Foto: Festival "Der neue Heimatfilm" / BFI

Festival „Der neue Heimatfilm“: Tobi színei / Colors Of Tobi

In einem kleinen ungarischen Dorf leben Éva, ihr Mann Zoltán und ihr Kind, Tóbiás. Tobi hat sich diesen Namen selbst gegeben, nachdem er sich als Transgender geoutet hat. Diese Ausgangslage bringt für Éva die Herausforderung, von ihrer Tochter loszulassen, und für Tobi, alle Risiken und psychischen Herausforderungen einer Geschlechtsumwandlung zu verkraften. Der Film begleitet dabei hauptsächlich Mutter und Sohn auf einer Reise voll von Erwachsenwerden, Selbstidentifizierung, Mutterliebe und Akzeptanz.

Tobi színei, zu deutsch „Die Farben von Tobi“ beleuchtet genau diese: Die vielen verschiedenen Facetten eines Teenagers, der auf der Suche nach seiner Identität nicht nur Schule und Arbeit organisieren und finden muss, sondern auch seine Sexualität. Sein Glück dabei ist, dass seine Familie versucht, mit größtem Verständnis damit umzugehen. Der Film zeigt dabei ein intimes Familienporträt, das sich nicht zurückhält und viel Gefühl beinhaltet. Im Vordergrund steht dabei die Mutter-Sohn-Beziehung von Éva und Tobi, wobei Éva die Stimme der Zuschauer*innen übernimmt und alle möglichen Fragen stellt, die sonst gerne von der Gesellschaft als unangenehm und bis zu einem gewissen Grad sogar als Tabu wahrgenommen werden.

Diese Dokumentation bringt einen mit Leichtigkeit zum Schmunzeln und Lachen, aber auch zum Weinen. Die Chronologie mag nicht zu 100% stimmen, Alexa Bakony schafft es aber, einen emotionalen roten Faden aufzubauen, der immer wieder zu Gänsehautmomenten führt. Die vielen Close-Ups, die teilweise auch den engen Szenerien geschuldet sind, engen dabei vor allem in der ersten Hälfte des Filmes den Zuschauer etwas zu sehr ein, öffnen aber im Laufe des Films immer weiter auf, wo einem weitere und offenere Einstellungen mehr Raum zum Atmen geben. Ebenso bemerkt man über die Laufzeit des Films hinweg eine Steigerung in der Kameraarbeit. Ist diese zu Beginn noch wackelig und and manchen Stellen amateurhaft operiert, wagt man am Ende immer wieder spannendere und experimentellere Kompositionen. Die Farben sind dabei sehr lebensecht gehalten, was gleich alle Handlungen in den Vordergrund stellt und die Linse als Beiwohner aller Situationen des Films subtiler werden lässt.

Zusammengefasst ist Tobi színei ein Coming-Of-Age Film im Rahmen einer Dokumentation, welcher auf leichten Füßen daherkommt und einen dann mit einer emotionalen Wucht mitreißt, wie man sie nicht erwartet hat. Die eingefangene Intimität lässt einen mitfiebern, an einigen Stellen sicher auch an das eigene Familienverhältnis denken. Denn am Ende befasst sich diese Doku nicht nur mit dem Thema LGBTQ+, sondern generell damit, was es heißt Familie und Kinder zu haben, für diese als Eltern wichtige Teile eines Lebens aufzugeben und bedingungslos zu lieben. Gleichzeitig stellt er ohne Scham Fragen in Richtung LGBTQ+ und besonders Transgender, welche in ihrer Form so einfach sind, dass sie banal wirken, aber doch so viel Tiefe beinhalten. Besonders dann, wenn entschieden worden ist, noch ein paar Sekunden länger die Augen der Protagonisten zu zeigen, was all die Menschlichkeit der einzelnen Personen perfekt auf der Leinwand einfängt.

Eine Dokumentation mit vielen Fragen und menschlichen Antwortversuchen, die von den Zuschauer*innen mit eigenen Erfahrungen ergänzt werden können, was es zu einem Werk macht, das einen zum Nachdenken bringt und auf lange Zeit begleiten wird.

Tobi színei
Alexa Bakony
Ungarn 2021
81 Minuten
Ungarisch
www.filmfestivalfreistadt.at

Im Zweifel vor dem großen Screen oder hinter der Kamera.