Von Monstern und Mythen
Mohamed Hassan / Pixabay

Von Monstern und Mythen – Eine Reise zu Europas wilden Geschichten

Lässt sich die Geschichte eines Kontinents anhand seiner Mythen, Legenden und literarischen Helden erzählen? Nicholas Jubber begab sich auf eine Reise, die ihn über viele Umwege von der Türkei bis nach Island durch 3.000 Jahre europäische Erzählkultur führte.

Die Odyssee des Autors beginnt dort, wo das Synonym für eine lange Irrfahrt seinen Ursprung hat – in Troja. Die von Homer geschilderte Reise des Königs Odysseus, der nach dem Trojanischen Krieg nach Ithaka zurückkehren will, ist der Ausgangspunkt. Jubber verknüpft in seiner Reise durch die Geschichte die Mythen und Heldensagen Europas mit grundsätzlichen Fragen zur gemeinsamen Vergangenheit. Von aktuellen Bezügen zur Flüchtlingskrise, dem Brexit oder nationalistischer Tendenzen zu persönlichen Einblicken in sein Leben.

Der Ursprung des Balkankonflikts?

Während das griechische Epos zum Allgemeinwissen zählt, gerieten andere Geschichten Jahrhunderte in Vergessenheit oder sind in Teilen Europas unbekannt. Dies betrifft auch den Kosovo-Zyklus, der von der Schlacht auf dem Amselfeld erzählt. Dies ist nicht nur die jüngste der Erzählungen im Buch (1389), sondern hat auch heute noch die stärksten Auswirkungen. Der Konflikt um das Kosovo und der serbische Anspruch auf die Region im Westbalkan ist tief verwurzelt in der Erzählung von der Schlacht des serbischen Fürsten Lazar gegen den türkischen Sultan Murad I. Die Geschichte vom Kampf der Christen gegen Muslime, slawischer Völker gegen Osmanen und deren lange Herrschaft auf dem Balkan ist in der jüngeren Vergangenheit zur Rechtfertigung kriegerischer Handlungen missbraucht worden. 1989 hielt der Serbenführer Slobodan Milošević auf dem Amselfeld eine Rede zur  600-Jahr-Feier der Schlacht, die von vielen Seiten als Ankündigung des späteren Jugoslawienkrieges ab 1991 gilt.

Karte aus Von Monstern und Mythen
Jubbers Reiseroute führt von Griechenland im Südosten kreuz und quer durch Europa und endet in Island im äußersten Nordwesten

Das Rolandslied, die nächste Erzählung, der Jubber nachreiste, wurde erst 1830 wieder entdeckt. Diese Niederschrift, die um 1100 entstand, erzählt vom Tod des bretonischen Grafen Roland, der zum kaiserlichen Heer Karls des Großen (747-814) gehörte. Der Sage nach geriet er bei einem Kampf der Franken gegen die Mauren in den Pyrenäen in einen Hinterhalt. Die Geschichte des Helden wurde in den mehr als tausend Jahren mündlich überliefert, gesungen, abgeändert oder als Puppentheater aufgeführt. In Kroatien, Italien, Spanien, Frankreich und auch Deutschland sind Spuren der Erzählung zu finden. Das immer wiederkehrende Thema Kampfes der Christenheit gegen den Islam beschäftigt Europa nicht nur im Rolandslied schon lange.

Österreichische Wiederentdeckung

Das Nibelungenlied (mit Stationen in Deutschland, Österreich und Ungarn) wird ebenfalls auf seine Auswirkungen und Einflüsse auf das heutige Europa abgeklopft. Der tapfere Drachentöter Siegfried und seine rachsüchtige Witte Kriemhild sind, wie viele weitere Figuren der Saga, in verschiedenen Versionen der deutschen und skandinavischen Geschichte zu finden. Doch die ersten Teile der Handschriften wurden erst 1755 in Vorarlberg wieder entdeckt. Mittlerweile sind 37 Fragmente der Erzählung bekannt. Schnell wurde der Text zu Sinnbild ritterlicher Tugenden, besonders die Nationalsozialisten nutzten das Epos, um den deutschen Nationalismus zu beschwören.

Das angelsächsische Epos Beowulf führt den Autor nach England, Dänemark und Schweden bevor er sich auf der Suche nach der Saga von Brennu-Njáll nach Island begibt.

Fazit

Auf all seinen Stationen  versucht Nicholas Jubber das Land und die Leute direkt kennenzulernen. Er geht viel zu Fuß, trampt von Ort zu Ort, schläft im Zelt, in Hütten oder in Parks. Er erzählt von Begegnungen mit den  Einheimischen, trifft sich mit ExpertInnen und bringt neben deren Perspektive viele persönliche Bezüge zu den wilden Geschichten Europas ein. Am Ende der Reise ist eines klar: wie wir wurden, was wir sind, hängt stark von unserer gemeinsamen Vergangenheit ab.

»… auch wenn ich viel am Wegesrand liegen lassen muss, habe ich doch die Hoffnung, auf den Spuren dieser sechs Geschichten quer über den Kontinent eine Reihe von drängenden Fragen wenigstens teilweise beantworten zu können: Welchen Beitrag haben diese Epen zur Schaffung Europas geleistet? Lohnt es sich nach wie vor, sie zu lesen? Können sie uns heute helfen, Europa besser zu verstehen?«

Nicholas Jubber
Cover Von Monstern und Mythen

Von Monstern und Mythen

Eine Reise zu Europas wilden Geschichten
von Nicholas Jubber
400 Seiten, 13,5cm x 21cm, Softcover

€ 18,50

Jetzt bestellen!

Disclaimer: Wir bekommen für die Artikel keine Bezahlung und verdienen auch nichts an Affiliate-Links. Aber wir unterstützen gerne den lokalen Buchhandel und empfehlen, nicht bei Amazon zu kaufen.

photographer, designer, journalist