WOLFGANG MUTHSPIEL: „Musik ist meine Meditation“ (mit Gewinnspiel!)

Schon mehrmals wurde die österreichische Bundeshauptstadt zu der lebenswertesten Metropole weltweit gewählt. Der aus der Steiermark stammende, weltweit gefeierte Jazz-Gitarrist und Songwriter Wolfang Muthspiel hat sein neues Album gleich „Vienna, World“ genannt. Entstanden ist die Platte an vielen Orten wie Schweden, Brasilien oder Argentinien – und dennoch führen scheinbar alle Fäden nach Wien.

Ein Interview über die Kunst der Improvisation, Musik als Form der Therapie und Vorbilder jenseits der 50.

subtext.at: Wolfgang, wann warst du dir zum erstem Mal sicher, dass du von der Musik leben kannst?
Wolfgang Muthspiel: (überlegt lange) Das war mit 21, 22 Jahren. Ich wollte das unbedingt schon, seit ich 15 bin, aber irgendwann gab es diesen Gedanken, dass es cool wäre, wenn ich es on my own schaffe. Meine Eltern waren sehr großzügig, was die musikalische Entwicklung betrifft und bei uns in der Familie war das auch so etwas wie ein Spiel, wie eine Competition (lacht).

subtext.at: Würdest du sagen, dass du schon relativ früh einen Kardinalsweg für dich gefunden hast?
Wolfgang Muthspiel: Absolut. Mit 13 habe ich eine ziemliche Krise gehabt. Ich hab mit dem Geigenspiel aufgehört und bin aus der Schule geflogen. Ich habe dann die Gitarre für mich entdeckt und festgestellt, dass es cool ist und es mir taugt. Ab dem Moment hat es einen Zug entwickelt und ich habe gewusst: „Das ist es.“ Das war vielleicht mit 15 und ab da an musste man mich nicht mehr motivieren, damit viel Zeit zu verbringen. Es war eher so, dass mir alles andere im Weg war wie die Schule, die mir wieder 6 Stunden Übezeit weggenommen hat (lacht).

subtext.at: Denkst du, dass die Leidenschaft für bestimmte Dinge schon in unserer Kindheit geprägt wird? Du hast relativ früh damit angefangen, ein Instrument zu spielen…
Wolfgang Muthspiel: In meinem Fall ist das natürlich so, dass mir das sehr nahe gebracht worden ist. Von meinen Eltern und vor allem von meinem Vater. Alle Geschwister, ich bin der Jüngste von 4, haben ein Instrument gespielt. Musik war ständig im Haus präsent und ich musste es nicht großartig entdecken. Es wurde mir in ganz frühen Jahren angezeigt. Ob das jetzt automatisch eine Leidenschaft bewirkt? Glaube ich nicht. Trotzdem ist es toll, wenn man Kindern viele Sachen nahebringt, die sie dann machen und mit denen sie sich beschäftigen können. (überlegt) Damals, als ich 6 war, war Geige zu spielen für mich das höchste der Gefühle.

subtext.at: Jeden Tag ein Instrument zu spielen – war das für dich so etwas wie ein tägliches Ritual?
Wolfgang Muthspiel: In dem Alter war das noch nicht so wie später. Damals war das noch unwillig. Wenn andere Kinder draußen Fußball gespielt haben, war das für mich nicht so angenehm, dass ich üben musste. Ab dem Moment, wo ich das selbst entschieden habe, ist der Aspekt der Arbeit weggefallen. Musik hat für mich mit Arbeit oder Belastung nichts zu tun. Es gibt andere Aspekte meiner Arbeit, die sind sprichwörtlich Arbeit, aber das Musikmachen nicht.

subtext.at: Was gibt dir das Musizieren, so ganz allgemein gefragt? Schaltest du einfach komplett ab oder bist du extrem fokussiert?
Wolfgang Muthspiel: Ich begebe mich total in die Welt der Musik und in die Stimmung dieses Stückes oder in die Zone von Musik, an der ich gerade arbeite. Das hat zur Folge, dass ich alles andere vergesse. Wenn ich dann aus dem herauskomme, habe ich das Gefühl, dass ich die anderen Dinge des Lebens gut bewältigen kann. Musik ist meine Meditation. Meine Therapie, wenn man so will.

subtext.at: Therapie in welcher Form genau?
Wolfgang Muthspiel: Im Sinne von bei mir sein und von meinem Zentrum aus agieren.

subtext.at: Ist es selbst für einen Routinier wie dich aufregend, wenn ein neues von dir Album erscheint?
Wolfgang Muthspiel: Es ist für mich aufregend, weil Lieder von mir erscheinen, die noch niemand gehört hat und ein neues Kapitel aufgeschlagen wird. Das ist spannend und es macht mich neugierig, wie das Feedback sein wird. Man ist in keinster Weise sicher, wie das ankommen wird. Es ist jedes Mal wie bei dem ersten Album. Natürlich, wenn man in meinem Alter ist, hat man schon viel Erfahrung mit dem. Trotzdem ist es spannend, weil man ja doch etwas sehr Privates der Öffentlichkeit zeigt. Besonders bei den Alben, wo ich singe. Sind ja doch persönliche Sachen drauf.

subtext.at: Wie vermeidet es man, sich zu sehr in intellektuelle und kopflastige Jazzklischees zu verlieren, wenn man sein Handwerk beherrscht? Stellt sich die Frage überhaupt?
Wolfgang Muthspiel: (überlegt) Ich bin nie abstrakt, weil ich abstrakt sein will oder kompliziert, weil ich kompliziert sein will – ich bin immer so einfach wie möglich. Für manche mag es dennoch kompliziert erscheinen, aber ich verschleiere nie etwas bewusst, damit es mysteriös ist. Ich bin eher pragmatisch. Ich will den Kern klar projizieren mit Musik. Ich schätze das auch als Zuhörer, wenn ich dieses Bestreben bei einem Künstler höre und spüre. Komplexität an sich ist kein Wert für mich.

subtext.at: Hält einen das Leben als Musiker aktiv, fit und auf Trab?
Wolfgang Muthspiel: Für mich ist das ein Geschenk, weil ich das machen kann. Musik ist etwas Belebendes für mich. Natürlich ist es manchmal anstrengend. Eine Tour zu spielen, das viele Fliegen… Ich will nicht sagen, dass mir das alles total leicht und easy von der Hand geht, aber es hat trotzdem immer etwas Belebendes. Deshalb bin ich auch so lange dabei, weil ich es am liebsten mache.

subtext.at: Fragt man sich, ob man als Musiker noch in die Zeit passt, ob man noch relevant ist?
Wolfgang Mutspiel: Ja, man fragt sich manchmal und die Antwort lautet, dass es unwichtig ist. Es gibt aber natürlich ein Ego, dass gerne in den Zeitgeist hineinpassen würde. Letztlich ist es unwichtig. Es gibt so viel Musik, die mir persönlich gefällt, und vieles davon hat überhaupt nicht in den jeweiligen Zeitgeist gepasst, durch die Jahrhunderte. Es kann sich Niederschlagen in positiven Nebenerscheinungen wie Plattenverkäufen, was natürlich toll ist, wenn es passiert. Beim Musikmachen stelle ich mir jedoch nicht die Frage, ob es in den Zeitgeist passt oder nicht.

subtext.at: Bei gemeinsam improvisierenden Musikern sind in ihrem Gehirn Areale aktiv, die auch gesprochene Sprache verarbeiten, fanden Forscher heraus. Was sind deine Erfahrungen?
Wolfgang Muthspiel: Es ist wirklich so wie ein Gespräch. Die Teilnehmer reagieren ständig aufeinander – so wie wir auch. Unser Gespräch ist auch eine Art von Improvisation. Das eine bedingt das andere. (überlegt) Es ist wie ein Gewebe und jeder bringt seine Fasern mit ein. Kann relativ beglückend sein, aber auch sehr mühsam ausfallen. Es gibt viele Improvisationen, die nicht spannend sind. Man kann auch safe gehen und etwas spielen, bei dem man vorher weiß, wie es sein wird. Richtig gut sein im Jazz kann das allerdings nicht, glaube ich zumindest.

subtext.at: Improvisation hat auch etwas mit sich Treiben lassen zu tun.
Wolfgang Muthspiel: Absolut. Das bedarf eines gewissen Mutes, weil man eben keine Garantie hat, wie das Ergebnis aussehen wird.

subtext.at: In der heutigen Gesellschaft, wo jeder von jedem erwartet, ständig verfügbar und erreichbar zu sein und eine klar definierte Meinung zu haben – ist es dann noch befreiender, auf der Bühne einfach mal loszulassen?
Wolfgang Muthpiel: Ich gebe dir vollkommen recht. Es ist auch toll, wenn man manchmal auf der Bühne loslassen kann und man auch überrascht wird. Man entdeckt auch Sachen von sich, die man nicht gewusst hat, was super ist. Aus solchen Momenten entstehen später Songs oder ganze Projekte.

subtext.at: Kannst du ganz allgemein sagen, was es braucht, damit du von einer Sache fasziniert bist? Von einem Musikstück, einem Ort, einer Stadt, ganz egal.
Wolfgang Muthspiel: Kann ich nicht so allgemein beantworten. Bei einem Musikstück ist es mein anhaltendes Interesse, wie es weitergeht. Wenn ich nach einer Minute denke, dass es spannend ist und ob der Teil jetzt wieder zurückkommt oder nicht, dann gefällt es mir.

subtext.at: Wie kann ein Ort dazu beitragen, auf die Musik abzufärben?
Wolfgang Muthspiel: Einerseits atmosphärisch, weil man mit dem Land, dem Ort, dem Studio, den Restaurants, den Hotels und den Leuten zu tun hat. Die Eindrücke können sich bei einer Reise schon extrem unterscheiden. Andererseits auch wegen den Musikern, weil ich immer mit anderen auf meinen Reisen zusammengespielt habe. Eine Band aus Argentinien hat eine andere Ausstrahlung und Farbe wie eine Band aus Brasilien oder Skandinavien. Habe ich schon mit eingeplant bei diesem Album, um es für mich spannend zu halten. Auch bei der Reihenfolge der Songs habe ich mir Gedanken gemacht, denn je nachdem, was vorher war, klingt das darauffolgende Lied wieder anders. Ich bin der Reiseleiter und muss entscheiden, was man sich nach der Reihenfolge alles ansieht.

subtext.at: Du wirst heuer 50.
Wolfgang Muthspiel: Ja!

subtext.at: Wie oft hast du schon gedacht, dass du eigentlich langsam zu alt für diesen Job bist?
Wolfgang Muthspiel: Eigentlich noch nie (lacht). Ich bin ja hauptsächlich für Jazz bekannt und da ist es ja so, dass ganz große Meister noch mit 80 Jahren Musik machen und auf sehr hohem Niveau spielen. Dieser Pop-Jugend-Wahn ist in dem Sinne nicht vorhanden, Gott sei dank. (überlegt kurz) So lange ich gesund bin, brauche ich mir darüber keine Gedanken zu machen. Mit 80 Platten aufzunehmen, kann ich mir schon vorstellen… Wie alt ist der Bob Dylan jetzt?

subtext.at: Über 70 bestimmt.
Wolfgang Muthspiel: Und Leonard Cohen?

subtext.at: Der dürfte noch etwas älter sein.
Wolfgang Muthspiel: Meine Vorbilder, siehst du (lacht)!

CD

Gewinnspiel: Das Gewinnspiel ist beendet.

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