Sigrid Horn: Gekommen um zu bleiben

„I Bleib Do“ – die niederösterreichische und mittlerweile in Wien beheimatete Liedermacherin Sigrid Horn ist mit ihrem zweiten Album „i bleib do“ endgültig in der Musiklandschaft Österreichs angekommen. Nach dem Debut „Sog i bin weg“ ist auch das Zweitwerk eines, das man gerade in Ermangelung von Live-Konzerten gerne mehr als einmal auf den Plattenteller legen darf. 

Zuallererst ein Rückblick: das erste Mal live so wirklich aufgefallen ist uns die niederösterreichische Liedermacherin Sigrid Horn vor einem guten Jahr. Damals im Vorprogramm des Ur-Wiener-Morbid-Barden Nino aus Wien im Linzer Posthof – schon damals hat sich nicht nur die Stimme von Sigrid Horn, sondern auch das Konzert an sich dauerhaft in unserer Erinnerung eingebrannt. Genau so wie die erste Platte „Sog in bin weg“ – morbide Wien-Melancholie-Songs wie „Woiza“ und gesellschaftskritische Tracks wie „baun“ (die inoffizielle Ode an den Kreisverkehr) zeugten davon, dass es Sigrid Horn versteht, mit den Emotionen des Publikums zu spielen. 

2020 ist mit „I Bleib Do“ der Nachfolger erschienen. In zehn Tracks spiegelt Sigrid Horn hier Arrangements ein, die offene Herzen mit dem Salzstreuer malträtieren. Überhaupt scheint es, als ob Sigrid Horn auf diesem Album das Fass der Emotionen angestochen hat. Egal ob beim subtil-melancholischen Opener „Mea“, oder dem Klöße (wäre hier das österreichische „Knödel“ angebracht?) im Hals verursachenden „Heazn“, dem wohl besten Not-Love-Song des Jahres.  Beim „Frühling“ wird über das Was-Wäre-Wenn sinniert, und zwar auf eine solch mitreißende Art und Weise, dass man sofort seinen Kummer ertränken möchte. Und auch wenn der Frühling in „RIPM“ gekommen ist, ist es mitunter noch immer kalt im Horn’schen Gefühlsuniversum. „I reiß ma mei Herz aus de Rippn“ – Sehnsucht über Vergangenes wird hier mit dem Dolch aus der Brust geschnitten. Der stärkste Track des Albums dürfte dann aber „Sirenen“ sein – ein poetisches Gesamtkunstwerk über Zweifel, Zukunft und die Frage, wie lange man noch durchhalten kann. Zumindest kommt es so rüber, dass der Protagonistin des Songs die Sirenen wirklich das besungene Kopfweh verursachten. Bei „AANS“ wird die Sehnsucht (wonach, solltet ihr am besten selbst hören) nochmals thematisch in den Mittelpunkt gebracht, ehe man mit „WOEN“ und „AUKUMA“ aus einer musikalischen Achterbahnfahrt entlassen wird, wo man sich nicht nur einmal mit mehr als einem Fuß im emotionalen Abgrund wiederfindet. 

Im Vergleich zum ohnehin schon starken Debut gelingt hier etwas, was nicht selbstverständlich ist: dass der Nachfolger noch besser ist. Durchgehend stringent, stimmlich sowieso auf der Höhe, und eine Künstlerin, die hier ein Album zwischen Poesie und Folk, zwischen Emotion und Abgrund geschaffen hat. Ein Album, das in Zeiten wie diesen in erzwungener Isolation noch stärker klingt. Eine Künstlerin, deren Schaffen man getrost auch nach dem „Lockdown“ verfolgen sollte – sofern man den Gefühlsausbruch bis dahin schon verdaut hat. Eine der stärksten Platten des Seuchenjahres 2020! Links:

Fotos: Christoph Thorwartl 

Musik-Nerd mit Faible für Post-Ehalles. Vinyl-Sammler. Konzertfotograf mit Leidenschaft, gerne auch analog. Biertrinker. Eishockeyfan. "Systemerhaltende" Krankenschwester - wohl auch deshalb manchmal (zu) zynisch.