Foto: Ingo Pertramer

Kreisky: „Wir persönlich sind überhaupt nicht grantig“

„Atlantis“ heißt die neue Platte von Kreisky, die Ende dieser Woche das Licht der Musikwelt erblickte. Passenderweise am Geburtstag des ehemaligen SPÖ-Bundeskanzlers Bruno Kreisky, der an diesem 22. Jänner 2021 110 Jahre alt geworden wäre. Der Nachfolger von „Blitz“ präsentiert sich gewohnt abwechslungsreich: zwischen ADHS, Skifahren und Kilometerweit Weizen ist hier Vieles dabei. 

Wir geben es ja zu: Kreisky zählen schon seit Jahren zu den Lieblingen der subtext.at-Redaktion. Grund genug also, fast schon ungewohnt die eigene Stadt zu verlassen, um den Kreisky-Jungs in Wien einen Besuch abzustatten. Ein Gespräch über Lockdowns, Erwartungen und Konzerte für Betriebsräte.

subtext.at: Kulturstaatssekräterin Mayer sagte gestern: „Die Künstler brauchen ihr Publikum“. Wie sehr „braucht“ ihr euer Publikum, gerade wenn ihr an eure neue Platte denkt?
Franz Wenzl: Natürlich brauchen wir es – wir sind ja eine Liveband, das ist schon Teil der Grund-DNA. Obwohl wir den Plattenhörer auch brauchen, aber den haben wir eh. Hoffentlich (lacht).
Klaus Mitter: Ich glaube schon, dass es sich in den letzten 20 Jahren massiv in Richtung „Live“ verschoben hat. Das wird auch jeder Musiker sagen, dass er das Live-Publikum braucht – vielleicht hat es in den 70er-Jahren noch gereicht, eine Platte zu veröffentlichen und nicht live zu spielen, und dennoch Millionen zu verdienen. Das war ja in der Relation weit nicht das Geschäft, das es heute ist. So wie jetzt Musik passiert, dreht es sich hauptsächlich um das Livepublikum, und somit braucht jeder Musiker es auch. Keiner macht Musik nur für den Tonträger – Einige wird es sicher geben, aber das sind Einzelne. In unserem Umfeld leiden alle „wie die Hunde“, weil man gerade nicht spielen kann. Das ist bitter, aber es kommt ja auch eine Zeit danach.
Helmuth Brossmann: Wir sind auch sicher mehr Live- als Studioband.

subtext.at: Die Platte „Atlantis“ ist nicht erst seit dem Lockdown fertig, sondern eigentlich in einer Zeit fertig geworden, wo man noch nicht an die Pandemie gedacht hat. Verändert die auch euren Blick auf die Platte, im Nachhinein gesehen, gerade im Hinblick, höchstens vor wenigen sitzenden Leuten in naher Zukunft spielen zu können?
Franz Wenzl: Für mich ist die Platte so stark – sicher unsere beste, obwohl wir viele gute gemacht haben bislang (lacht). Natürlich könnte es sein, dass man thematisch manchmal daneben liegt, aber es sind viele Themen auf der Platte drinnen, die man auch durch eine „Corona-Brille“ sehen könnte. Es gibt einiges, das von Isolation handelt, beispielsweise.

subtext.at: Bleiben wir gleich bei eurer neuen Platte „Atlantis“. Beim ersten Durchhören habe ich sehr viel lachen müssen, da doch einige urösterreichische Themen wie „Kilometerweit Weizen“ oder der Nationalsport Skifahren behandelt werden….
Franz Wenzl: Weizen gibt es aber schon auch anderswo, oder? (lacht)
Klaus Mitter: Als Vokabel im Pop-Bereich? (lacht)

subtext.at: Bleiben wir aber dennoch kurz beim Skifahren. „Abfahrt, Slalom, Super-G“ – aufgelegte Frage: wo ist der Riesentorlauf geblieben?
Franz Wenzl: Der passt da nicht hinein, vom Wort her.
Klaus Mitter: Rein vom Versmaß natürlich.
Franz Wenzl: Das kannst du ja nicht singen (lacht).

subtext.at: Also keine sportlichen Hintergründe?
Franz Wenzl: Ja, genau. Das ist ein Beispielsatz  – könnte man auch anders singen, würde aber nicht gut klingen.

subtext.at: Mit Marcel Hirscher wird hier auch eine nationale Ikone „verbraten“ – habt ihr eigentlich ihn auch kontaktiert?
Franz Wenzl: Nein, das ist eine öffentliche Figur, der muss sich das schon gefallen lassen. Er kommt ja eh gut weg dabei (lacht).

subtext.at: „Mit Milch übergießen“, wie es im Text heißt – wie darf man sich diese Metapher vorstellen?
Franz Wenzl: Ach so (lacht). Das ist ja kein „bösartiges“ Übergießen, wir reinigen ihn ja, damit er wieder ganz sauber ist. Vom Profisport-Stress und dem Raika-Vertrag sozusagen, dann ist er wieder sauber, sozusagen (lacht). Aber im Ernst: im Song geht es um Isolation, ein Grundthema in der Popmusik. Es geht – ganz vage – um jemanden, der einen Unfall hatte und allein zu Hause sitzt. Er ist daheim mit dem Fernseher alleine – und nicht nur er daheim, sondern auch der andere im Fernsehen  befindet sich in einer Art Isolation. Da ist der Marcel Hirscher natürlich nicht persönlich gemeint. So quasi „ich in meiner Isolation sehe dich in deiner Isolation“ – von daher eigentlich der perfekte Corona-Song.

subtext.at: Im Zuge einer Konzertankündigung zu meinem letzten Kreisky-Konzert vor drei Jahren hieß es damals, dass Kreisky eine „grantelnde Pop-Band“ sei. Wie grantig ist Kreisky 2021 noch?
Franz Wenzl: Wir persönlich sind überhaupt nicht grantig. Es ist eine musikalische Erzählhaltung von uns. Die ist bei uns humorbedingt halt vorhanden. Als wir vor 15 Jahren angefangen hatten, gab es ja den „Wutbürger“ als politische Größe und sogar als US-Präsident noch nicht – wir haben das aber damals schon lustig gefunden, dass es Menschen gibt, die sich über offensichtliche Lappalien wahnsinnig aufregen können. Und da dann aber auch schon zu erforschen, warum man so denken kann. Das finden wir spannend – und darum gibt es auch solche Einflüsse in unseren Songs.

subtext.at: Kurz nochmal zurück zum Start und dem „Livespielen vor Publikum“ – auch ihr hättet euren Release und die dazugehörigen Live-Shows sicher anders geplant gehabt. Haben Lockdowns auch Einflüsse auf kommende Live-Sets?
Franz Wenzl: Wir haben auch in der Vergangenheit schon ab und zu vor Theaterpublikum – also vor Sitzplätzen – gespielt. Wir haben uns schon ein etwas „konzertanteres“ Feeling überlegt – also nicht schnelle Nummern hinzudonnern, sondern auch das neue Album komplett und etwas in diesem Rahmen Angemesseneres zu bringen. Wir haben ja doch schon über 70 Lieder – das geht schon. Man kann bei uns auch zuhören, wenn man will.

subtext.at: Apropos zuhören: ihr seid für zwei meiner denkwürdigsten Live-Konzerte meines Lebens verantwortlich. Einerseits mit einem Gitarristen im Rollstuhl on stage und andererseits im Rahmen der Betriebsratsfeier der AUVA bei 35 Grad outdoor, allerdings indoor in der Linzer Tabakfabrik. Wie skurril können neue ausverkaufte Shows vor 20% der Kapazität und das auch noch im Sitzen für euch noch sein?
Franz Wenzl: Ich habe mit dem Austrofred, meinem Zweitprojekt, auch schon vor ca. 80 Leuten im Flex auf Bierbänken, die von draußen hineingetragen wurden, gespielt. Das war dann aber auch gut. Das Publikum, das zu dieser Zeit kam und das auch sehen wollte, hatte genauso wie ich Spaß.

subtext.at: Glaubt ihr, dass das Publikum während oder nach einer Pandemie gleich wieder genauso heiß auf Live-Shows sein kann, als vorher?
Helmuth Brossmann: Sobald man bedenkenlos hingehen kann, werden sich sehr viele sehr schnell hinbegeben. Die Frage ist eher, wie lange es bis dahin noch dauert. Solange Maßnahmen notwendig sind, eher schwierig, aber sobald es halbwegs niederschwellig funktionieren kann, wird das auch relativ schnell wieder funktionieren.
Franz Wenzl: Es wird eine Übergangsphase geben, wo manche vielleicht noch Hemmungen haben, aber sobald es „wie vorher“ ist, wird es sich schnell normalisieren. Vielleicht gibt es Einzelne, die weniger gerne in einem vollgestopften Saal stehen wollen. Ich habe vor Kurzem etwas über die Pest in Nürnberg gelesen – das war erstaunlich ähnlich mit Masken, Ausgangssperren und Co. Da sind dann zwar viele durchgestorben quasi – aber wenn es vorbei war, war es relativ schnell vorbei.

subtext.at: Wenn ich mit Personen spreche, die im Kultur- und Veranstaltungsbereich beschäftigt sind, sprechen diese oft von der Gefahr, dass in einer wirtschaftlichen Krise auch bei Gästen persönlich bei Ausgaben für Kultur gespart wird. Seht ihr diese Gefahr auch, dass es auch durch diese ökonomischen Faktoren für Bands schwieriger werden könnte?
Franz Wenzl: Das ist sicher möglich, wobei ich mir da nicht ganz sicher bin. Jeder spart dann dort, wo er sparen kann.
Helmuth Brossmann: Eher für Leute ein Thema, die für Konzerte 90 bis 100 Euro für ein Ticket zahlen. In unserer Price-Range wird das aber schon ein Vergnügen sein, das sich dann doch noch Viele leisten können. Aber die Ticketpreise sind eh in den letzten Jahren ins Extreme getrieben worden – von daher ist das vielleicht eh auch eine gesunde Entwicklung, dass man eher darauf schaut und schauen muss, dass Konzerte leistbar bleiben.

subtext.at: Also ein „Gesundschrumpfen“?
Helmuth Brossmann: So würde ich es auch wieder nicht bezeichnen, aber zumindest so, dass es nicht „wurscht“ ist, wie viel ich als Veranstalter fürs Ticket verlangen kann, weil es Leute eh zahlen.
Franz Wenzl: Grade bei Großkonzerten kann ich mir das ganz gut vorstellen, wo man aktuell ja auch für Tiefgaragen und so Sachen noch extra zahlen darf (lacht). Da ist ein bisschen mehr Augenmaß durchaus wünschenswert.

subtext.at: Zurück zu eurer neuen Platte, Atlantis – ihr habt bei dieser Platte erstmals auch einen Besetzungswechsel bei Kreisky gehabt. Aufgelegte Frage: warum eigentlich?
Franz Wenzl: Weil es einen Punkt gegeben hat, wo der Gregor (Gregor Tischberger, Ex-Bassist der Band, Anm. d. Red.) zeitlich nicht mehr alles unter einen Hut gebracht hat mit Familie, Beruf und Co. Er wollte dann halt nicht mehr so viel live spielen, dann hatten wir mit „Viel Gut Essen“ vor drei Jahren ein Theaterstück im Rabenhof und eben dann die neue Platte, die wir machen wollten. Das ist sich einfach nicht mehr ausgegangen – war aber dann schon sehr amikal. Der Lelo (Helmuth Brossmann, Anm. d. Red.) war eh quasi schon als „fünfter Kreisky“ dabei, hat Videos gemacht, gemischt, auch schon live gespielt – und der Gregor Tischberger ist ja auch auf „Atlantis“ als Co-Produzent dabei. Einfach weil er ein sehr gutes Ohr für den Sound hat, eine Kompetenz, die wir so dann nicht mehr in dieser Qualität in der Band hatten. Jetzt ist er quasi der „fünfte Kreisky“ geworden (lacht).

subtext.at: Im Pressetext wird er als der „Fünfte Beatle“ bezeichet – ist er also die „Eminenz“ im Hintergrund geworden?
Franz Wenzl: „Eminenz“ sicher nicht – aber er hat das Album ganz massiv mitgestaltet. Das ist sehr harmonisch und amikal wie gesagt – und die Möglichkeit, als Quintett zu spielen, gibt es natürlich auch noch.

Aus einer Zeit, die hoffentlich bald wieder kommt: Kreisky-Frontmann Franz Adrian Wenzl live! (Foto: Christoph Leeb)

subtext.at: Der letzte Song des Albums, „Wenn einer sagt“, ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Klingt für mich schon fast wie ein Statement für die „Mach es so, wie du willst“-Einstellung – würdet ihr das genauso sehen?
Franz Wenzl: Ich würde es nicht nur auf uns als Kreisky beziehen, aber es ist auf jeden Fall eine Selbstermächtigungshymne. Natürlich trifft es etwas, was wir als Band machen: nicht zu viel nach Außen schauen, nicht zu ernst nehmen, wenn es jemandem nicht gefällt. Wir wissen schon, was wir können, was wir machen – und was wir nicht können, das ist ja auch wichtig.

subtext.at: Was könnt ihr beispielsweise nicht?
Franz Wenzl: Singen (lacht). Also in dem Kontext, wie es andere vielleicht verstehen, aber natürlich habe ich meine Texten und meinen Mitteln etwas herausgearbeitet, wo ich der Meinung bin, dass ich das sehr gut kann.

subtext.at: Meistens sind Künstler ja selbst sehr kritisch zu sich selbst – gibt es auf Atlantnis etwas, was ihr mittlerweile nicht mehr gut findet?
Franz Wenzl: Nein – es gibt tatsächlich auf keiner Kreisky-Platte etwas, was ich „scheiße“ fände. Natürlich gäbe es etwas, was ich im Nachhinein vielleicht anders machen würde. Etwa ein, zwei Nummern weglassen, oder den Sound einer Platte ein bisschen verändern. Aber das sind vergleichsweise Details.

subtext.at: Also kein Hadern mit sich selbst?
Helmuth Brossmann: Wir haben unser Schaffen immer eher als Etappe gesehen. Man macht etwas, schaut, wie es war, macht danach wieder etwas, worauf man Lust hat. Also kein „Evaluieren“, was gut war und was den Leuten besonders gefallen hat – das ist uns eher egal sogar. Es ist immer radikal persönlich: wo will man musikalisch hin und inhaltlich hin? Und von dort aus arbeiten wir dann weiter. Man nimmt das „Vorher“ schon mit, aber ich würde nicht sagen, dass wir uns da Grenzen setzen. Wir haben immer das veröffentlicht, worauf wir zu dem jeweiligen Zeitpunkt Lust hatten.
Franz Wenzl: Wir haben ja auch schon arrivierter angefangen, es hat ja jeder auch schon in anderen Formationen vor Kreisky gespielt. Damals habe ich mich schon für frühere Sachen „geniert“ – wenn ich mir das jetzt anhöre, bin ich da um Vieles gnädiger geworden. Es hat schon damit zu tun, dass man mit der Zeit sein Vokabular und seine Werkzeuge besser kennt und da schon wenigere „Fehltritte“ begeht. Aber ein guter Holzweg ab und zu schadet auch nicht.

subtext.at: Kreisky-Songs haben die Tendenz, eine Geschichte innerhalb eines Songs abzuhandeln. Warum wählt ihr diese Art, Alben zu schreiben?
Franz Wenzl: Wir könnten auch ein Konzeptalbum machen, wenn wir das wollten. Mir wäre sowas aber noch nicht eingefallen – vielleicht ist es noch eher unser Theaterstück, das in diese Richtung geht. Mir müsste erst eine Geschichte einfallen, die gut genug wäre (lacht).

Kreisky: live immer eine Empfehlung wert (Foto: Christoph Leeb)

subtext.at: Eine Frage, die ich nicht vermeiden kann: wie oft kommt es eigentlich noch vor, dass ihr auf den Namen „Kreisky“ reduziert werdet, unabhängig von eurer Musik?
Klaus Mitter: Ich glaube, dass es schon so ist dass wir nicht nur, aber schon auch etwas wegen dem Namen „Kreisky“ als politischere Band wahrgenommen werden. Weil eben Kreisky-Texte auch politisch interpretierbar sind. Dann kann man schon sagen, dass wir eine Band mit „Message“ sind. Es kommen ja auch oft ältere Semester, die dann schon zu uns sagen, welch ein guter Politiker Kreisky war. Das finden wir ja auch, gerade was unsere Generation betrifft. Unsere Eltern kommen auch aus der Arbeiterschaft und dem bäuerlichen Umfeld – wie hätten wir studieren und nach Wien gehen sollen, wenn es dieses konservative, feudale Prinzip weiter gegeben hätte? macnhe würden die Zeit wieder um Jahrhunderte zurückdrehen, wenn es irgendwie ginge. Kreisky war schon rückblickend prägend – wir hatten schon in dem Moment damals, als wir den Namen „Kreisky“ finalisiert haben, eine Biografie gelesen und haben entdeckt, was alles ermöglicht wurde. Nicht nur an der Figur Kreisky oder der SPÖ festgemacht, sondern an den nachhaltigen Veränderungen, die damals eingetreten sind. Dass wir dann damit assoziiert werden, kann schon sein, wir haben aber schon auch einen persönlichen Bezug dazu. Der war aber nicht ausschlaggebend für den Namen „Kreisky“ – oft ist es ja so, dass Bands nach ein paar Jahren unglücklich und nach einem Jahrzehnt todunglücklich mit dem Namen sind. Das war bei uns sicher nicht der Fall.
Helmuth Brossmann: Und „Dohnal“ ist ja auch nicht so griffig wie „Kreisky“ (lacht).
Klaus Mitter: Vielleicht hätten wir uns „Dohnal“ genannt, wenn wir vier Frauen gewesen wären (lacht).

subtext.at: Ich möchte noch kurz das Thema „Diskurs“ in der Musik ansprechen – es heißt ja oft, dass gerade Musik den Diskurs ihrer Zeit führt. Glaubt ihr, dass pandemiebedingt auch der popkulturelle Diskurs anders werden wird?
Klaus Mitter: Der Diskurs vielleicht nicht – aber ich habe mich oft gefragt, ob sich mit der Kunst oder im konkreten Fall mit der Musik etwas ändern wird. Dass Musik vielleicht expressiver wird in Zukunft. Nicht die Musik, die gerade jetzt im Lockdown produziert wird, sondern danach.
Helmuth Brossmann: Wobei viele Leute jetzt schon sehr viel Zeit gehabt haben, um sich „im Kämmerlein“ um ihre Musik zu kümmern. Kann schon sein, dass gerade jetzt eine sehr ergiebige Phase kommen wird.
Klaus Mitter: Die Frage ist, was es danach wird – ob etwa Leute ganz vereinfacht gesagt zu einer „räudigen Band“ geht, wo am nächsten Tag die Ohren pfeifen, oder wollen sie dort hin, wo etwa gut reproduzierter Pop, der live gleich wie auf dem Album klingt, gespielt wird? Ich würde mir aber schon wünschen, dass das ganze einfach „vorbei“ ist und alles so ist, wie es vorher war.

subtext.at: Glaubt ihr, dass angesichts gesellschaftlicher Polarisierungen auch Musik wieder stärker polarisieren wird?
Klaus Mitter: Ich würde es mir wünschen. Ich glaube, dass Leute eher gegen Veränderungen stemmen, wenn man die Hörerseite hernimmt. Bei denjenigen, die Musik machen, wird es sicher Einflüsse haben. Es wird wohl auch so sein, dass man vielleicht gar nicht so viel hören möchte und die hundertste Lockdown-Platte dann vielleicht doch gerade die eine zu viel ist. Mich interessiert eher, wie sich der Musikgeschmack selbst entwickeln wird – ich bin aber auch noch zu keinem Schluss für mich gekommen.
Franz Wenzl: Alles kann passieren – von „sehr expressiv“ zu „alles halt ein bisserl“.

subtext.at: Zum Abschluss eine für mich einfache Frage: ein Detail, das ihr an der Platte „Atlantis“ besonders gut findet?
Franz Wenzl: Die Arrangements. Tatsächlich hat jeder Song und jede Songpassage den Sound, der für mich passt.
Helmuth Brossmann: Die Herangehensweise – für mich war wichtig, die Art, wie wir arbeiten, funktioniert. Etwa die Art, Gregor als Produzenten zu integrieren, oder wie wir auf die einzelnen Songs fokussiert waren. Wir haben früher schon sehr viel in „Alben“ gedacht, das war dieses Mal schon anders. Dennoch rund und schlüssig, aber der Weg dahin war. Und dass wir nach fünfzehn Jahren immer noch gemeinsam Musik machen, uns schätzen und sich gegenseitig nicht „auf den Arsch“ zu gehen. Das klingt sehr kitschig, aber sicher das größte Geschenk, das die Band Kreisky uns gibt. Es gibt keine Egotrips, Streiteren um Geld oder dergleichen. Wir sind ausgeglichen genug und machen es wirklich noch gerne. Kreisky ist mitterweile die schönste Freizeit, die man sich vorstellen kann.

Kreisky: Atlantis
VÖ: 22.01.2021, Wohnzimmer Records, CD/LP/Digital
Tracklist
01. Atlantis
02. Lonely Planet
03. ADHS
04. Kilometerweit Weizen
05. Abfahrt Slalom Super-G
06. Ein Fall fürs Jugendamt
07. Meine Zunge ist leer
08. Wenn einer sagt
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Titelfoto: Ingo Pertramer

Musik-Nerd mit Faible für Post-Ehalles. Vinyl-Sammler. Konzertfotograf mit Leidenschaft, gerne auch analog. Biertrinker. Eishockeyfan. "Systemerhaltende" Krankenschwester - wohl auch deshalb manchmal (zu) zynisch.