„Scharf sein, Tabus brechen, und wenn wo der Hut brennt, dann einfach angreifen“

 

Teil zwei des subtext.at Interviews mit János Fehérváry, ab dem 15. Oktober ehemaliger Chefredakteur von CHiLLi.cc. Ein Gespräch über die Hoch- und Tiefpunkte der letzten zehn Jahre, die körperlichen Nebenwirkungen eines funktionierenden Jugendmediums und seine Zukunft bei diepresse.com.>> „Es fehlt definitiv eine „Krone“ von jungen Menschen für junge Menschen“ – zum ersten Teil des Interviews mit János Fehérváry

subtext.at: Zehn Jahre CHiLLi.cc – welche Fehler haben sie in dieser Zeit gemacht?
Im gruppendynamischen Bereich und auch im Führungsbereich habe ich vieler Fehler gemacht: Da habe ich etwa viele Leute gegeneinander aufgehetzt und geopfert, nur für das Ziel, dass innerhalb der Redaktion und für das Produkt etwas weiter geht und es zu einem erfolgreichen Ergebnis kommt. Ansonsten habe ich viel zu wenig auf mich selbst geschaut. Ich habe Phasen gehabt, in denen ich hundert bis hundertzehn Stunden gearbeitet habe, wobei mehr als die Hälfte dieser Zeit für CHiLLi.cc draufgegangen ist. Dieses sich nicht um mich kümmern hat sich natürlich auch auf das Team ausgewirkt, ich war dann missmutig und habe Leute unberechtigterweise niedergemacht. Solche Dinge bereue ich, würde ich nicht mehr wieder machen und mache ich auch nicht mehr.

subtext.at: Was würden sie wieder machen?
Die Frage ist, ob ich CHiLLi.cc überhaupt wieder machen würde. Aber andererseits: wenn ich CHiLLi.cc nicht gemacht hätte, würde ich die Sache wahrscheinlich sofort wieder angehen – aber anders und besser. Ansonsten würde ich sofort wieder die österreichische Jugendpresse gründen.

subtext.at: Die ja nicht mehr ganz so aktiv ist …
Ich finde es traurig, dass sie nicht mehr aktiv ist – aber ich bin sehr froh darüber, auch die europäische Jugendpresse mitgegründet zu haben. Das ist etwas, was mir sehr viel Freude bereitet hat, das Beobachten und Vernetzen auf europäischer Ebene hat mir getaugt. Ansonsten würde ich auf jeden Fall wieder diese journalistische Schärfe wie bei CHiLLi.cc an den Tag legen. Und – wie jetzt der orange Stefan Petzner sagen würde – ich habe meinen „Lebensmenschen“ bei CHiLLi.cc getroffen. Ich bin irrsinnig glücklich darüber, dass ich meine Traumfrau bei CHiLLi.cc gefunden habe.

CHiLLi.cc-intern und auch von anderen Leuten, die CHiLLi.cc, beobachten, bin ich immer wieder gefragt worden: hat sich das überhaupt ausgezahlt? Wenn ich jetzt rein den faktischen Input und Output aufrechne, dann nicht. Ich habe viel geopfert und kaum etwas zurückbekommen. Ich habe ein halbes Jahrzehnt brutales Schindluder mit meinem Körper getrieben – keinen Sport gemacht, nur mehr Kaffee getrunken und zum Schluss drei Packerl Tschick am Tag geraucht. Seit zwei Jahren rauche ich nicht mehr, ich habe einen Lebenswandel geschafft – aber mit den Spätfolgen dieser Zeit habe ich noch immer zu kämpfen. Ich habe viel zu hohen Blutdruck und muss dagegen etwas tun. Das ist mitunter ein Grund, warum ich jetzt bei CHiLLi.cc aufhöre – weil ich mich ein bisschen regenerieren möchte und es meiner Freundin nicht antun will, mit 40 oder 50 einen Herzkasperl zu erleiden.

subtext.at: Was sind die weiteren Gründe?
Ich kann mich mit dem Produkt aufgrund meines Alters nicht mehr identifizieren. In den letzten zwei Jahren habe ich mich eigentlich nur mehr von Projekt zu Projekt geschleppt. Eigentlich wollte ich schon vergangenes Jahr komplett aufhören – was aber zum endgültigen Aus von CHiLLi.cc geführt hätte.

Eine weiterer Grund ist sicher der, dass ich mich aufgrund meines Alters schon in einer anderen Lebenswelt befinde. Ich bin 32, werde Anfang nächsten Jahres 33 und denke schon an Familie und dergleichen. Ich bin sicher nicht mehr der Draufgänger, der ich früher war, ich bin nicht mehr bereit, mir gratis die Nächte um die Ohren zu schlagen. Was ich an Partnerinnen aufgrund meiner Tätigkeit bei CHiLLi.cc verloren habe ist auch nicht lustig. Die Beziehung, die ich jetzt habe, die meine ich ernst und die will ich nicht aufs Spiel setzen.

Wenn man immer mit jungen Menschen zu tun hat, dann ist der extrem Stresspegel hoch. Mit 27 oder mit 29 war das noch etwas anderes, da war noch die Nähe zum 23-jährigen da. Aber mittlerweile habe ich die Probleme der jungen Menschen einfach satt. Es ist beim Arbeiten schwierig, wenn sich die Persönlichkeiten, mit denen man zu tun hat, erst im Rahmen der Tätigkeiten formen – auch wenn das sicher die Aufgabe von CHiLLi.cc ist. Mich sehnt es nach einem professionellen Medienbetrieb, nach professionellem Medienmachen – und nicht nach Herumeiern.

subtext.at: Kurz rekapituliert – was war der tiefste, was der höchste Punkt?
Was geil war, was absolut geil war, war die Phase, in der wir journalistisch so gut gearbeitet haben, dass uns plötzlich die Medienlandschaft gehört und wahrgenommen hat. Wir haben es von 2005 bis etwa 2007 mit einem Team, das niemand gekannt hat, geschafft, ständig zitiert zu werden.

Andererseits hat sich eine gewisse Demotivation über viele Jahre hinweg gezogen, die natürlich auch aus der Ehrenamtlichkeit heraus entstanden ist. Ich habe es immer als extrem schade empfunden, wenn ich junge Menschen ausgebildet habe, die dann einfach weggegangen oder im Bösen geschieden sind.

Den größten Tiefpunkt habe ich in diesem Jahr erlebt, als das „Profil“ unberechtigterweise auf mir herumgehackt hat. Da habe ich mich aus mehreren Gründen irrsinnig geärgert. Zum einen war diejenige, die diese Geschichte angezündet hat, sehr lange bei CHiLLi.cc und mir wichtig. Zum anderen sollte jemand, der von CHiLLi.cc geht, einen gewissen Grundcharakter haben und nicht irgendwelchen Blödsinn verzapfen, hinterrücks Leute anrufen oder tendenziösen Journalismus machen. Das hatte ich mir nicht verdient, ich hatte mir die ganze Geschichte wirklich nicht verdient.

subtext.at: Was muss ein guter Journalist leisten?
Ein guter Journalist braucht Eier! Es gibt Medienarbeiter und es gibt Journalisten – und ein Journalist ist Journalist durch und durch. Es gibt beim Journalisten eine Feder, die ihn dazu treibt, zu recherchieren und auch umzusetzen – bei einem Medienarbeiter gibt es das nicht, der schiebt nur „sterilen Content“ um.

Ein Journalist hat eine gesellschaftliche Aufgabe – und die muss er spüren. Wenn er nicht annähernd den Instinkt in sich hat, Wachhund der Gesellschaft zu sein, sondern eher in Schoßhund ist, dann darf er sich nicht Journalist nennen. Mit Eier meine ich auch: nur weil jetzt der Druck von der Redaktion oder von Außen so groß ist, darf er nicht auf eine Geschichte verzichten – wie es die Mehrheit der Journalisten heutzutage macht. Ein guter Journalist muss auch auf sich selber verzichten können, wenn es um Geschichten, um die Leser und das allgemeine Wohl der Gesellschaft geht.

subtext.at: Eine Arbeitsweise, die sie bei diepresse.com umsetzen werden?
Ich bin zur Presse gegangen, weil genau das hier betrieben wird. Wir hatten im Jahr 2008 nach dem vermeintlichen CHiLLi.cc-Aus zwei Angebote, die attraktiv waren: entweder zur Styria/Presse zu gehen oder das ganz Ding an News zu verkaufen. Und journalistisch ist das, was bei mir und bei CHiLLi.cc abläuft dem sehr ähnlich, was auch bei der Presse abläuft. Das haben wir im vergangenen Jahr der Kooperation mit der Presse auch gesehen – wenn es um investigative Geschichten gegangen ist, dann haben sie uns immer unterstützt und auch manchmal gesagt: das hätte ruhig noch ein bisschen schärfer sein können.

Als ich gefragt worden bin, ob ich zur Presse wechseln möchte, habe ich gesagt, dass ich im journalistischen Bereich genau die Dinge machen will, die ich auch bei CHiLLi.cc gemacht habe: scharf sein, Tabus brechen, und wenn wo der Hut brennt, dann einfach angreifen.

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Foto: Daniel Friesenecker