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„Melancholie ist die Hauptemotion des Menschen“: JOEP BEVING im Interview

Kammerspiele von und mit Hollands wundersamstem Pianisten, sind auf dem aktuellen Werk „Hermetism“ von Joep Beving zu bewundern. Der 46-Jährige Komponist beeindruckt schon seit einigen Jahren mit transzendentalen Liedern, wie dem berührenden „Hanging D“, voller Feingefühl.


Die Begeisterung nimmt stetig zu und die Zuhörerschaft des Autodidakten wächst konstant mit jeder neuen Veröffentlichung. Ein Interview über philosophische Offenbarungslehren, Stressquellen und Nostalgie als Hilfsmittel in Zeiten einer globalen Pandemie.

subtext.at: Joep, ist es Zufall oder Schicksal, dass wir uns heute hier zum Gespräch treffen?
Joep Beving: (überlegt) Schwierige Frage. Ich glaube nicht so sehr an Schicksal. Irgendwo hat man noch eine eigene Kontrolle darüber, um etwas zu machen oder nicht zu machen.

subtext.at: Ist diese Kontrolle denn beeinflussbar? Nehmen wir sie wahr?
Joep Beving: Es gibt unterschiedliche Theorien darüber. Ich kenne nicht alle. (überlegt) Lange nicht mehr darüber nachgedacht (lacht). Wenn man von meiner letzten Arbeit ausgeht, gibt es keinen Zufall. Alles passiert, wie es passieren soll. Man hat keine Kontrolle darüber. Man kann das spüren und ist sich dessen bewusst, es ist manchmal klar, wenn man im Flow ist. Man spürt das richtig, ohne Mühe und ohne Widerstand. Die Herrschaft darüber, die habe ich nicht. Ich weiß nicht, heute war zum Beispiel alles geplant (lacht).

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subtext.at: Wie bist du überhaupt auf die Theorie des Hermetismus, die dein aktuelles Album aufgreift, gestoßen?
Joep Beving: Angefangen hat alles mit meinem Burnout, der jetzt fast 9 Jahre her ist. Immer schon habe ich mich für Metaphysik interessiert. Es liegt mir, Dinge zu hinterfragen, mich reinzuzoomen und tiefer in die Materie einzutauchen. Damals hatte ich gar nichts zu verlieren. Nur aus der Not heraus, habe ich die Musik für mich gefunden. Da kam Musik aus mir raus, die ich so nie gespielt hätte, was eine Überraschung für mich war. Es hat sich angefühlt wie eine Wahrheit oder eine tiefe Essenz. Ich konnte mich nur entscheiden, ob ich ihr folge oder nicht. Somit habe ich alles, was mein Ego ausmacht oder was andere von mir erwarten, weggeschoben und bin nur der Musik gefolgt. Dann kam später mit der ersten Platte die Idee vom Solipsismus und wie man sich zur Realität am besten verändern kann. Da gab es schon Gefühle, die mich beschäftigt haben und Themen, die ich durch das Lesen aufgegriffen habe. Neoplastizismus. Agnostizismus. Damit waren alle Themen schon vorweggenommen. Dann wurde die erste Platte gemacht, die habe ich gespielt auf einer Stimmung von 4/40. Unterschiedliche Leute sind auf mich zugekommen und haben gemeint, ich müsste mein Klavier runterstimmen auf 4/32. Da war ich erst sehr skeptisch. Dann hab ich mich eingelesen, weil es sich mit der Theorie um Frequenz beschäftigt. Das Prinzip vom Geschlecht war auch immer ein Thema in meinem Leben, also maskulin und feminin. Ich habe gemerkt, dass wenn ich mir über meine feminine Energie bewusst bin, eine bessere Balance habe. Diese Polarität, aber auch einfache Themen wie Licht und Dunkelheit, sind super wichtig. Somit war meine Trilogie angelegt, obwohl mir anfangs auch nicht bewusst war, wie alles zusammenhängt. Nach der Trilogie hat mir ein Freund ein Buch gegeben, da war alles zusammengefasst. (überlegt) Ich glaube, dass manche Leute bestimmt etwas dadurch lernen können. Es war auch Zeit, dass so konkret zu benennen, damit interessierte Leute eingeladen sind, sich mit diesen Gedanken zu beschäftigen. Mir hat es ziemlich viel gebracht, obwohl ich nicht zu den Hardcore-Esotherikern gehöre (lächelt).

subtext.at: Gibt es noch andere Theorien, die du mit deiner Musik aufgreifst?
Joep Beving: (überlegt) Das hat mit Kreativität, aber auch mit einer Sensitivität zu tun. Ich glaube zum Beispiel nicht, dass nur ein trauriger Künstler schöne Sachen machen kann. Ich glaube aber, dass die Traurigkeit zu einer Sehnsucht führt, die absolut ist. Die wahrhaftig ist und schön. Man sucht einen Ausweg. Für mich ist Melancholie die Hauptemotion des Menschen. Im Leben gibt es solch ein Ungleichgewicht, was traurig ist, aber es gibt immer die Hoffnung, dass es morgen besser ist.

subtext.at: Gibt es etwas, was du im Zuge der Produktion von „Hermetism“ neu über dich gelernt hast?
Joep Beving: (überlegt) Nicht wirklich, nein. Mir ist aber seit den letzten sieben Jahren klar geworden, dass ich noch ganz viel zu lernen habe (lächelt). Musikalisch habe ich auf dem Album jetzt das gemacht, was ich selbst gerne mag. Ich hab mir Null Gedanken darüber gemacht, was man davon halten könnte. Kompositorisch habe ich einen Schritt, wenn auch nur einen kleinen, gemacht. Ich habe nur versucht, nur mit dem Klavier über Sachen zu reden und zu kommunizieren. Ich möchte nicht unbedingt in die Neoklassikschiene, weil mich das nicht so sehr berührt. Ich möchte komplizierte Gefühle simpel vermitteln. Wenn ich in Zukunft noch komplexere Stücke komponieren kann, freut mich das natürlich.

subtext.at: Bei dir kann man sehr gut nachhören, wie du dich stets langsam und behutsam weiterentwickelst.
Joep Beving: Weil ich versuche, einen Ort zu schaffen, an dem man kurz verweilen kann. Das ist eine Herzenssache, nicht so sehr eine Kopfsache.

subtext.at: In unserer heutigen Zeit ist das ja nicht ganz so einfach, weil man selten ungestört ist und nahezu permanent von Eindrücken und Geräuschen umgeben ist.
Joep Beving: Für mich ist es ja auch eine Art Therapie. Ich brauche das, damit ich nicht verrückt werde. Wie du sagst, gibt es so viel Input von überall. Ich möchte wiederum die Ruhe in mir selber finden und erfahren. Das finde ich wichtig und das hat eine Relevanz für mich.

subtext.at: Ist es für deine Kunst egal, was um dich herum passiert oder hat das einen Einfluss darauf, was am Ende herauskommt? Stichwort Coronapandemie…
Joep Beving: Nee, das ist nicht egal. (überlegt) Mit meinen ersten drei Platten habe ich eine Reise gemacht, was mir ein bestimmtes Verständnis gebracht hat. Während der Coronapandemie habe ich versucht, eine Lösung in der Nostalgie zu finden. Oder in Spiritualität. Es braucht Zeit, bis wir Verständnis für eine neue Situation entwickeln. Genau da versuche ich dann anzudocken und etwas zu machen. Eigentlich schreie ich richtig laut, nur ist es nicht meine Art. Ich mache es auf die umgekehrte Art und Weise, um wirklich laut zu schreien.

subtext.at: Ist das Klavier ein nostalgisches Instrument?
Joep Beving: Ja, ganz klar. Digital ist es ja nüchtern aufgebaut aus 1 und 0. Ein Klavier hingegen ist ein magisches Instrument. Es verbindet die Seelen der Menschen und vielleicht noch höher. Durch einen Tastenschlag, durch die Schwingung, kann man schon so viel fühlen. Das finde ich unfassbar. Nostalgie spielt beim Klavier definitiv eine Rolle. Vielleicht hat es etwas mit meinem Alter zu tun, aber ich brauche etwas, was gleichzeitig so einfach wie komplex ist.

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subtext.at: Welcher Teil ist der schwierigste beim Komponieren auf dem Klavier?
Joep Beving: Den Moment zu kreieren, wo die Musik entstehen kann. Klingt ein wenig komisch, aber es geht darum, meinen Kopf leer zu machen. Oft stehe ich mir selbst im Weg beim Komponieren. Man ist zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt oder einfach mit einem selbst. Oder man hat Ideen parat und man hat Angst davor, sie in die Tat umzusetzen. Man hat Angst vor der Enttäuschung. Das ist der schwierigste Teil. Es geht darum, mich sozusagen selbst aus dem Weg zu schaffen, um die Musik entstehen zu lassen. Wenn du dir bewusst bist, was die Leute von dir erwarten und wie viel Musik überhaupt schon existiert, dann fühlst du dich unsicher. Ich bin kein besonders guter Pianist und kein akademisch ausgebildeter Komponist, deswegen ist es für mich wichtig, Dinge zu akzeptieren, wie sie sind. Was kreativ aus dir herauskommt, kommt heraus. Sei damit zufrieden.

subtext.at: Hat diese Unsicherheit mit jeder neuen Platte ab- oder zugenommen?
Joep Beving: Beides. Ich bin in der glücklichen Position, Fans zu haben. Es gibt Leute, die lieben das, was ich tue. Gleichzeitig will ich mich selbst herausfordern und Ehrgeiz entwickeln. Ich möchte meine Freunde glücklich machen, mein Label und auch mich selbst, wenn ich Dinge ausprobiere, die für mich anders und neu sind. Da gibt es definitiv Druck. Es ist furchtbar, wenn man Dinge plant und in Angriff nimmt und dann lassen sie sich nicht realisieren. Es geht auch darum, mit den Erwartungen umzugehen und mit der Zeit, die man dafür aufbringt.

subtext.at: Wenn man aber gar keinen Druck verspürt, bringt man manchmal auch nichts zustande.
Joep Beving: Ja. Das gibt es auch (lacht). So ergeht es mir manchmal, wenn ich schon eine Handvoll Songs für ein Album habe, aber mir noch ein paar fehlen. Eine Deadline kann manchmal ganz schön hilfreich sein (lacht).

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