Demokratie jenseits von Wahlen

Politisches Handeln wird in der Öffentlichkeit meist auf die Teilnahme an Wahlen reduziert, Selbstverantwortung sieht man gerne nur in der abgegebenen Stimme. Doch welche Möglichkeiten haben wir außerhalb des repräsentativen Systems, um uns an Entscheidungsfindungen zu beteiligen? Kann die repräsentative Demokratie erweitert oder gar ersetzt werden? Diesen Fragen stellte sich Florian Walter, Politikwissenschaftler, am 25.11. im KeplerSalon.


Seit Mitte der 1970er Jahre ist die Wahlbeteiligung in Österreich um 18 Prozentpunkte zurückgegangen. Das sei nicht automatisch auf eine Politikverdrossenheit zurückzuführen – Laut einer Umfrage ist das Interesse für Politik hierzulande gestiegen und höher als im EU-Schnitt-, und auch von rechtlichen und sozialen Exklusionstendenzen abhängig. Alleine in Wien können bereits an die 40 % der Bevölkerung aufgrund der nicht-österreichischen Staatsbürgerschaft oder der Altersgrenze gar nicht erst ihre Stimme abgeben. EU- BürgerInnen können hingegen noch auf der Gemeinde-und Europaebene wählen.

Aber selbst wenn Personen mit Migrationshintergrund eine österreichische Staatsbürgerschaft haben, nehmen sie die Teilnahme an Wahlen tendenziell weniger als Personen ohne Migrationshintergrund wahr. Zusammenhänge bestehen auch zwischen der Wahlbeteiligung und dem Alter sowie der Bildung der Bevölkerung. Personen mit einem Universitätsabschluss haben eine um 10 Prozentpunkte höhere Wahlbeteiligung als Personen mit einem Pflichtschulabschluss. Jüngere wählen weniger als Ältere.

Hinzu kommt, dass 6 % aller Stimmen, die sich auf kleine Parteien aufteilen, nicht im Parlament vertreten sind (Sperrklausel). Die Skepsis gegenüber der Demokratie nimmt in der Bevölkerung zu. 1990 waren 77 % mit der Demokratie zufrieden, 2008 nur mehr 53 %. Dieses Ergebnis wirkt sich auch auf die Zustimmung der Demokratie als beste Regierungsform aus. Mittlerweile ist jede/r Zehnte der Ansicht, dass eine Expertokratie oder eine starke Führungskraft vielleicht die besseren Varianten wären.

Volksbegehren und parlamentarische Bürgerinitiativen haben zwar zugenommen, sind aber mit sinkenden Beteiligungen konfrontiert.

Diese Hintergründe zeichnen eine Repräsentationskrise ab und führen zu einer Infrage Stellung des aktuellen politischen Systems.  Poier bezeichnet die Mittel der direkten Demokratie- Volksbegehren, Volksabstimmungen, Volksbefragungen- als „dekorativen Verfassungsschmuck“. Es gebe bisher wenig wissenschaftliche Forschung, wer sich an Volksbegehren etc. beteiligt. Walter merkt an, dass bei Volksbegehren keine Gewichtung des Anliegens durchgeführt wird und man dieses nur unterstützen, nicht aber explizit ablehnen kann. Die europäische Bürgerinitiative sieht er kritisch: In 12 Monaten wird eine Million Unterschriften aus mindestens 7 verschiedenen Staaten benötigt.

Speziell bei Planungs-und Bewilligungsverfahren gebe es verpflichtende Einbindungen, diese haben laut Wagner aber eine kurze Dauer und geringe Reichweite. Er sieht Petitionen als Legitimation von Parteientscheidungen und als Mittel zur Steigerung von Effizienz an. Gefragt werde die Bevölkerung nur, wie etwas gemacht werde, nicht ob etwas überhaupt gemacht wird.

In Vorarlberg gibt es nun den Versuch, Personen nach dem Zufallsprinzip auf der Gemeindeebene in Entscheidungen einzubeziehen.

Als positives Beispiel in der Diskussion wird die Schweiz angesprochen. Laut Walter darf man jedoch nicht darauf vergessen, dass bei dem Thema Minaretten eine Mehrheit über die Minderheit abgestimmt hat. Ein Gast erkennt Parallelen zur Wehrpflicht, hätten hier doch vor allem Großeltern für ihre Enkel entschieden. Die Möglichkeit, Stimmen nach dem Alter, Bildungsgrad etc. zu gewichten, wird in diesem Zusammenhang erwähnt.
Weitere Vorschläge sind rotierende PolitikerInnenfunktionen, die Anpassung der Mitgliederanzahl des Parlamentes an die Wahlbeteiligung und die Einführung eines eigenen Unterrichtsfaches „Politische Bildung“ ab der 7.Schulstufe, das die politische Beteiligung erhöhen könnte.

Hardt und Negri, Anhänger des Marxismus, sprechen von einer „Demokratisierung von unten“. Um Ungleichheit und Verschuldung überwinden zu können, müsse das Netz aus zu vielen Informationen aufgebrochen und Kommunikation entgrenzt werden. Denken sei von Angst zu befreien. Verantwortung werde demokratisiert, aber Macht-und Eigentumsverhältnisse nicht infrage gestellt.

Ob die repräsentative Demokratie ersetzt werden kann, kam nicht deutlich heraus. Das Gespräch handelte eher von der Erweiterung durch direktdemokratische Mittel.

Nachgehört werden kann über die Homepage des KeplerSalons

Katharina ist Sozialwissenschaftlerin und Redakteurin. Sie beschäftigt sich vor allem mit gesellschaftlichen (z.B. frauenpolitischen) und kulturellen (z.B. Film, Theater, Literatur) Themen. Zum Ausgleich schreibt sie in ihrer Freizeit gerne literarische Texte: https://wortfetzereien.wordpress.com/