„Der Gebrauch der Macht ist mit Fingerspitzengefühl zu betrachten“: JACQUELINE KORNMÜLLER über GANYMED IN POWER

Einen Strich durch die Rechnung gemacht – so könnte man das Schicksal der bereits zum achten Mal angedachten Inszenierungsreihe GANYMED bezeichnen. Nach der Premiere im Kunsthistorischen Museum Wien Anfang März, bei dem subtext.at anwesend war, kam Covid-19 ins Spiel und stellte die abermals von Regisseurin Jacqueline Kornmüller inszenierte Aufführung vorerst aufs Abstellgleis. 

© KHM-Museumsverband

Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Alle Termine finden nun im Herbst 2020 sowie im Frühjahr 2021 statt. GANYMED liefert seit Jahren neue Perspektiven auf die herrschaftlichen Räume des KHM und ist ein absoluter Publikumsmagnet im Kunst- und Kulturbereich. In diesem Jahr werden u.a. die Gemälde von Bruegel, Caravaggio, Rembrandt und Rubens in den Galerien von einem Ensemble aus Tänzern,- Musikern und Schauspielern rund um das Thema Macht zum Leben erweckt. Die Besucher dürfen selbst entscheiden, bei welcher Station anfangen, wie lange sie verweilen und wo sie den Schlusspunkt setzten, denn alle Szenen spielen sich zeitgleich und mehrmals vor den Augen der Zuschauer ab. Am Abend der Premiere  von GANYMED IN POWER traf subtext.at Jaqueline Kornmüller zu einem Gespräch über positive und negative Machtausübung, die Macht der Natur und über die Gründe, sich für den kreativen Werdegang als Regisseurin entscheiden zu wollen.

subtext.at: Frau Kornmüller, ich habe einige Dinge aufgeschrieben, die ich heute während der GANYMED IN POWER-Vorführung gefühlt habe: Ich wurde mitgerissen, zum Nachdenken angeregt, ich hatte das Gefühl, zu entschleunigen, mein Puls ist langsamer geworden, ich hatte feuchte Hände, ich war glücklich, ich habe eine Panne miterlebt und habe zwischenzeitlich auch mal den Faden verloren. Sind das Dinge, die Sie bei einem Besucher auslösen wollen?
Jaqueline Kornmüller: Na ja, dass Sie eine Panne erlebt haben, tut mir leid. Das ist an solch einem Abend… (überlegt kurz) Was war es denn für eine Panne?

subtext.at: Ein Bereich war komplett abgesperrt. Es ging um eine Projektion. Es hieß, es gäbe eine Panne und die Vorführung sei nicht möglich.
Jaqueline Kornmüller: Ach so, verstehe. Das war nur in den ersten Sekunden, da ist uns leider eine Sicherung rausgefallen. Es tut mir leid, dass Sie davon etwas mitgekriegt haben, aber ich muss sagen, das Haus hat es extrem super gelöst (lächelt). Deswegen bin ich ehrlich total glücklich (lacht). Das hätte viel schlimmer werden können.

subtext.at: Wer sich durchsetzen will, spricht ein Machtwort. Wir kennen die Macht der Gewohnheit und fürchten die dunkle Seite der Macht.
Jaqueline Kornmüller: Stimmt, ja.

© Helmut Wimmer

subtext.at: Kennen Sie das auch?
Jaqueline Kornmüller: Absolut. (überlegt) Wenn ich mich nicht so zutiefst interessieren würde für die Macht, dann hätte ich dieses Projekt gar nicht erst angefangen. Ich finde Macht ein total interessantes Thema für mich persönlich. Ich bin ja zum Beispiel Regisseurin und es ist natürlich so, dass es definitiv eine Machtposition ist. Ich gebe die Macht eigentlich auch ganz ungern ab (lacht). Ich weiß auch, dass der Gebrauch der Macht mit Fingerspitzengefühl zu betrachten ist. (überlegt kurz) Macht ist etwas zutiefst Interessantes. Wir werden von Beginn unseres Lebens damit konfrontiert. Deswegen fand ich auch den Text von Milena Michiko Flasar so… Ich weiß nicht, ob Sie es gesehen haben, die Frau auf dem Podest.

subtext.at: Habe ich.
Jaqueline Kornmüller: Ein Text, wie das so anfängt, in uns und mit uns, mit der Macht. Das fand ich unglaublich schön und total faszinierend. Deswegen habe ich diese Situation auch so aufgestellt, weil es wie so ne Perle war, wie aus einem Guss. Ich könnte jetzt sozusagen jeden Text durchgehen und Ihnen sagen, was mich daran interessiert (lacht).

subtext.at: Macht verbinden wir mit Herrschaft, Stärke und Einfluss, aber auch mit Machtmissbrauch, Machtwahn oder einem unguten Gefühl von Machtlosigkeit und Ohnmacht. Für viele Menschen bedeutet Macht vor allem etwas Schlechtes, weil Macht sowieso nur missbraucht wird. Übersehen wir die Beispiele positiver Machtausübung?
Jaqueline Kornmüller: Wenn, dann bin ich durch dieses Projekt vom Gegenteil überzeugt worden. Macht kann ein unglaublich positiver Begriff sein. Macht der Liebe zum Beispiel. Cimon und Efigenia, haben Sie vielleicht gesehen, diese Geschichte, und in diesem Trio wird auch Macht und Abhängigkeit verhandelt, aber es geht auch um den Moment des Sich-Verliebens. Und das ist echt ein machtvoller Moment. Es kommt ganz darauf an, wie man es betrachtet, aber Macht ist nicht grundsätzlich etwas Negatives. Ich hab sehr viel gelernt bei diesem Projekt. Dieser Text von Franz Schuh über dieses Kleine Selbstbildnis von Rembrandt. Mich fasziniert an diesem Text, er schwankt so zwischen Selbstermächtigung und Verletzlichkeit. Dieser Moment, ich als Maler, male mich in meinem Leben zweiundfünfzig Mal. Das ist eine gewisse Macht, die dahintersteckt. Die Kraft und die Macht, mich selbst zu betrachten und mich selbst zu analysieren. Das meint er mit Selbstermächtigung. Das ist, finde ich, auch eine Form von Macht. Mach kann man in vielerlei Richtungen entdecken.

subtext.at: Würden Sie sich auch zweiundfünfzig Mal malen und porträtieren lassen?
Jaqueline Kornmüller: Meine Kunst ist anders. Ich bin kein Maler, will ich auch gar nicht sein. Ich mache sozusagen andere Dinge, ich erfinde Szenen. Das ist sozusagen meine Ausdrucksform. Das mache ich sehr gern.

subtext.at: Schweizer Forscher haben in einem 2014 veröffentlichen Experiment Versuchsprobanden „Diktator spielen“ lassen. Was denken Sie, wie es ausgegangen ist?
Jaqueline Kornmüller: In der absoluten Selbstvernichtung? In der absoluten Selbstzerfleischung? Wie ist es ausgegangen?

subtext.at: Nach einiger Zeit bereicherte sich fast jeder der Experimentteilnehmer auf Kosten der Bevölkerung.
Jaqueline Kornmüller: Interessant. Deswegen ist der Text von Isolde Charim so schön, weil sie da die österreichische politische Lage zwar berührt, dann auch verlässt und sie dann in diesen nordkoreanischen Wahsinn eintaucht. Die Diktatur ist natürlich das Bild der Macht schlechthin.

© Helmut Wimmer

subtext.at: Besonders in der Anonymität korrumpiert Macht auch die Ehrlichen, denn je geringer die öffentliche Kontrolle der Mächtigen, desto größer die Gefahr des Machtmissbrauchs. Hat der Mensch „von Natur aus“ das Bedürfnis nach Macht zu streben?
Jaqueline Kornmüller: (überlegt) Ich denke schon, dass wir uns genau abtasten müssen. Dass wir danach streben, ist klar. Wie wir damit umgehen, das ist die Frage, das ist die Kunst. Das kann jeder nur für sich selber beantworten. Auf jeden Fall ist es ein Akt der Selbstreflexion. Man muss sich selber sehr stark am eigenen Schopf packen, wenn es um das Thema macht geht und die eigenen Entscheidungen überprüfen.

subtext.at: Was ist bei einer Inszenierung wie GANYMED IN POWER schwieriger, der Anfang oder das Ende?
Jaqueline Kornmüller: Na ja, im Grunde genommen hat es für mich gar keinen Anfang und gar kein Ende, weil dieses Projekt ist von der ersten Sekunde an ein einziger Veränderungsprozess. Ich muss permanent offen sein für alle Veränderung, die sich bei diesem Projekt ergeben. Zum Beispiel: Ich frage einen Autor, der Autor entscheidet sich für ein Bild. Ich frage die Galerie, ob dieses Bild verfügbar ist. Die Galerie sagt ja, der Autor fängt an, über dieses Bild zu schreiben. Entweder er verliebt sich in dieses Bild, er verbindet sich damit, oder er ist unglücklich damit (lacht). Oder es kommt ein Text und er trifft dieses Bild ganz genau. Jetzt muss ich nach einer wirklich tollen, szenischen Übersetzung suchen. Es gibt ganz, ganz viele Möglichkeiten, einen Text in Szene zu setzen. Was ist mit dem Bild, was ist mit dem Schauspieler? Wer ist das für ein Schauspieler, wer bringt diesen Text am besten zum strahlen? Wie schaffe ich es, den Text am besten zu konzentrieren, damit ich sozusagen ein Konzentrat aus dieser Szene habe? Es gibt so viele Fragen. Wie wird die Szene aussehen, wie ist sozusagen die Bühne für diese Szene? Es gibt so viele Entscheidungen, die permanent getroffen werden und Entscheidungen, die überarbeitet werden. Man arbeitet an einer Szene und dann trennt man sich, die Probe ist vorbei. Dann trifft man sich zu einer neuen Probe und man überschreibt es wieder neu. Es kommt eine neue Erfahrung dazu und so geht es immer weiter. So geht es auch mit dem Zuschauer. Darf ich ganz kurz unterbrechen?

Kornmüller entschuldigt sich und pausiert das Interview für kurze Zeit, um einen Freund zu begrüßen.

© Helmut Wimmer

subtext.at: Willkommen zurück. Gibt es Thema, welches bei Ihnen in der Diskussion stand, aber Sie noch nicht den richtigen Dreh dazu gefunden haben?
Jaqueline Kornmüller: Es gibt ein Thema, was mich immer total interessiert, und das ist die Stille. Silence. Das interessiert mich total und ich denke darüber nach, wie man es umsetzen könnte.

subtext.at: Hat man als Regisseurin in der Kunstwelt eigentlich Albträume in der Nacht vor einer Premiere wie heute?
Jaqueline Kornmüller: Heute Nacht hatte ich keinen Albtraum. Für uns ist die Generalprobe ein ganz schöner Prozess. Es ist hier ja so, dass die Kollegen ja nicht im Ensemble zusammenarbeiten sondern mehr für sich und mit mir. Die Generalprobe ist dann die Probe, wo die Kollegen den Kollegen die Szenen vorspielen. Das ist immer ein sehr, sehr schöner Moment und wir hatten zwei tolle Generalproben. Wir machen an einem Abend die italienische Seite und am anderen Abend die holländische Seite. Und danach gehen wir ein Bier trinken (lacht). Das war einfach nett, es war schön und die Kollegen waren freudig überrascht über die Szenen der anderen. Deswegen, nee, ich hab heut Nacht sehr gut geschlafen.

subtext.at: Kennen Sie den französischen Biologen und Regisseur Luc Jaquet, der mit seinen Arbeiten aus der Antarktis berühmt geworden ist?
Jaqueline Kornmüller: Leider nein.

© Vadim Belokovsky

subtext.at: Er ist Regisseur geworden, um seinen vorbeiziehenden Gedanken eine Form zu geben und seine Gefühle mit anderen zu teilen. Warum sind Sie es geworden?
Jaqueline Kornmüller: Eigentlich aus einem ganz ähnlichen Grund (lacht). Im Grunde genommen ist es so, dass man kommunizieren will mit dem, was man tut. Diese Szenen, die ich entwickle, die sprechen zu einem. Deswegen finde ich es eigentlich schön, was Sie mir vorhin erzählt haben, die Wirkung, die meine Szenen auf Sie hatten. Dieser kleine Schweißausbruch, den Sie hatten (lächelt). Das ist eigentlich das, was ich will. Ich möchte gern berühren. Das ist meine Quelle.

subtext.at: Gehen wir ins Museum, weil es dort eine Freiheit gibt, alles ganz anders sehen zu können als wir es von unserem Alltag gewohnt sind?
Jaqueline Kornmüller: Das Museum ist ein Ort der Stille und ein Ort der Konzentration, auch ein Ort der Freude und des Glücks. Ein Museum kann ganz viel. Ein Museum hat unendliche Fähigkeiten und Möglichkeiten und deswegen ist dieses Projekt dafür angelegt.

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Titelfoto: Vadim Belokovsky

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