„Burschenschaften bildeten den Nährboden für Rechtsextremismus“

Burschenschaften tun vor allem eines: polarisieren. Die Einen sehen sie als „Bewahrer der Tradition“, die anderen als Rechtsextremisten. In Linz wird kommenden Freitag die „Erste Linzer Burschi-Tour“ veranstaltet, wo DÖW-Rechtsextremismusexperte Heribert Schiedel durch die Linzer Burschenschaften führen wird. subtext.at hat ihn vorab zum Interview gebeten.

subtext.at: Wenn man in ganz Österreich von „Burschenschaften“ spricht, von wie vielen verschiedenen Burschenschaften mit wie vielen Mitgliedern spricht man da überhaupt?

Heribert Schiedel: Genaue Zahlen kennen wir nicht, Schätzungen belaufen sich auf rund 4000. Das sind die Mitglieder aller deutschnationalen Verbindungen, unter denen die Burschenschaften den politischsten (rechtesten) Teil bilden, vom jungen Pennäler bis zum „Alten Herren“.

subtext.at: Das ganze dann auch heruntergebrochen auf Oberösterreich – wie sieht es da aus?

Heribert Schiedel: In Oberösterreich gibt es 26 deutschnationale Korporationen, davon sind momentan jedoch rund ein Viertel sistiert oder nur mehr als „Altherrenverband“ aktiv. In Linz gibt es vier akademische deutschnationale Verbindungen, wobei nur die Burschenschaft Arminia Czernowitz zu Linz und das Corps Alemannia Wien zu Linz von Relevanz sind. Diesbezüglich erwähnenswert sind auch die 14 pennalen deutschnationalen Verbindungen an mehreren Schulstandorten.

subtext.at: Spricht man mit FPÖ-Politikern in Interviews über das DÖW, bekommt man von Seiten der FPÖ-Vertreter, gerade mit burschenschaftlichem Background, zu hören, dass sie – Zitat Wimmer – „Meinungen eines privaten Vereines“ weniger interessieren. Woher stammt diese Antipathie?

Heribert Schiedel: Die hat zunächst historische Gründe: Während das DÖW von Menschen gegründet wurde, die aus unterschiedlichen politischen Motiven gegen den Nazismus Widerstand leisteten, standen die Begründer der FPÖ und die „Alten Herren“ mehrheitlich auf der anderen Seite. Dazu kommt unsere anhaltende Kritik am Rechtsextremismus und an seiner Normalisierung und die Tatsache, dass wir immer wieder aufs Neue den Nachweis bringen, wie rechtsextrem die FPÖ unter Strache wieder ist. Ja, wir würden etwas falsch machen, wenn die FPÖ nicht versuchen würde, unser Urteil zu entwerten und unserer Reputation zu schaden!

subtext.at: FPÖ-Politiker aller Stände – von FPÖ-Linz-Stadtrat Detlef Wimmer über Landesparteiobmann Manfred Haimbuchner bis zu Bundesparteigranden wie HC Strache und Martin Graf stammen aus Burschenschaften. Burschenschaften also als Kaderschmiede für rechte Parteien in Österreich? Warum haben Burschenschaften in letzter Zeit in der FP wieder Einfluss gewonnen (siehe z.b.: Straches Reden beim „Heldengedenken“)?

Heribert Schiedel: Ohne die deutschnationalen Korporationen und insbesondere die Burschenschaften wäre die FPÖ nach der Abspaltung des BZÖ 2005 heute wohl Geschichte. In der größten Krise der Parteigeschichte bildeten sie personell und strukturell einen Rettungsanker, bis heute werden sie daher von führenden Freiheitlichen als das „Rückgrat“ der FPÖ bezeichnet. Nachdem sie schon 1986 Jörg Haider (gegen den Liberalen Norbert Steger) als FPÖ-Obmann durchsetzten, dann aber gut zehn Jahre später nicht verhindern konnten, dass dieser – obwohl selbst Burschenschafter! – die Partei entideologisierte und für eine Koalition mit der ÖVP auch in personeller Hinsicht eine Art Flurbegradigung (zu Lasten der Korporierten) durchsetzte, wollen sie sich aber nun das Heft nicht mehr aus der Hand nehmen lassen. Zumindest in ideologischer Hinsicht mit Erfolg: Im neuen Parteiprogramm vom Juni 2011 bekennt sich die FPÖ wieder zur „deutschen Volksgemeinschaft“ und nicht länger zum „Christentum, das seine Werte verteidigt“. Unter burschenschaftlichem Protestgeheul war ja 1997 die „Volksgemeinschaft“ gestrichen und das „Christentum“ aufgenommen worden.

subtext.at: Die ÖVP hat den MKV/CV als Background, die FPÖ die Burschenschaften, die SPÖ die Gewerkschaften – sind solche Kaderschmieden also „normal“ bzw. was macht das Besondere der Burschenschaften als Vorfeldorganisation aus?

Heribert Schiedel: Ja, einerseits haben wir’s hier mit einer „normalen“ Kaderschmiede zu tun, das Problem bei den Burschenschaften ist aber, dass sie nicht nur Personal für die FPÖ stellen, sondern immer wieder auch Neonazis integrieren oder auf ihre Buden einladen. Als der Verfassungsschutz die Burschenschaften noch beobachten durfte, Ende der 1990er Jahre, hat er sein Interesse etwa an Verbindungen wie der Olympia Wien oder der Innsbrucker Brixia – ja genau mit dieser Funktion eines Scharniers zwischen Deutschnationalismus und Rechtsextremismus bzw. sogar Neonazismus begründet.

subtext.at: Der WKR-Ball, der vor allem deutschnationale Burschenschaften anspricht, findet mitten im Zentrum Österreichs, der Hofburg, statt. Ein weiteres Indiz dafür, dass Burschenschafter weiter in Richtung gesellschaftlicher „Akzeptanz“ gewandert sind?

Heribert Schiedel: Das würde ich so sehen, wobei diese Entwicklung nicht unaufhaltbar oder unumkehrbar ist, wie die letzten Wochen gezeigt haben. Der Rauswurf aus der Hofburg muss aber politisch gegen den enormen Druck der FPÖ noch lange verteidigt werden. Und überhaupt stehen wir wenn dann erst am Anfang des Zurückdrängen des Rechtsextremismus.

subtext.at: Man muss ja unterscheiden zwischen fakultativ schlagenden, frei schlagenden und nicht schlagenden Burschenschaften. Unterscheiden sich diese auch ideologisch, oder kann man das nicht verallgemeinern?

Heribert Schiedel: Ja, da besteht sogar ein Zusammenhang: Die nicht schlagenden Verbindungen sind in der Regel weniger extrem als die schlagenden.

subtext.at: Ein Zitat aus einem anderen Interview: „Deutschnational ist nicht gleich Rechtsextrem“ – es hat aber den Anschein, als ob die Schnittmenge sehr groß ist. Wie groß ist der Anteil an Rechtsextremen unter Burschenschaftern?

Heribert Schiedel: Das ist schwer zu sagen, er schwankt wohl zwischen 100 und einem Prozent. Zu bemerken ist hier oft auch eine Art Generationenkonflikt, in welchem die „Alten Herren“ den Extremismus der „Aktiven“ gar nicht goutieren – wenn auch oft nicht aus den richtigen Gründen, sondern mehr aus Angst um den Ruf der Verbindung. Wir sprechen lieber von rechtsextremen Burschenschaften und von Verbindungen, die dem rechtsextremen Milieu angehören. Das Problem mit den anderen, nicht–rechtsextremen Verbindungen ist, dass sie ihren extremistischen Waffenbrüdern oft die Mauer machen, etwa durch die gemeinsame Mitgliedschaft in einem Dachverband wie dem WKR oder dem gemeinsamen Ausrichten eines Balles.

subtext.at: Ist Oberösterreich ein besonders guter Nährboden für extreme Ansichten – siehe etwa die versuchte Kanditatur der NVP bei den Landtagswahlen –  und in wie weit sind Burschenschaften daran beteiligt?

Heribert Schiedel: Ich würde nicht sagen, dass der Nährboden für Rechtsextremismus in Oberösterreich ein besserer ist als woanders. Aber es gibt hier hot spots wie das Inn– und das Hausruckviertel und auf jeden Fall waren es seit ihrer Begnadigung und Exkulpierung zu Beginn der 1950er Jahre die Burschenschafter, die den Nährboden maßgeblich aufbereitet haben.

/em

Musik-Nerd mit Faible für Post-Ehalles. Vinyl-Sammler. Konzertfotograf mit Leidenschaft, gerne auch analog. Biertrinker. Eishockeyfan. "Systemerhaltende" Krankenschwester - wohl auch deshalb manchmal (zu) zynisch.