Folkshilfe: sit down and sing!

Mehr als drei Monate Lockdown, geschlossene Konzertbühnen, nur langsam wieder ein geregelter Alltag: wir alle haben uns in letzter Zeit an die oft zitierte „neue Normalität“ gewöhnt. Langsam erwacht jedoch die Kultur wieder aus dem Tiefschlaf, und anstatt großer Festivals werden kleine Shows wohl das sein, was uns in naher Zukunft begleiten wird. Auch im Linzer Posthof startet gemächlich wieder das Programm: die Folkshilfe war zu Gast, im wohl ungewöhnlichsten Ambiente aller Zeiten. 

Großer Saal, Posthof, Folkshilfe. Eigentlich würde man sich da ja zurecht 1200 Leute wünschen, die ihre letzten Energien verprassen. Nicht so in Corona-Zeiten. Genau 100 Leute dürfen zuschauen, getrennt durch jeweils zwei Sitze, in den Saal durch vier verschiedene Eingänge gelassen. Haben wir „Sitze“ gesagt? Ja, klar: Stehkonzerte sind ja noch verboten. Auch die Folkshilfe selbst hätte wohl nie geglaubt, mal in einem Sitzkonzert dieser Art vorzukommen. Zugegeben, es ist ein merkwürdiges Gefühl, das Gemeinschaftserlebnis Livekonzert so ganz ohne wirkliche Gemeinschaft erleben zu müssen. Einziger Vorteil? Ein olfaktorischer – den Schweiß des Nachbarn riecht man ob des Abstandes keinesfalls.

Musikalisch? Gibts zwar eine Setlist, die stimmt halt nur nicht. Was folgt, ist eineinhalb Stunden lang eine Mischung aus Probe, Wohnzimmerkonzert und „normalem“ Konzert einer Band, die in den letzten Jahren den Begriff „Shootingstars“ hierzulande auf eine neue Dimension gehoben hat. Und spätestens dann, wenn man ein gelbes Auto in ein Video einbaut, das kein Lamborghini ist, dennoch Erfolg damit hat und nicht peinlich dabei wirkt, dann hat man alles richtig gemacht. Man merkt, dass es schon viel zu lange her ist, dass wir Livekonzerte genießen konnten. Man bemerkt auch, dass die Leute wieder Spaß haben, sich in einem Konzertsaal einzufinden, um einem Gig zu lauschen. Man merkt auch zufriedene Gesichter, wenn die kubanische „Seit a poa Tog“-Version angestimmt wird, wenn gemeinsam mit dem Linzer Hip-Hop-Urgestein Average „geschewat“ wird, oder wenn neue Tracks der aktuellen Platte „Sing“ dargeboten werden. Ja, Folkshilfe machen live immer noch verdammt viel Spaß. Zum Abschluss gibts natürlich das lang erwartete „Simone“, und die auserwählten Glücklichen 100, die anstatt der eigentlich geplanten 10000 an der Linzer Donaulände in den Genuss des Konzertes kamen, gingen durchaus happy nach Hause. Natürlich bleibt ein fahler Beigeschmack: denn leere Sitze machen nie Spaß, und das Ambiente lässt sich am besten mit dem Wort „seltsam“ bezeichnen. Ein Abend, den man nach dem Motto verbuchen kann: gut, dass sich live wieder was tut. Aber auch gut, wenn der ganze Corona-Schas vorbei ist, und man nicht mehr auf zwei leere Sitze Abstand zur Konzertbegleitung angewiesen ist.

Fotos: Christoph Thorwartl

Musik-Nerd mit Faible für Post-Ehalles. Vinyl-Sammler. Konzertfotograf mit Leidenschaft, gerne auch analog. Biertrinker. Eishockeyfan. "Systemerhaltende" Krankenschwester - wohl auch deshalb manchmal (zu) zynisch.