wenn man von Gegnern getroffen wird, hätten etwas eindeutiger ausfallen dürfen. Von Zeit zu Zeit führt ein nicht wahrgenommener Gegner zu einem schnellen und unfairen Tod.

Dieser gepanzerte Regimesoldat hat zwei mächtige Akimbolaser, aber keine Chance gegen unser verbessertes Sturmgewehr.

 

Liebe zum Detail

Eine der größten Stärken von The New Colossus: Die detailiert ausgeschmückten Levels. Immer wieder stößt man in Missionen auf kleine Einzelheiten, die einen kurz stehen bleiben lassen. Bei einer Mission in den Südstaaten beobachten wir etwa einen deutschen Patrouillensoldaten, der zwei Ku-Klux-Klan Mitglieder in Geschichte abprüft. Grotesker geht’s auch nur mehr bei Wolfenstein. Gleichzeitig finden sich überall kleine Anspielungen auf die tatsächlichen 60er Jahre in Amerika, obgleich in Wolfenstein alles germanisiert wurde, von Talkshows bis zum Rock’n’Roll.

Ku-Klux-Klan in Erklärungsnot. Alternativgeschichte steht auf dem Prüfungsplan. Wann wurden die „Befreiungstruppen“ gleich nochmal nach Amerika geschickt?

 

Fazit

Pro:

  • Grandiose Story
  • Solides Gameplay
  • Guter Spagat zwischen Humor und Ernsthaftigkeit
  • Interessante Charaktere
  • Spannende Rahmenhandlung
  • Ausgeschmückte Spielwelt mit Liebe zum Detail

Contra:

  • Vergleichsweise wenig spielerische Innovation

 

Uneingeschränkte Kaufempfehlung! Wer ein Fan von Singleplayer-Shootern und guter Story ist, kann 2017 keinen Bogen um The New Colossus machen. Grafisch ist das Spiel ebenfalls auf der Höhe der Zeit, die verschiedenen Landschaften und Städte sind allesamt sehr immersiv. Gleichzeitig war die Framerate auf unserem Testsystem durchwegs stabil. Was den Schwierigkeitsgrad angeht, ist das Spiel gut ausbalanciert: Auf hoher Einstellung pures Zähneausbeißen à la Dark Souls, auf niedriger Einstellung leckeres Karottenpflücken à la Farmville. Es bleibt zu hoffen, dass MachineGames in absehbarer Zeit den nächsten Vertreter der Serie veröffentlichen wird.

Wertung der Redaktion: 90%