BΔSTILLE über Eskapismus: „Wie verhält sich die Gesellschaft, wenn alle zur Weltflucht aufbrechen?“

Sich von der Realität abkehren. Vor der Wirklichkeit fliehen. Sich in Exzessen verlieren. Drogen, Alkohol, Sex oder Social Media, die Fluchtmittel sind heutzutage nach wie vor vielfältig, wenn der Alltag zu schwer wiegt. Die britische Band Bastille widmet sich auf ihrem dritten Album „Doom Days“ dem zügellosen Verhalten unserer Generation. Wann werden all die fiktionalen Welten, die uns umgeben, irgendwann zur Gefahr?

An mangelnden Ambitionen mangelt es Dan Smith (Gesang), Kyle Simmons (Keyboard), Christopher „Woody“ Wood (Schlagzeug) und William „Will“ Farquarson (Bass) auch nach Jahren des Durchbruchs mit der Single „Pompeii“ nach wie vor nicht. Ein Interview über Eskapismus, Großbritannien und Sängerin P!nk.


subtext.at: Wie wir alle wissen, kann das Leben ganz schön hart sein. Zu flüchten ist manchmal einfacher als sich den Problemen zu stellen. Handelt euer kommendes Album „Doom Days“ von solchen Dingen?

Christopher „Woody“ Wood: Von genau diesen Dingen, um konkret zu sein.
Kyle Simmons: Unser letztes Album („Wild World“, Anm. d. Red) war von Trübsinn und Schwermut geprägt für uns als Band. Dieses Mal gehen wir die Dinge anders an. Leichter, wenn man so will. Wir beleuchten Beziehungen in der heutigen Gesellschaft, was es heißt, Spaß zu haben und wie der Morgen danach aussieht, ohne seicht klingen zu wollen.
Dan Smith: Wir sehen es intern als unser apokalyptisches Partyalbum an. Inhaltlich spielt sich alles in einer einzigen Nacht ab. Ja, es geht darum, vor den Problemen in deinem Leben wegzulaufen, wie du schon anfangs erwähnt hast, anstatt sich den Dingen zu stellen – auf Mikro- wie Makroebene. Was macht Social Media mit uns, wie verhält sich die Gesellschaft, wenn alle zur Weltflucht aufbrechen? Der eine sucht Trost und Zuversicht in Beziehungen, der andere etwa beim Feiern. Oder in Alkohol. Eskapismus hat viele Gesichter und bedeutet für jeden etwas anderes. Das wollten wir beleuchten.

subtext.at: Tretet ihr selbst zur Weltflucht an, wenn ihr kreativ seid?
Dan Smith: Das würde ich nicht sagen. (überlegt kurz) Wir sind sehr glücklich, in einer Band sein zu können. Wir sind uns dessen bewusst, dass wir ein unübliches Leben führen. Gleichzeitig achten wir fast obsessiv darauf, dass wir nicht über die Strenge schlagen und die Kontrolle über unser Leben verlieren. Wir lieben, was wir tun, es ist für uns enorm wichtig. Dass es anderen Leuten etwas bedeuten könnte, hätten wir niemals gedacht. Wir geben unser Herzblut, kümmern uns um die Details, möchten mit unserer Musik zum Nachdenken anregen und es so interessant wie möglich gestalten. Die Welt, die wir mit unseren Alben, den Videos, dem Artwork und den Mixtapes kreieren, bereitet uns ein außerordentliches Vergnügen. Wir hoffen, dass die Leute auch dieses Mal einen Zugang zu all diesen Themen finden werden. Wir sind aber auch wahnsinnig gerne zu Hause mit unseren Freunden, die nichts mit der Musikbranche zu tun haben. Das ist wichtig, unser Leben abseits vom ganzen Zirkus. Das ist auch hilfreich, um sich wieder geerdet zu fühlen (lächelt).

subtext.at: Mir kam in den Sinn, dass es sich mit dem Eskapismus wie mit Zucker und Salz verhält. Eine Prise ist gut, doch erwischt man zu viel, ist das ganze Essen hinüber.
Woody: Das sehe ich auch so. Wenn du zu viel erwischst, ist es hinüber. Im Leben brauchst du Kontraste, hell und dunkel.
Kyle Simmons: Es gibt Zeiten und Orte, an denen du deine Belange und Probleme ansprechen kannst, kleine wie große. Weltliche, kulturelle oder soziale. Eskapismus kann einem dabei helfen, nach der Flucht, wie immer diese aussehen mag, die Dinge in Angriff zu nehmen. In Maßen ist es völlig in Ordnung, der Realität den Rücken zu kehren. Das sollte man im Hinterkopf behalten. Don’t run away from it forever!
Dan Smith: Es gibt das Stück „Million Pieces“ auf dem kommenden Album, welches genau davon handelt. Es geht nicht darum, sich komplett vor der Welt verschließen zu wollen. Dieses Bewusstsein ist extrem wichtig. Wir sind uns dessen bewusst, dass es einen in ein tiefes Loch stürzen kann, wenn man ständig auf sein Smartphone starrt und eine Abhängigkeit von Social Media entwickelt. Es kann einem zu viel werden, wenn man ständig mit Nachrichten gefüttert wird.

subtext.at: Denkt ihr, dass sich viele Leute auf der Welt in Unsinn stürzen, weil sie nicht über ein Ventil verfügen, um sich Luft zu machen?
Woody: Gute Frage (überlegt).

subtext.at: Danke.
Woody: Jeder von uns hat gute und schlechte Tage. Musik ist natürlich ein Mittel, um seinen Frust freien Lauf zu lassen. In den letzen Jahren ist außerdem die Diskussion um physische Gesundheit und der damit verbundenen Stigmatisierung zum Glück viel offener geworden, was sehr hilfreich ist und mich freut.
Dan Smith: Wir leben in einer Welt, in der scheinbar alle mit Traumata durchs Leben gehen. So sieht es zumindest aus. Ich denke, dass wir dennoch glücklich darüber sein sollten, uns austauschen zu können über Themen wie Gender oder Sexualität, für die man vor einiger Zeit noch stigmatisiert worden wäre.
Woody: Eine Plattform wie Instagram zeigt dir heutzutage ein scheinbar perfektes Leben, doch man sollte immer daran denken, dass nicht alles Gold ist, was glänzt. Es hat den Anschein, perfekt zu sein, was es nicht zwangsläufig sein muss. Es ist nur ein Bild, ein Image, was nach außen hin verbreitet wird.

subtext.at: Wird der Wunsch nach Eskapismus in unserer Gesellschaft denn immer größer?
Kyle Simmons: Ich weiß nicht. Dieser Hang war, glaube ich, schon immer vorhanden, nur derzeit kocht es durch Trump oder in unserem Fall durch den Brexit verstärkt hoch. Eskapismus hat es schon immer gegeben, zu jeder Zeit, er entwickelt und formt sich eben aus den unterschiedlichsten kulturellen wie gesellschaftlichen Gründen. Man will halt nicht daneben stehen, wenn die Scheiße hochkocht (lacht).
Woody: Jede Generation macht früher oder später so etwas durch. Das zeigt uns die Geschichte.
Dan Smith: Wenn man die 90er, die späteren 90er in unserer Heimat Großbritannien mit der heutigen Zeit vergleicht, dann waren das damals eher sorgenfreie Zeiten.

subtext.at: Sollten Künstler ihren Kopf in den Wolken haben, ganz generell gefragt?
Woody: Ähm, nein?! Wobei man bei einigen Pop-Rock-Künstlern schon das Gefühl hat, dass sie den Kopf in den Wolken haben.
Dan Smith: Ich bin der Meinung, dass wir als Künstler schon die Verantwortung haben, der Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten. Gleichzeitig kann es sehr wichtig sein als Mittel zum Eskapismus. (überlegt kurz) Als wir in Großbritannien zu einer der populärsten Bands geworden sind, fanden wir uns in einer wie Blase wieder, in der alles funkelnd und fröhlich war, obwohl die Zeiten für viele Leute taff und alles andere als einfach waren.

subtext.at: Keiner weiß, was die Zukunft bring und für einen bereit hält. Weshalb habt ihr eure Tour „Still avoiding tomorrow“ genannt? Was wird morgen denn passieren?
Dan Smith: Es ist eine Zeile aus dem Song „Quarter Past Midnight“. Im Kontext des Songs, in dieser Nacht, in der man sich nach Glückseligkeit und völliger Hingabe sehnt, drückt man alle Verpflichtungen und Verantwortungen von sich… Es geht darum, die Realität von Morgen ausblenden zu wollen. Mit all den Konsequenzen, die einen danach erwarten.

subtext.at: Ihr kollaboriert ja ganz gern mit anderen Künstlern wie jüngst mit Marshmellow oder Craig David. Wie muss man sich den Prozess dahinter vorstellen?
Dan Smith: Craig David war der größte Popstar, den wir als Kids damals wahrgenommen haben. Als wir ihn vor Jahren beim Radio getroffen haben, fragten wir ihn, ob er auf einem unserer Mixtapes stattfinden wollen würde. Er sagte ja und als Gegenleistung bat er mich, mit ihm ins Studio zu gehen und an einem Song zu arbeiten. Der Song mit Marshmellow sollte eigentlich für Justin Bieber sein. In unserem Team meinte dann jeder, er wäre ein Bastille-Song. Wir schickten dann unsere Ideen hin und her und er mochte sie. Marshmellow kümmerte sich vor allem um die Produktion des Songs. Wir sind dann nach L.A. und haben den Song dann vor Ort fertiggestellt.
Kyle Simmons: So entstehen heutzutage Kollaborationen – übers Internet.
Dan Smith: Wir mögen Kollaborationen, doch wenn es um unsere Alben geht, möchten wir schon, dass es im Kern nur von uns und unserem jeweiligen Produzenten ist. Wenn du dir die Charts ansiehst, ist es nicht selten, dass auf einem Album fünf bis acht Songschreiber beteiligt waren. Wir wollen das vermeiden. Unsere Mixtapes hingegen, da können wir uns austoben und mit anderen austauschen.
Woody: Ist ist ja überhaupt so, dass viel mehr Stile untereinander vom Publikum gehört und gemixt werden.
Dan Smith: In der heutigen Zeit ist jeder Song eine Kollaboration.
Woody: Dan, bei den diesjährigen BRITs war doch nahezu jeder Song eine Kollaboration, oder?
Dan Smith: Stimmt. Es ist halt ein Zeichen unserer Zeit. Die Marshmellow-Sache, für uns war das ein Sprung aus unserer Komfortzone band-technisch gesehen, der Spaß gemacht hat.
Woody: Und das wir mal was mit Craig David ein Video machen, der mal der größte Star in Großbritannien war, kann ich immer noch nicht glauben (lacht).

subtext.at: Bei den diesjährigen BRIT Awards habt ihr ja mit P!nk für die Überraschung des Abends gesorgt.
Dan Smith: Sie ist mit uns einige Wochen vorher in Kontakt getreten. Bis dahin haben wir uns nie persönlich getroffen. Sie ist ein großer Fan von uns…
Kyle Simmons: Was an sich schon total unglaublich ist (lacht).
Dan Smith: Sie bat mich, einen Song mit ihr auf der Bühne zu singen. Wir haben es niemandem erzählt und es geheim gehalten. Wir haben geprobt und geübt, ich bin nach London geflogen, dann zurück nach Polen, wo wir eine Show angesetzt hatten, dann wieder zurück. Der Auftritt mit P!nk hatte einfach ein ganz anderes Level, sie ist ein Mega-Popstar. Sie fährt alles auf, was sich auffahren lässt und sie ist schon seit vielen Jahren erfolgreich dabei. Gleichzeitig ist sie eine wirklich ab Boden gebliebene, talentierte, liebevolle und coole Person.
Kyle Simmons: (lacht) Unsere Freude haben mich angerufen und gemeint: „Was zur Hölle macht Dan da mit P!nk auf der Bühne?!“
Dan Smith: Es war wirklich ein surreales Erlebnis für mich.

subtext.at: „Doom Days“ habt ihr wahrlich oft genug angekündigt. Wann wird es denn endgültig erscheinen?
Kyle Simmongs: Vorm Sommer.
Woody: Definitiv noch vor Weihnachten (alle lachen).
Dans Smith: Wir werden mit „Doom Days“ andere Facetten von uns zeigen und sind gespannt darauf, wie es bei den Leuten ankommen wird.

„Doom Days“ erscheint am 16. Juni 2019 bei Universal Music // © Piczo

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Fotos: © Piczo

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